Münchner Paar segelt über den Atlantik: "Auf dem Ozean ändert sich alles"

München - Thilo Thum hatte einen geregelten Alltag als Ingenieur für BMW, Alina Thum als Pädagogin in der Erwachsenen-Berufsbildung. Irgendetwas fehlte ihnen. Drei Jahre lang sparten sie, um ihren Traum zu verwirklichen: auf einem Segelboot gemeinsam die Welt zu erkunden. Ihren Alltag teilen sie auch auf Instagram unter "sailing_strawanza". Die AZ erwischte die beiden telefonisch in Südspanien.
AZ: Hallo, Frau Thum. Wo sind Sie gerade?
ALINA THUM: Almerimar, Südspanien. Wir starten in den nächsten Tagen über den Atlantik mit unserem Segelboot Strawanza.
Wann und wie haben Sie sich entschieden, alles stehen und liegenzulassen und ein Boot zu kaufen?
A: Wir haben 2021 geheiratet. Da fragten alle: Und kauft ihr jetzt ein Haus, bekommt ihr Kinder? Wir hatten eine schöne Wohnung in Neuhausen, aber einen befristeten Mietvertrag und befristete Jobs.
Aufs Land ziehen oder ein Boot kaufen
War das also die Gelegenheit, etwas völlig anderes zu machen?
A: Das spielte schon eine wichtige Rolle. Wir fragten uns zunächst: Sollen wir aufs Land ziehen? Können wir uns das leisten? Und ich hatte immer schon die Idee, bei einer Atlantiküberquerung mitzumachen.
THILO THUM: 2021 im Herbst haben wir uns dazu entschlossen, auf ein Boot zu ziehen.
Sie haben beide den Segelschein, oder?
A: Ja. Wir haben uns auch über das Segeln kennengelernt. Thilo war mein Segellehrer am Ammersee. 2015 war das.
T: Ich habe meinen Segelschein seit 2014. Schon als Kind bin ich viel auf Booten gewesen, mit meinen Eltern. Meine Mutter ist eine begeisterte Seglerin.

"Wir zahlen fürs Leben auf dem Boot monatlich 1.700 Euro"
War die Wohnungssituation ein Motiv, in See zu stechen?
T: Ja, definitiv. Wir wussten ja, dass der Zeitpunkt kommt, wenn der Mietvertrag endet. Eigenbedarf! Daher haben wir den Mietvertrag einfach auslaufen lassen. Zum 9. August sind wir aufs Boot gezogen.
A: Erst im Mai haben wir den Vertrag für das Boot unterschrieben.
Was haben Sie mit all Ihren Sachen gemacht?
T: Wir hatten keine Designermöbel, an denen unser Herz hing. Das meiste haben wir verschenkt.
A: Teilweise stellten wir die Sachen vor die Tür.
T: Wirklich interessant, wie wenig man braucht.
A: Wir haben aber auch viele Kisten eingelagert, 40 ungefähr, bei einer Freundin.
Eigenheim Boot
Wie kauft man sich denn ein Boot?
T: Dazu muss man wissen: Der Bootemarkt ist wie der Campermarkt. Völlig überhitzt. Wir wollten eigentlich in Deutschland losfahren, Ärmelkanal, Kanaren. Aber wir mussten kaufen, was wir bekamen. Wir haben unser Boot in Griechenland gekauft. Erst reisten wir nach Hamburg, weil die Eigentümer dort leben. Denen hing das Herz daran. Das ist ja kein Toaster. Die wollten es in guten Händen wissen. Dann sind wir gemeinsam runtergeflogen. Ab Juni haben wir das Boot gemeinsam fit gemacht. Refit wird das genannt.
A: Im Juli habe ich noch ganz normal gearbeitet.
T: Ist quasi unser erstes Eigenheim. 30 Jahre alt.
"Man weiß nie, wie alt man wird. Daher wollten wir jetzt segeln"
War das schon immer Ihr Traum, mal auf ein Boot zu ziehen?
A: Nein. Das hätte ich mir vor ein paar Jahren noch nicht vorstellen können. Die Voreigner haben es aus gesundheitlichen Gründen verkauft. Ihre Geschichte hat uns motiviert, unsere Pläne durchzuziehen. Die beiden sind früher in Rente, um mit dem Boot zu reisen. Das haben sie ein paar Jahre auch gemacht. Aber er ist inzwischen schwer krank. Sie fanden es gut, dass wir das in jungen Jahren machen wollen.
T: Die Jüngeren lassen sich auf so eine Tour eher selten ein. Viele Bootsleute sind eher vom älteren Semester.
Dachten Sie sich nach der Geschichte der Voreigner also: Jetzt erst recht?
T: Ja. Schließlich weiß man nie, wie alt man wird.
Im Vorfeld: Langwierige Planung
Was kostet so ein Boot eigentlich?
T: Mit allem, was wir reingesteckt haben, knapp 100.000 Euro. Im Vorfeld haben wir erst eine alte Wohnung in Landsberg gekauft, um sie zu renovieren und dann mit Gewinn weiterzuverkaufen. Wir haben hart für unser Projekt gearbeitet. Ich hatte teilweise drei Jobs, um uns alles leisten zu können. Das geht aber auch günstiger. Wir haben hier im Hafen ein paar Jungs kennengelernt, die für 30.000 Euro nach dem Abi ein Boot gekauft haben. Das hat dann aber nicht viel Komfort und ist sehr klein.
Wie finanzieren Sie das alles?
T: Hauptsächlich durch Erspartes. Wir wollten ursprünglich auch vom Boot aus frei arbeiten. Aber das ist unrealistisch.
"Ein Boot bedeutet sehr viel Arbeit"
Warum?
A: Ich glaube, vielen Leuten ist das nicht klar. Ein Boot bedeutet sehr viel Arbeit.
Wie lange möchten Sie auf der Strawanza leben?
T: Etwa ein bis zwei Jahre. Das ist auch wetterabhängig. Man kann nicht einfach losziehen und über den Atlantik segeln. Ende November bis Februar ist das Wetter sehr passend, durch den Nordostpassat. Der schiebt einen über das Meer nach Westen. Im Juli beginnt die Hurricane-Saison. Im Mai oder Juni werden wir also wieder zurücksegeln nach Europa.
Was kostet es pro Monat, auf einem Boot zu leben?
A: Wir müssen mit 1.700 Euro im Monat rechnen.
T: Hafenmiete, Betrieb, Essen, Ersatzteile.
Das ist deutlich günstiger als so manche Miete in München.
T: Definitiv. Der Haken ist: Wenn mal was am Boot kaputt geht, dann wird es richtig teuer.
A: Je nachdem, wo man ist, zahlt man für ein Ersatzteil ein Vielfaches des Marktpreises.
A: Wenn man zufällig auf einer Insel ist, kommen auch noch hohe Versandkosten dazu.
"Pakete und Briefe? Nur am Hafen. Keine Post liefert auf dem Meer"
T: Im September ging der Anlasser kaputt. Wir wurden zurückgeschleppt in den Hafen. Dann hatten wir zehn Tage Liegegebühren. Bis das Ersatzteil mal ankam, dauerte es. Wir waren zwei Wochen in einem Hafen auf Sardinien gefangen.
Eine Laienfrage: Warum braucht man beim Segeln einen Motor?
A: Wir sind auf den Motor angewiesen, bei Manövern im Hafen zum Beispiel.

Wie sieht Ihre Route aus?
T: Im August ging es los in Griechenland, wo wir ja das Boot abgeholt haben. Seither: Italien, Sizilien, Sardinien, Menorca, Balearen, spanisches Festland. Wir liegen gerade in Südspanien, bevor es über den Atlantik geht.
A: Almerimar ist ein beliebter Ort, um das Boot relativ günstig fit zu machen für die Atlantiküberquerung. Auch der Segelverein Trans-Ocean hat hier einen Sitz.
T: Er ist ziemlich groß, hat 4.000 Mitglieder. Und am Hafen hat man auch eine Postadresse.
A: Keine Post liefert mitten auf dem Meer.
20 Quadratmeter, 2 Zimmer, 2 Bäder
Was haben Sie eigentlich alles dabei?
A: Proviant für sechs Wochen, Ersatzteile, viele Werkzeuge. Eine Kabine ist voll mit Werkzeug.
Wie groß ist die Strawanza?
T: Sie ist zwölf Meter lang, zwei Schlafzimmer, zwei Bäder, mehr als in unserer Wohnung in München!
A: Dazu einen Salon in der Mitte, da ist es sehr ruhig. Hier schaukelt das Boot am wenigsten. Ist alles auf kleinem Raum, wenn man unseren Vorgarten, das Meer, nicht einberechnet. Wir haben auch eine Lotsenkoje. Es ist in etwa so, wie in einem größeren Wohnwagen.
T: Ich würde schätzen: 20 Quadratmeter haben wir insgesamt.
"Alles dauert länger als an Land"
Wie sieht der Alltag auf einem Segelboot aus?
T: Wie gesagt, es ist sehr viel Arbeit. Mehr als man denkt. Die Zeit geht viel zu schnell vorbei. Alle Aufgaben dauern auf einem Boot länger als an Land.
A: Gerade banale Dinge wie einkaufen. Man muss vom Boot runter, alles einpacken, aufs Boot bringen. Wir hatten bisher viel weniger Sightseeing, als wir uns vorgestellt hatten.
T: Auf dem Atlantik ändert sich dann auch alles schlagartig.
A: Da ist man komplett auf sich alleine gestellt. Wir müssen uns gegenseitig auch völlig vertrauen. Das ist, wie wenn man mit dem Wohnwagen durch die Wüste fährt. Wir müssen wachsam sein. Es gibt auch Orcas, die Segelboote angreifen und fahruntauglich machen.
T: Wenn wir in der Karibik ankommen und unser Boot fit ist, wollen wir die Inseln erkunden.
Hoffen Sie nach all der Arbeit auf Erholung in der Karibik?
T: So könnte man das sagen. Wir sind dann am Schluss ein Jahr unterwegs auf der Atlantikrunde.
"Segler vergessen schnell die schlechten Dinge. Das ist gut so"
Wie viele Boote fahren denn so über den Atlantik?
A: Wir sind natürlich nicht die Einzigen. Aber es sind jetzt keine Massen. Wir haben hier im Hafen schon fünf oder sechs Crews kennengelernt, die den gleichen Weg planen.
T: Auf dem Meer trifft man dann eigentlich auf keinen.
A: Es kann Tage dauern, bis jemand in der Nähe ist.
Welche Geräte haben Sie eigentlich an Bord?
A: Windgenerator, Solaranlage, Süßwasseranlage, Lithium-Batterien. Strom ist unheimlich wichtig, vor allem für GPS, für die technischen Geräte und für Trinkwasser.
Wie ist Ihre Gefühlslage?
T: Wir haben ein großes Ziel vor Augen, den Atlantik. Es herrscht große Vorfreude. Aber wir haben bisher auch viel geflucht. Man sagt: Segler vergessen schnell die schlechten Dinge. Das ist auch gut so.
A: Das Leben auf dem Boot ist extremer, egal ob es etwas Schönes ist oder etwas Anstrengendes. Die bislang schönste Nachtfahrt hatten wir vor kurzem. Wir waren eigentlich nicht weit von einer Drogenschmuggel-Route. Auch Orcas waren nah. Aber: Delfine haben uns begleitet. Das Wasser leuchtete durch Leuchtplankton. Alles ging gut. Trotzdem: Wind, Wellen, Sturm: Das Wasser ist immer für eine Überraschung gut.
"Wir vermissen München schon"
Wie geht's nach der Tour weiter?
T: Der Plan war, das Boot zu verkaufen. Aber man kann ja theoretisch auf dem Boot arbeiten, leben. Alles vorstellbar, wenn man dauerhaft an einem Hafen anlegt.
A: Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, wieder in München zu leben.
T: Wir vermissen München schon und haben im Boot ein Alpenpanorama aufgehängt. Und natürlich hängt auch die bayerische Flagge an Deck.
Wie feiert man Weihnachten auf einem Boot?
T: Wir werden da entweder noch auf dem Atlantik sein oder auf den Kanaren mit anderen Seglern feiern. Wir wissen es noch nicht genau.