Münchner Run auf Jodtabletten - warum das nicht sinnvoll ist

Aus Angst vor einem Atomangriff bunkern einige Münchner jodhaltige Tabletten. Das ist unnötig und sorgt für Lieferengpässe.
von  Ruth Frömmer
Der Riemer Apotheker Moritz Lauterbach rät davon ab, Jod einzunehmen, um sich vor einem Super-GAU zu schützen. Das sei nicht sinnvoll.
Der Riemer Apotheker Moritz Lauterbach rät davon ab, Jod einzunehmen, um sich vor einem Super-GAU zu schützen. Das sei nicht sinnvoll. © Daniel von Loeper

München - In den vergangenen beiden Jahren gab es einige Pandemie-bedingte Hamsterkauf-Wellen. Zuerst war es Klopapier, dann Masken, Desinfektionsmittel und Schnelltests. Aktuell decken sich viele Menschen mit Jodtabletten ein.

Angst vor einer Reaktor-Katastrophe - verstärkte Nachfrage nach Jodtabletten

Das hat nichts mit der Pandemie zu tun, sondern mit der Angst vor einer Reaktor-Katastrophe und radioaktiver Verstrahlung. Irrtümlicherweise denken viele, sie könnten ihre Schilddrüse prophylaktisch vor radioaktivem Jod in der Luft schützen. In einigen Apotheken sind bestimmte Jodpräparate deshalb zur Zeit vergriffen. Und das unnötigerweise.

Auch Moritz Lauterbach von der Saniplus Apotheke in Riem beobachtet eine verstärkte Nachfrage nach Jodtabletten. Nicht alle Kunden sagen ihm, wofür sie die Tabletten benötigen. "Aber wenn jemand kommt und Jod zum Schutz der Schilddrüse vor einem Kernangriff kaufen möchte, dann raten wir ab", sagt der Apotheker ganz klar.

Die Dosierung von handelsüblichem Jod ist zu gering

Zum einen aus Rücksicht auf Menschen, die tatsächlich regelmäßig Jod einnehmen müssen. Aktuell befürchtet er in seiner eigenen Apotheke noch keinen Lieferengpass, aber wenn die aktuelle Panikmache weitergehe, könnte es so kommen.

Lauterbach gibt zu bedenken, dass die Dosierung des in Apotheken verkauften Jods - in der Regel 100 bis 200 Mikrogramm - im tatsächlichen Fall einer Freisetzung von radioaktivem Jod in der Luft nicht ansatzweise ausreichen würde, die Schilddrüse zu schützen.

"Wir haben mal versucht auszurechnen, wie viele hoch dosierte Tabletten mit 65 Milligramm Jod man im Ernstfall schlucken müsste. Das wären mehrere Hundert. Das könnte ohnehin keiner schlucken", so Lauterbach. Und Prophylaxe ergebe in diesem Fall ohnehin keinen Sinn. Denn man muss die Tabletten im Ernstfall zum richtigen Zeitpunkt einnehmen.

Jodtabletten: Das sagt das Bundesamt für Strahlenschutz

Auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) rät auf seiner Internetseite dringend von der Einnahme von Jodtabletten ab. Sollte Radioaktivität nach Deutschland gelangen, würden sich die Notfallmaßnahmen voraussichtlich zuerst auf die landwirtschaftliche Produktion erstrecken.

Laut Berechnungen des BfS sind weitergehende Maßnahmen, die zum Schutz der Bevölkerung notwendig werden würden, nicht zu erwarten. Und wenn doch, heißt es dort weiter, seien in Deutschland 189,5 Millionen Jodtabletten in den Bundesländern bevorratet. Bei einem Ereignis, bei dem ein Eintrag von radioaktivem Jod in die Luft zu erwarten ist, würden diese in den möglicherweise betroffenen Gebieten durch die Katastrophenschutzbehörden verteilt.

Warnung vor Selbstmedikation mit Jod

Vor einer Selbstmedikation mit hoch dosierten Jodtabletten warnt die Behörde ausdrücklich: "Sie birgt erhebliche gesundheitliche Risiken, hat aktuell aber keinen Nutzen." Auch Apotheker Lauterbach gibt zu bedenken: "In unserer Gesellschaft sind wir aktuell gefährdeter an Überfluss zu sterben als an Mangel."

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.