Interview

Münchner S-Bahn-Chef Heiko Büttner: "Ich gebe uns eine Drei plus"

Noch würden die Erwartungen der Fahrgäste zu oft nicht erfüllt, sagt der S-Bahn-Chef. Im AZ-Interview erklärt er, wie das besser werden soll: durch mehr Information, andere Tarife – und ganz neue Zugmodelle.
von  Felix Müller, Sophie Anfang
Heiko Büttner am Ostbahnhof. Der Chef der Münchner S-Bahn glaubt, dass in Zukunft MVV-Tarife flexibler werden müssen.
Heiko Büttner am Ostbahnhof. Der Chef der Münchner S-Bahn glaubt, dass in Zukunft MVV-Tarife flexibler werden müssen. © Daniel von Loeper

München - AZ-Interview mit Heiko Büttner: Der Jurist (53) ist seit fünf Jahren Chef der Münchner S-Bahn.

AZ: Herr Büttner, der MVV-Chef hat die Münchner S-Bahn einst "grottig" genannt. Volle Züge, Verspätungen, dreckige Bahnhöfe: Welche Note geben Sie der S-Bahn aktuell?
HEIKO BÜTTNER: Ich würde uns aktuell eine Drei plus geben. In den letzten Jahren hat sich sehr viel getan: Wir haben alle Züge modernisiert und wir haben modernste Fahrgastinformation an Bord.

Aber?
Aber wir müssen auch klar sagen, dass wir an vielen Tagen und viel zu häufig die Erwartung unserer Fahrgäste nicht erfüllen. Da wollen wir noch besser werden.

Der S-Bahn-Chef ist auch Fahrgast – und ärgert sich

Sie sagen, Ihr Anspruch ist, die Lage aus Fahrgast-Sicht zu sehen. Was ärgert den Fahrgast Heiko Büttner am meisten?
Ich fahre selbst fast jeden Tag mit der S-Bahn zur Arbeit. Abgesehen davon, dass ich mich natürlich ärgere, wenn die S-Bahn nicht kommt, ärgere ich mich vor allem, wenn ich nicht erfahre, warum sie nicht fährt und wie ich weiterkomme.

Wie kann man den Informationsfluss verbessern?
Wir arbeiten intensiv am Thema Fahrgastinformation in Echtzeit. Wir sind da im Zug sehr gut. Da haben wir digitale Streckennetzkarten und informieren live über Störungen und Umfahrungsmöglichkeiten. Jetzt ist unser Fokus, das auf alle Kanäle zu bekommen, auch auf dem Bahnsteig.

Die AZ-Lokalchefs Felix Müller (l.) und Sophie Anfang im Gespräch mit S-Bahnchef Heiko Büttner.
Die AZ-Lokalchefs Felix Müller (l.) und Sophie Anfang im Gespräch mit S-Bahnchef Heiko Büttner. © Daniel von Loeper

Ein Pluspunkt in München: das Sicherheitsempfinden

Brauchen Sie dafür neue Anzeigentafeln?
Wir haben seit letztem Jahr an allen Stationen Anzeigentafeln, vor drei Jahren hatten wir an 60 Stationen noch keine. Und ja, wir bekommen jetzt nach und nach neue Modelle, die mehr können.

Thema Sicherheit: Sind die Kunden zufrieden?
Wir fragen monatlich Kundenzufriedenheit ab, bei Fahrgästen, die gerade mit uns gefahren sind. Das Sicherheitsempfinden in München ist im Vergleich mit anderen Städten besonders hoch. Das hat auch mit unseren Zügen zu tun, die jetzt nach der Modernisierung noch heller und übersichtlicher sind.

Und Sicherheitspersonal?
Gerade in den Abendstunden setzen wir viel Personal ein. Das zahlt sich aus.

"Vom Unfall in Schäftlarn bin ich noch sehr geprägt"

Der Unfall von Schäftlarn, war das ihr schwärzester Tag als S-Bahn-Chef?
Ja. Das ist natürlich nichts, auf das man sich vorher einstellen kann. Ich war selbst vor Ort und ich bin immer noch von dem, was ich in jenen Tagen erlebt habe, sehr geprägt. Wir haben getan, was wir konnten und den Betroffenen unter anderem psychologische Betreuung angeboten. Jetzt unterstützen wir die Ermittlungsbehörden bei ihrer Arbeit.

Die politische Debatte klang schon am Tag nach dem Unglück so, dass auf einer eingleisigen Strecke eigentlich klar war, dass das irgendwann passiert. War ein solcher Unfall aus Ihrer Sicht auch zu befürchten?
Nein. Es gibt mannigfaltige Untersuchungen, die auch jüngst wieder gemacht worden sind. Die S-Bahn ist so sicher, wie ein Verkehrsmittel sein kann. Laut Studien 159 Mal sicherer als ein Auto. Ein Restrisiko wird es immer geben.

Also gibt es keinerlei Konsequenzen zu ziehen?
Im Moment laufen noch die Ermittlungen. Der Unfall wird untersucht und aufgearbeitet.

Die Fahrgastzahlen steigen wieder

Wann haben Sie wieder Fahrgastzahlen auf Vor-Corona-Niveau?
Wir sehen wieder steigende Fahrgastzahlen. Noch sind wir nicht wieder auf dem Niveau aus der Zeit vor Corona. Bundesweit liegt die Bahn in den Regionalzügen, zu denen auch die S-Bahnen zählen, bei etwa 75 Prozent. Bei der S-Bahn liegen wir noch leicht drunter, aber die Tendenz ist weiter steigend.

Die Leute arbeiten öfter von daheim.
Ja. Und das wird so bleiben.

Dann kaufen sie keine MVV-Monatskarten mehr.
Mir geht es vor allem auch um das Fahrgastpotenzial bei denen, die bisher gar nicht mit uns fahren. Aber auch denen, die nur noch zwei Mal die Woche ins Büro fahren, müssen wir gute Angebote machen.

Wie könnte das ausschauen?
Ich denke, dass es Richtung flexiblere Tarife gehen muss.

Büttner: "Bitte keine Streifenkarten"

Streifenkartenartig.
Bitte keine Streifenkarte, sondern was Digitales! Wir machen ja gerade einen großen Pilotversuch im MVV, was das Thema E-Ticketing betrifft. Ich glaube, es muss darauf hinauslaufen, dass es egal ist, ob ich einmal oder zweimal oder mehrfach am Tag fahre, ich bekomme immer den besten Preis. Ein weiteres Signal ist ja nicht zuletzt das 9-Euro-Ticket, das Bus- und Bahnfahren in diesem Sommer preislich so attraktiv macht wie nie zuvor.

Wie hoch muss der Spritpreis noch steigen, damit Sie Autofahrer dazu bekommen, S-Bahn zu fahren?
Wir spüren ja jetzt schon, dass mehr Menschen auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen, wenn der Spritpreis steigt. Von mir aus kann der Spritpreis noch viel, viel höher werden. Aber es gibt ja andere Gründe, warum wieder mehr Menschen S-Bahn fahren. Die Corona-Regeln wurden gelockert, die Homeoffice-Regelungen verändern sich und ganz generell ist das Bewusstsein für klimafreundliche Mobilität weiter gestiegen.

Steigende Energiepreise betreffen auch den ÖPNV

Steigende Energiepreise werden auch die Öffentlichen teurer machen.
Energie wird auch im ÖPNV teurer. Was das für die Tarife bedeutet, kann ich aktuell nicht sagen. Unser Auftrag ist aber ganz klar: Verkehrswende und Klimaschutz. Das darf in diesen Zeiten nicht in den Hintergrund rücken. Unser Anspruch ist, dass die Leute Lust haben, vom Auto auf den ÖPNV umzusteigen.

Davon ist man mit Note Drei plus noch weit entfernt.
Keine Frage, wir haben noch viel zu tun.

Wie wird die S-Bahn für mehr Einpendler attraktiv?
Wir müssen die Mobilität stärker von Tür zu Tür betrachten. Dafür spielen zwei Sachen eine Rolle. Die Vernetzung mit den Zubringerbussen und der Ausbau in der Fläche, etwa von On-Demand-Angeboten, die ein Teil des ÖPNV werden müssen. Am wichtigsten scheint mir ein Ticket zu sein, mit dem ich von Tür zu Tür komme, also etwa auch On-demand-Shuttle oder ein Leihrad benutzen kann.

Erstaunlich kleiner Netz-Ausbau?

Wenn man sich das S-Bahn-Netz anschaut, erstaunt es, wie wenig es in den 50 Jahren gewachsen ist. Muss es sich nicht deutlich ausdehnen - etwa bis Augsburg?
Das stimmt so nicht. Wir sind stark gewachsen, mit dem System fahren um ein Vielfaches mehr Menschen, als man damals erwartet hatte. Der Flughafen ist angebunden worden, es wurden neue Stationen gebaut und vor allem haben wir bei der Taktung eine deutliche Schippe draufgelegt, wir haben mit 40 Minuten angefangen, daraus wurden 20, inzwischen haben wir in der Hauptverkehrszeit einen Zehn-Minuten-Takt. Auch bei den Fahrzeugen hat sich unheimlich viel getan. Wir sind mit 100 Zügen gestartet, jetzt haben wir fast 300 im System.

Aber?
Aber trotzdem gebe ich Ihnen recht: Das System als solches, die Infrastruktur, hätte ruhig noch ein bisschen mehr mitwachsen dürfen. Aber genau das passiert ja jetzt auch.

Wie sieht das aus?
Es geht zum Beispiel um die Frage, ob die S-Bahn nach Inbetriebnahme der Zweiten Stammstrecke weiter in die Region fährt.

Mögliche Erweiterungen nach Augsburg und Co.

Wohin?
Nach Augsburg, Landshut, Buchloe zum Beispiel.

Sind das Ihre drei Favoriten?
Das sind die Ziele, die vom Freistaat nach dem Start der Zweiten Stammstrecke vorgesehen sind. Und es soll einen durchgehenden 15-Minuten-Takt geben mit zusätzlichen Express-S-Bahn-Zügen. Und das wird das Angebot dann noch mal deutlich ausweiten.

Für München-Augsburg-Pendler dürfte eine S-Bahn eh unattraktiv sein, der Zug braucht ja nur eine halbe Stunde.
Es geht da um Express-Bahnen, die nicht überall halten, wo heute die S-Bahn hält. Aber das ist ohnehin noch Zukunftsmusik. Wir müssen auf dem Weg bis dahin unser Angebot verbessern.

Auch nach Pasing soll ausgebaut werden

Wie sieht das zum Beispiel aus?
Wir werden mit dem nächsten Fahrplanwechsel im Auftrag des Freistaats den 20-Minuten-Takt noch weiter ausbauen am Wochenende und in den Abendstunden. Heute ist unser Nadelöhr die Stammstrecke, aber auch der Zulauf von außen ist wichtig, etwa der Ausbau von Pasing nach Eichenau.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Stammstrecke 2028 in Betrieb geht wie aktuell geplant?
Der Zeitplan wird aktuell überprüft. Basis hierfür sind die mit Stadt und Land 2019 gemeinsam beschlossenen Optimierungen, um das Projekt noch zukunftsfähiger zu machen.

Die meistbefahrene Eisenbahnstrecke Europas

Wie eng kann der Takt überhaupt noch werden, geht auf diesen Gleisen mehr als zehn Minuten?
Stand heute sind 30 Züge pro Richtung auf der Stammstrecke das Höchste. Sie ist die meistbefahrene Eisenbahnstrecke Europas. Mit der Zweiten Stammstrecke können wir durch die Stadt natürlich mehr Züge fahren. Aber auf den Außenästen ist das zum Beispiel in eingleisigen Bereichen schon schwieriger. Aber auch dort wird ja jetzt ausgebaut.

Was tun Sie aktuell, um von der Drei plus auf eine Zwei zu kommen?
Wir warten nicht einfach nur auf die Zweite Stammstrecke, sondern wir machen schon vorher die S-Bahn neu. Wir sind zum Beispiel dabei, für den Freistaat eine neue Flotte zu beschaffen.

Was sind wichtige Verbesserungen für die Fahrgäste?
Für unsere Fahrgäste soll es möglichst viel Platz und Komfort geben. Die neuen Züge werden durchgängige Langzüge von mehr als 200 Metern.

So lang wie heute drei Züge sind, ist dann immer einer?
Ja, so schaffen wir auch mehr Platz, weil Führerstände wegfallen. Wir brauchen insbesondere Bereiche, in denen man stehen kann, aber eben auch sitzen. Gute Fahrgastinformation, schnelles Ein- und Aussteigen, das ist wichtig.

Eine neue Leistelle für schnellere Fehlerbehebungen

Wann kommen die neuen Bahnen aufs Gleis?
Die Ausschreibung läuft noch, dann müssen die Züge konstruiert und gebaut werden. Unser Plan ist, dass die ersten Züge Ende der 2020er Jahre zur Verfügung stehen. Was wir gerade aktuell angehen, ist unsere neue Leitstelle, die an Pfingsten in Betrieb geht. Damit können wir bei Störungen deutlich schneller reagieren - und die Fahrgäste besser informieren.

Auch den Fahrgast Heiko Büttner, der sich dann weniger am Bahnsteig ärgern muss.
Genau.

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