Münchner Pflegefall: Sohn scheitert mit Klage vor dem Bundesgerichtshof
München/Karlsruhe - Die letzten Jahre von Heinrich Sening († 82) waren schwere. Der demente Senior lebte in einem Münchner Pflegeheim, seine geistigen Kräfte schwanden, er konnte sich nicht mehr bewegen, nicht mehr mitteilen. Bis 2011 hielt ihn eine Magensonde am Leben.
Sein Sohn Heinz Sening ist der Meinung, das Leben seines Vaters wurde unnötig hinausgezögert und dadurch zur Qual. Er kämpfte nach dessen Tod um Schmerzensgeld und Schadenersatz und zog bis vor den Bundesgerichtshof.
BGH-Richter: Ein Weiterleben ist kein Schaden
Am Dienstag verkündeten die Richter ihr Urteil. Das sieht so aus: Ärzte haften grundsätzlich nicht mit Geld, wenn sie einen Patienten etwa durch künstliche Ernährung länger als medizinisch sinnvoll am Leben erhalten und damit sein Leiden verlängern. Es verbietet sich laut Bundesgerichtshof generell, ein Weiterleben als Schaden anzusehen. Deswegen wiesen sie die Klage auf Schmerzensgeld und materiellen Schadenersatz ab.
Der Sohn, der selbst Kranken- und Altenpfleger ist und in den USA lebt, hält es für einen Behandlungsfehler, dass sein Vater ohne jede Aussicht auf Besserung jahrelang weiter per Magensonde ernährt wurde. Eine Patientenverfügung lag nicht vor.
Bundesärztekammer: "Es gibt kein lebensunwertes Leben"
Die Klage richtete sich gegen den Hausarzt. Dieser sollte mindestens 100.000 Euro Schmerzensgeld zahlen und Behandlungs- sowie Pflegekosten von mehr als 52.000 Euro erstatten. Das Oberlandesgericht München entschied 2017, dass der Arzt die Sondenernährung nicht einfach hätte weiterlaufen lassen dürfen, ohne die Situation mit dem bestellten Betreuer gründlich zu erörtern.
Es sprach dem Sohn 40.000 Euro Schmerzensgeld zu. Dem wollten sich die BGH-Richter nun nicht anschließen. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sagte am Dienstag: "Es gibt kein lebensunwertes Leben, das als Schaden qualifiziert werden kann."
Maßgeblich bei Entscheidungen über lebensverlängernde Maßnahmen sei der Wille des Patienten. Jeder könne für sich individuelle Grenzen ziehen.
Anwalt des Klägers: "Das ist ein Skandal-Urteil"
Der Bundesgerichtshof hat entschieden. Allerdings anders als vom Kläger und dessen Anwalt erwartet oder erhofft. Der Sohn des 2011 gestorbenen Münchner Patienten lebt in den USA, war zur Verkündung am Dienstag nicht in Deutschland.
Sein Rechtsanwalt Wolfgang Putz sagt zur AZ: "Er ist am Boden zerstört. Er wollte seinen Vater rehabilitieren, ihm posthum Gerechtigkeit verschaffen." Putz kritisiert das Urteil scharf, er nennt es "abstrus". Er erklärt der AZ auch, warum: "Die Begründung ist ein Skandal-Urteil, weil es ein Rückschritt zum Medizinrecht von vor 25 Jahren ist."
Er bezieht sich dabei auf die Formulierung in der BGH-Mitteilung, das Leben sei "absolut erhaltungswürdig". Putz sagt: "Absolut bedeutet: ohne Rücksicht auf irgendwelche Bedingungen."
Anwalt des Klägers: Jetzt vors Bundesverfassungsgericht?
Dies gehe über den konkreten Fall, in dem es keine Patientenverfügung gab, hinaus: "Wörtlich genommen bedeutet das, ein Patient hätte gar kein Recht mehr, diese Erhaltungspflicht des Arztes durch eine Patientenverfügung zu verbieten. Völlig verrückt." Und weiter sagt Putz: "Das würde die Patientenverfügung wirkungslos werden lassen."
Was unstrittig ist, sind laut Putz die ärztlichen Leitlinien und Grundsätze der Bundesärztekammer. Die geben dem Arzt vor, immer wieder zu evaluieren, ob die Lebenserhaltung dem Patienten mehr nutzt oder schadet. Putz: "Das ist das Gegenteil von absolut erhaltungswürdig."
Man werde das endgültig abgefasste Urteil abwarten – das kann Wochen dauern – und dann abwägen. Denkbar sei der Weg zum Bundesverfassungsgericht. "Wir können so ein Fehlurteil nicht im Raum stehenlassen."
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