Münchner Sammler: Ein Leben für die Zuckerdosen
München - "Ach, Wahnsinn", diese Reaktion bekommt Uwe Petschik eigenen Worten zufolge häufig zu hören, wenn Besucher zum ersten Mal in seine Haidhauser Wohnung eintreten. Der rote Teppich im Flur des 80-Jährigen wird links und rechts gesäumt von unzähligen Zuckerdosen, ordentlich aufgestellt in Reih und Glied. Auf dem Boden, auf Regalen an der Wand, die bis zur Decke reichen – die Sammlerstücke sind überall.
Nahezu jeder Quadratzentimeter des Bodens steht voller Zuckerdosen
Petschick führt weiter ins Wohnzimmer. Auf dem schwarzen Sofa kann man es sich gerade nicht gemütlich machen: Nahezu jeder Quadratzentimeter des Bodens ist ebenfalls voller Zuckerdosen. Nur eine kleine Schneise zum Fenster ist frei geblieben. Dabei ist das noch lange nicht alles, wie Petschick sagt. Der Rest seiner Sammlung ist im Keller gelagert.
Insgesamt besitzt der Münchner wohl an die 8.000 Stück, schätzt er – mit dem Zählen hat er längst aufgehört. Angefangen hat alles im Jahr 1997, als der frühere Reisebürofachmann in die Wohnung im dritten Stock eines Altbaus nahe dem Ostbahnhof einzog. Beim Einräumen fiel seine Zuckerdose zu Boden, erinnert er sich – und ging kaputt.
"Eigentlich habe ich bis dahin nie etwas gesammelt"
Um sie zu ersetzen, machte Petschick sich auf einem Flohmarkt auf die Suche. Schnell entdeckte er jedoch mehrere Modelle, die ihm gefielen. "Eigentlich habe ich bis dahin nie etwas gesammelt", sagt Petschick und lacht. Doch die Leidenschaft hatte ihren Anfang gefunden: Zunächst waren es nur drei Zuckerdosen, die der 80-Jährige auf seinem Fensterbrett platzierte, wie er erzählt, dann fünf, dann immer mehr.
Die Vision: die Sammlung einem Kaffeehaus zur Verfügung zu stellen
Dass sie alle in seiner Wohnung stehen, ist nur als Provisorium gedacht, sagt der Sammler. Seine große Vision ist es, die Sammlung einem Kaffeehaus zur Verfügung zu stellen. Für Petschick wäre das die optimale Verbindung: "Dann gäbe es mit den Zuckerdosen etwas fürs Auge und mit Kaffee und Kuchen etwas für den Gaumen."
Sammlung von kulturhistorischem Wert
Von mehreren Stellen habe er zu seiner Idee bereits positive Rückmeldungen erhalten: Petschick zeigt unter anderem einen Schriftverkehr mit der Firma Nordzucker sowie mit dem Münchner Stadtmuseum, das ihm den bedeutenden kulturhistorischen Wert seiner Sammlung bescheinigt hat.
Bisher blieb es jedoch nur bei der Idee. Größere Unterstützung konnte noch niemand Petschick zusichern, weshalb er nun weiter nach Menschen sucht, die ihm helfen, seine Vision wahr werden zu lassen. "Ich bin selbst kein Gastronom oder Geschäftsmann. Aber ich bin überzeugt davon, dass so ein Kaffeehaus laufen würde, wenn es von Fachleuten in die Hand genommen werden würde."
"Ich würde einfach gerne der Allgemeinheit eine Freude machen"
Verschiedene Ausstellungen, bei denen Petschick Teile seiner Sammlung zeigte – unter anderem im Elisenhof und in Garching – hätten bereits gezeigt, dass die Menschen daran durchaus Interesse hätten, sagt er. Er glaubt, dass gerade in der heutigen schnelllebigen und krisengeplagten Zeit ein Kaffeehaus mit seinen Zuckerdosen eine willkommene Zerstreuung bieten könne: "Ich würde mit meinen Zuckerdosen einfach gerne der Allgemeinheit eine Freude machen."
Um alle seiner rund 8.000 Stücke präsentieren zu können, wären entsprechend große Räumlichkeiten nötig. Petschick kann sich daher auch vorstellen, zunächst einmal kleiner anzufangen und nur einen Teil auszustellen. Zur Auswahl hätte er jedenfalls genug.
"Eine ist schöner als die andere"
Wenn man ihn fragt, welches denn seine Lieblingszuckerdose ist, muss der 80-Jährige überlegen. "Schwierig", antwortet er. "Eine ist schöner als die andere." Seine Sammlung ist zudem vielfältig: Von opulent verziert bis schlicht ist alles dabei. Im Flur stehen etwa mit Porzellanblumen verzierte Zuckerdosen, andere sind auf klassisch bayerische Weise bemalt – dunkelblaue Muster auf weißem Porzellan. Manche wirken sogar wie kleine Fabergé-Eier, so reich und filigran sind sie dekoriert.
Die meisten seiner Sammlungsstücke sind aus dem 20. Jahrhundert, sagt Petschick, einige stammen auch aus dem 19. Jahrhundert. Das wohl älteste Modell dürfte um 1800 entstanden sein: Petschick holt von einem Regal über dem Türsturz eine Zuckerdose, die mit Blumen und Vögeln bemalt ist. Auf der Unterseite sind zwei kleine, gekreuzte Schwerter und ein Stern zu erkennen.

"Manche Leute wissen gar nicht, was ihre Schätze wert wären"
Das bedeutet dem Sammler zufolge, dass die Dose in der Meissener Porzellanmanufaktur gefertigt wurde, und zwar in der Zeit von 1774 bis 1814, in der der Graf Camillo Marcolini dort Direktor war. Die Phase gilt als Blütezeit der Fabrik. Gezahlt hat Petschick für diese Rarität jedoch nicht etwa mehrere Hundert, sondern gerade einmal vier Euro auf dem Flohmarkt, wie er sagt. "Manche Leute wissen gar nicht, was ihre Schätze wert wären."
Eines der neueren Modelle in seiner Sammlung stammt aus dem Jahr 2000. Die Sonder-Zuckerdose zur Jahrtausendwende dreht sich wie ein Kreisel auf der Arbeitsfläche der Küche. Zu sehen sind darauf mehrere Bilder von technischen Innovationen, darunter ein Segelschiff, eine Eisenbahn und eine Rakete. Ein Blick auf die Unterseite verrät, dass die Auflage damals auf 2.000 Stück limitiert war.

Noch seltener ist ein Stück, das Petschick gleich an der Tür zur Küche auf einem Wandregal aufgestellt hat: "Das ist ein Unikat", sagt er. Bemalt hat die weiße Zuckerdose der deutsche Cartoonist Papan, mit dem Petschick befreundet ist. Im Comic-Stil sind mehrere Menschen darauf abgebildet. Wer genau hinsieht, erkennt die Botschaft schnell: Die Szene zeigt, wie Petschick auf dem Flohmarkt eine seiner unzähligen Zuckerdosen kauft.
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