Münchner rettet Tochter und Ex-Frau aus der Ukraine: "Wir wollten nur raus"

München - Jetzt sind sie in Sicherheit. "Wir haben es warm und trocken und wir haben eine Dusche", sagt Uwe M. (65). Er atmet tief durch. "Alles ist gut."
In der Nacht zum Mittwoch sind sie am Münchner Hauptbahnhof angekommen: Sabina (10) mit ihrem Stoff-Pinguin im Arm, ihre Eltern mit Handgepäck. Völlig übermüdet, erschöpft, unendlich erleichtert. Vier Tage und vier Nächte Flucht haben sie da hinter sich.
Flucht aus Kiew: Münchner holt Ex-Frau und Tochter in der Ukraine ab
Uwe M., der Reiseleiter aus München und Alla (35), Ukrainerin und Mutter seiner Tochter, hatten auch Jahre, in denen sie sich nicht gut verstanden haben. Als Sabina klein war, trennten sie sich. Doch das ist alles Vergangenheit.

Als Putin der Ukraine offen mit einem Angriffskrieg drohte, hatte der Münchner nur eines im Sinn: seine Lieben in Sicherheit zu bringen. Als andere Deutsche die ukrainische Hauptstadt bereits verlassen hatten, flog er hin.
Flucht aus der Ukraine: Münchner berichtet
Kiew am Donnerstag, 24. Februar, im Morgengrauen zwischen 4 und 5 Uhr: Uwe M. und Alla werden von Explosionen wach. "Zuerst dachte ich an Silvesterraketen." Später erfährt er, dass die ukrainische Luftabwehr russische Raketen zerstört hat. Im Radio wird durchgesagt, dass Kiew angegriffen wird.
Um 7 Uhr heulen die Sirenen. "Wir wohnen ganz in der Nähe einer Kaserne. Ich hatte Angst, dass die auch beschossen wird", berichtet Uwe M. Die Familie beschließt, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen. Die Wohnung liegt direkt an der Peremohy Avenue, der großen Hauptstraße nach Lemberg. Gen Westen ist die Straße dicht, ein einziger Stau, nichts geht mehr. Tausende versuchen, nach Polen zu fliehen. Die drei wollen zum Hauptbahnhof, er ist etwa zwölf Kilometer entfernt.
Uwe, Alla und Sabina versuchen es mit der U-Bahn. Doch Polizisten lassen niemanden ein- und aussteigen. Sie gehen zu Fuß zur nächsten Station.
Am Hauptbahnhof ist es brechend voll. Drei Stunden stehen sie an. "Wir wollten nur raus. Egal wohin." Uwe M. bekommt nur noch Tickets für den 1. März, nach Wien. 270 Euro zahlt er dafür. Notgedrungen macht sich die Familie wieder auf den Weg zur Wohnung. Sie kaufen noch ein paar Lebensmittel. Um 19 Uhr sind sie zu Hause.

Familie wird von Explosionen in der Nähe geweckt
Kiew, Freitag, 25. Februar, wieder wird die Familie von Explosionen geweckt. Die Eltern versuchen, online frühere Tickets zu bekommen. Sie ergattern welche nach Lemberg. Abfahrt: 22.20 Uhr. "Wir haben wieder gepackt, eine Decke, wenig Kleidung, nur das Nötigste." Sabina nimmt ihr Stofftier mit und ihre Ukulele. "Den Kühlschrank haben wir angelassen – in der Hoffnung, dass wir wiederkommen." Die drei nehmen ein Taxi zum Bahnhof. "An der Kaserne war die Straße mit spanischen Reitern blockiert" – großen Barrieren aus Eisen. Soldaten bereiten die Sprengung einer Straßenbrücke vor, um den russischen Truppen den Weg abzuschneiden. Das Taxi darf zum Glück passieren.
Hauptbahnhof Kiew, 18.20 Uhr: Die Familie ist früh dran. Der Vater will die Tickets für den 1. März zurückgeben. Wieder stundenlanges Schlangestehen. Nur mit Ach und Krach erreichen sie ihren Zug. Die Sitzplätze sind alle besetzt. "Wir haben die ganze Nacht auf dem Gang verbracht." Alla versucht auf einem Notsitz zu schlafen.
Der Zug fährt die ganze Nacht durch eine Ackerlandschaft, eine andere Strecke als üblich, nur die Notbeleuchtung ist an.
Samstag, 26. Februar, 7.50 Uhr: Ankunft in Lemberg, der Bahnhof ist übervoll. Die drei quetschen sich in einen Zug, der zur polnischen Grenze fahren soll. Nur in einem stickigen Maschinenraum voller lärmender Männer ist noch ein bisschen Platz. Sabina hat Angst, sie weint. Sie steigen wieder aus.
Chaos auf der Straße an der polnischen Grenze
Alla ruft eine Cousine in Lemberg an, diese will mit ihrer Schwester und der Großmutter (81) ebenfalls nach Polen. Zu sechst zwängen sie sich in einen Mazda. Da ahnen sie noch nicht, dass sie in diesem Kleinwagen mehr als 50 Stunden gemeinsam verbringen werden.
12 Uhr: Zwanzig Kilometer vor der polnischen Grenze geht nichts mehr – ein Endlos-Stau. Immer wieder drehen Autofahrer durch, fahren mit Warnblinklicht auf die Gegenspur oder drängen sich seitlich vorbei – was das Chaos vergrößert. Uwe M.: "In 24 Stunden sind wir drei Kilometer vorangekommen. Es war arschkalt, ich habe meine Beine nicht mehr gespürt." Wenn die Wartenden austreten müssen, sprechen sie mit anderen Wartenden. Zwei Kinder werden in dieser Nacht geboren, heißt es, und jemand sei gestorben.

Uwe M.: "Wir haben sehr viel Glück gehabt"
Montag, 28. Februar: Uwe, Alla und Sabina stehen immer noch im Stau. Sie wollen keine dritte Nacht im Auto verbringen, sie steigen aus, gehen die letzten acht Kilometer zur Grenze zu Fuß. Wieder Warten in eisiger Kälte. Die Menschen werden in Gruppen abgefertigt.
Hinter der polnischen Grenze geht’s per Bus nach Korczowa, dort haben Helfer in einem geschlossenen Shoppingcenter Feldbetten für die Flüchtlinge aufgestellt. Doch die drei steigen lieber in einen Bus nach Przemysl. Von dort geht’s mit dem Zug nach Krakau, Ankunft 22 Uhr.
Dienstag, 1. März, 2.33 Uhr: Die Familie bekommt Tickets nach Berlin. Sabina und Alla müssen nichts zahlen, nur Uwe M. Sie übernachten im Bahnhof in Krakau. Abfahrt nach Berlin 10 Uhr, Ankunft 17 Uhr. Drei Stunden später steigen sie in den letzten Zug ihrer langen Flucht, nach München.
Mittwoch, 2. März, 0.06 Uhr: Ankunft am Hauptbahnhof. Mit der U-Bahn geht's nach Schwabing. Seitdem macht die Familie vor allem eines: Ganz viel schlafen. Uwe M.: "Wir haben sehr viel Glück gehabt."