Münchner Pestizid-Rebellen stehen vor Gericht

München - Wenn dieser Prozess in Bozen beginnt, steht viel auf dem Spiel. Weil sie den hohen Pestizid-einsatz in den Südtiroler Apfelplantagen an die Öffentlichkeit gebracht haben, wurden bayerische Umweltschützer in Italien angeklagt. Doch sie wollen sich nicht "mundtot" machen lassen.
Es geht um "den Ruf der Südtiroler Landwirtschaft und seiner Erzeugnisse, die durch üble Nachrede" mit Fotos und Kommentaren zum Pestizideinsatz "geschädigt" worden sei. Es gebe auch keine "Monokulturen", außerdem seien "die Böden in den Obstbaugebieten nachweislich gesund".
Anzeige von Bozener Landesrat
So steht es in der Strafanzeige des Bozener Landesrats Arnold Schuler. Er ist von der konservativen SVP und für Landwirtschaft zuständig. Die dortige Staatsanwaltschaft hielt Schulers Anzeige für begründet und erhob Anklage.
Sie richtet sich nicht nur gegen den Holzkirchner Gemeinde- und Kreisrat der Grünen, Karl Bär. Der 35-Jährige ist Agrarexperte des Umweltinstituts in München.
Auch der bekannte österreichische Dokumentarfilmer Alexander Schiebel und dessen Münchner Verlag Oekom müssen sich vor Gericht verantworten. Sie hatten vor Jahren Plakate eines anderen Südtirols veröffentlicht. Statt saftiger Hänge voller Obst waren Bauern inmitten von Nebelschwaden aus Spritzmitteln zu sehen.
Abgebildet waren auch Radler mit Gesichtsmasken in weißen Schutzanzügen, die sie vor Pestiziden schützen sollten. Diese werden Naturschützern zufolge in enormen Mengen eingesetzt. Laut Bär werden Apfelplantagen bis zu 20 Mal pro Saison gespritzt. Er wies bereits 2017 im Umweltinstitut mit der Kampagne "Pestizid-Tirol" auf den Spritzmitteleinsatz im Obstanbau hin.

Mals im Vinschgau: Erste pestizidfreie Gemeinde Europas
Im selben Jahr erschien Schiebels Buch "Das Wunder von Mals". Darin erzählt er die Geschichte des Dorfes Mals im Vinschgau, dessen Bewohner sich mit großer Mehrheit per Bürgerentscheid zur ersten pestizidfreien Gemeinde Europas erklärt haben.
Sie machten allerdings die Rechnung ohne die mächtigen Bauernverbände, die Industrielobby und die Regierung: Das Verbot wird schlichtweg ignoriert, und die Aktivisten erfahren persönliche Anfeindungen, von Prozessen bis zur Sabotage.
Denn 7.000 Erzeuger sahen sich um ihr Geschäft mit Deutschland als größtem Importeur gebracht. Entsprechend sensibel reagierte man in der Politik auf die wenig imagefördernden Fotos. Der Klage Schulers schlossen sich 1.367 Obstbauern an.
Prozess: "Thema Pestizideinsatz wird endlich öffentlich diskutiert"
Nach italienischem Recht drohen den Angeklagten nicht nur Geld- und Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren, sondern auch Schadenersatzforderungen. "Angesichts der Vielzahl von Nebenklägern kann es dabei schnell um einen Millionenbetrag und damit um meine Existenz gehen", sagte Bär in einer Pressekonferenz der Beklagten gestern in Bozen.
"Pestizide sind in Südtirol offenbar nicht nur Gift für die Natur und die menschliche Gesundheit, sondern auch für die Meinungsfreiheit. Doch die Wahrheit auszusprechen ist kein Verbrechen, sondern ein Menschenrecht."
Ähnlich kritisch sieht dies offenbar die Staatsanwaltschaft München I, die ein Rechtshilfeersuchen ihrer Kollegen aus Bozen ablehnte, und zwar mit dem Hinweis auf die Meinungs- und Informationsfreiheit, verankert in der EU-Grundrechtscharta.
Auch für eine ins Feld geführte Verletzung von Rechten an der Marke Südtirol sah die Münchner Staatsanwaltschaft keine Hinweise. Am 15. September beginnt für Bär und seine Mitstreiter der Prozess. Darauf "freut" sich ihr Anwalt Nicola Canestrini, "weil dann das Thema Pestizideinsatz endlich öffentlich diskutiert wird".