Münchner Politiker warnen: "Pflege wird zum Armutsrisiko"

Wer im Alter Unterstützung braucht, muss noch mehr zuzahlen. Schon jetzt können sich viele das nicht mehr leisten, warnen Politiker.
von  Sophie Anfang
Ein Betreuer geht in einem Pflegeheim mit einer Bewohnerin über den Flur.
Ein Betreuer geht in einem Pflegeheim mit einer Bewohnerin über den Flur. © Bernd Weißbrod/dpa/Symbolbild

München - Steigende Mieten, steigende Energiekosten, für viele Münchnerinnen und Münchner wird vom Netto in den kommenden Monaten deutlich mehr weggehen. Dabei wäre Sparen nicht nur für die Heiznachzahlung angezeigt, sondern auch für ein Thema, an das viele nur ungern denken: die Pflege im Alter.

Denn wie der am Donnerstag veröffentlichte Marktbericht Pflege der Stadt München zeigt, gehen hier die Kosten nur in eine Richtung: nach oben. Und das ist ein großes Problem, sagen auch eine Spitzenpolitikerin der Stadt.

Hohe Kosten für Münchner Pflegeeinrichtungen

Zu den Zahlen, die das Sozialreferat am Donnerstag dem Stadtrat vorgestellt hat: Untersucht wurden für den Bericht 84 voll- und teilstationäre Pflegeeinrichtungen in München. Das sind laut Stadt alle Einrichtungen, die es hier gibt.

Das Ergebnis ist ernüchternd. Für einen vollstationären Platz (7.966 davon gibt es in der Stadt) in einem Einzelzimmer müssen Pflegebedürftige deutlich mehr selbst zahlen als noch ein Jahr zuvor. Im Dezember 2021 betrug der Eigenanteil im Median 2.909 Euro pro Monat. Im Dezember 2020 waren es noch 2.804 Euro, ein Anstieg von mehr als 100 Euro und rund 3,7 Prozent.

Pflege in München wird immer teurer. Das zeigt der gestern veröffentlichte Marktbericht Pflege. Der Eigenanteil ist um 100 Euro gestiegen.
Pflege in München wird immer teurer. Das zeigt der gestern veröffentlichte Marktbericht Pflege. Der Eigenanteil ist um 100 Euro gestiegen. © Grafik: Sophie Anfang, Quelle: Sozialreferat

Pflegeversicherung trägt nur einen Teil der Kosten

Ein Teil des Eigenanteils entfällt auf den sogenannten pflegebedingten Aufwand. Und dieser hat im Vergleich sogar noch mehr angezogen. 2020 wurden im Schnitt noch 1.336 Euro im Monat verlangt, 2021 waren es 1.422 Euro. Die Pflegeversicherung trägt – anders als die Krankenversicherung – nur einen Teil der Kosten.

Für Heimbewohner kommen noch Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen hinzu. Seit 1. Januar gibt es neben den Zahlungen der Pflegekasse einen Entlastungszuschlag, der mit der Pflegedauer steigt. Der Eigenanteil nur für die reine Pflege sinkt so im ersten Jahr im Heim um fünf Prozent, im zweiten um 25 Prozent, im dritten um 45 Prozent, ab dem vierten Jahr um 70 Prozent.

Verena Diet warnt: "Pflege wird immer mehr zum Armutsrisiko"

Doch diese Entlastungen reichen nach Ansicht von Sozialverbänden nicht. Auch der Politik machen die steigenden Kosten Sorgen. Münchens dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) rechnet damit, dass die Kosten für Pflegebedürftige auch in den kommenden Jahren noch weiter steigen werden. "Steigende Energiekosten und die verpflichtende Tarifbezahlung in der Altenpflege, die nur teilweise durch Mittel aus der Pflegekasse finanziert wird, lassen die Eigenanteile der Pflegebedürftigen zusätzlich ansteigen."

Viele bringt das an den Rand des Existenzminimums. Schon jetzt können 36,5 Prozent der Betroffenen, die einen vollstationären Platz in einer Pflegeeinrichtung benötigen, diesen nicht selbst bezahlen. Sie sind auf Sozialhilfe angewiesen. "Pflege wird so immer mehr zum Armutsrisiko", warnt Dietl. Sie fordert, dass die Eigenanteile sinken müssen - und mittelfristig das komplette System überdacht wird: "Wir brauchen einen Wechsel zu einer Pflegevollversicherung mit gedeckelter Eigenbeteiligung."

Ebenfalls gestiegen, und das kann man als positive Nachricht sehen, ist die Zahl der verfügbaren Kurzzeitpflegeplätze. 85 davon gibt es, zwei mehr als noch 2020. Diese Plätze, die man im Voraus buchen kann, sind auch während der Coronazeit sehr nachgefragt gewesen. Die Auslastung lag bei rund 78 Prozent.

Auch Tagespflegeplätze gibt es mehr als 2020: Am Stichtag 15. Dezember 2021 waren es 431 Plätze in 22 Einrichtungen, das sind 15,2 Prozent mehr. Für den Stichtag 15. Dezember 2022 geht das Sozialreferat davon aus, dass es dann 23 Einrichtungen mit 465 Plätzen sein werden.

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