Münchner Narrenfreiheit

  Der Münchner Fasching taugt nix, sagen die einen. Doch, er ist eine Riesen-Gaudi, sagen die anderen. Was stimmt? Die AZ hat sich auf einen Streifzug durch eine narrische Nacht in München gemacht  
von  Christian Pfaffinger
Sie kommen aus der Nähe von Ingolstadt und staunen über den Party-Wahnsinn im Funkhaus: Christine, Andrea, Sigi und Silvia.
Sie kommen aus der Nähe von Ingolstadt und staunen über den Party-Wahnsinn im Funkhaus: Christine, Andrea, Sigi und Silvia. © Daniel von Loeper

Der Münchner Fasching taugt nix, sagen die einen. Doch, er ist eine Riesen-Gaudi, sagen die anderen. Was stimmt? Die AZ hat sich auf einen Streifzug durch eine narrische Nacht in München gemacht

München - Morgens um kurz vor vier glitzert es silbern in der Schwabinger Sieben. Zwei Außerirdische tanzen zu einem Klassiker der Punkband Ramones. Breitbeinig stampfend, ausladend und mit glasigem Blick zappeln die beiden Kostümierten inmitten der anderen, recht dunkel angezogenen Gäste der dunklen Kneipe in der Feilitzschstraße. Der versprengte Rest vom Faschingsfest.

Der Münchner Fasching taugt nix, sagen viele. Seine Zeit sei vorbei. Und überhaupt: Man könne auch ohne Kostüm Spaß haben. Stimmt schon – einerseits. Aber es gibt auch diejenigen, die den Münchner Fasching lieben. Und das ganz unterschiedlich, wie man auf einem Streifzug durch eine narrische Nacht in München merkt.

Taps taps taps. Ein gscheckerter Knecht tätschelt im Takt auf den Po seiner ganz in weiß gekleideten Begleitung. Ein Stück weiter löffelt ein Wikinger mit stattlich gehörntem Helm eine Suppe. Und auf der Bühne kündigt Herzog Kasimir eine Einlage an.

Ritter Blasi hat die Hände auf seinem gewölbten Bauchpanzer abgelegt und schaut zu. Blasi ist ein Damischer Ritter, seit Jahrzehnten. Er ist mit der Gruppe „D’Schwanecker Rittersleit“ beim Damischen Ritterball der Münchner „Turmfalken“ im Löwenbräukeller am Stiglmairplatz.

„Fasching, des is Tradition“, meint er. Seine Gruppe habe keine Nachwuchsprobleme. Er deutet auf einen der Tische, an dem ein gutes Dutzend laut lachender Ritter um einen fünfarmigen Kerzenhalter herum sitzt. Sie sind aufwändig verkleidet, das gehört zum Ritterball dazu.

Am besten natürlich im ritterlich-wilden Mischmasch zwischen Mittelalter, Barock und Rokoko. Der Epochen-Schlendrian ist kein Faux-Pas, sondern Pflicht.

„Das ist selbstgenäht“, sagt Katharina, zeigt stolz ihr Rokoko-Pomp-Kleid und wedelt sich mit einem Fächer ein bisschen Wind in die schlohweiße Lockenperücke. Sie ist mit ihrer Freundin Susanne hier. Die beiden sind Mitte 20 und halten wenig von dem Vorwurf, die jungen Münchner gingen nicht mehr zum Fasching. „In meinem Umfeld sind es grad die Älteren, die daheim bleiben“, sagt Katharina. Braucht man den Fasching überhaupt noch, wenn man das ganze Jahr feiern kann? „Das ist doch ganz was anderes, so verkleidet“, sagt sie.

Hinter ihr läuft ein Schneewittchen mit Protz-Dekolleté vorbei. Zum Fasching darf’s eben auch mal ein bissl mehr sein. Wirklich sündig wird es bei den Damischen Rittern aber nicht. Die meisten hier wissen noch recht gut, mit wem sie herkommen sind. Anbandeln ist eher schwierig.

Leichter geht das im Funkhaus. Melanie ist Tierärztin, hat sich aber als Krankenschwester verkleidet. „Weil’s sexier ist“, sagt sie. Das findet auch Martin, mit dem sie ins Gespräch kommt. „Mir gefallen Schwestern“, sagt er. „Ich bin selbst Arzt.“ Ja, da schau her.

Martins eigentliche Begleitung ist ein paar Schritte weiter und schaut grantig zurück. „Also dann...“, sagt Martin, zupft sein rosa Orpheus-Kostüm zurecht und geht weiter.

Auf dem Funkball ist es voll. An dem Abend lädt Bayern 3 zum Faschingstreiben, und mit diesem Ball ist es wie mit dem Sender: Darauf können sich viele einigen.

Das Publikum ist gut gemischt und tanzt vor drei Bühnen. Im Foyer arbeitet eine Band die Klassikerliste aus Rock und Pop ab. In einem der Studios spielt eine Gruppe Schlager vom Typ Quetschn plus E-Gitarre. In einem weiteren Studio tönen mit House-Beats aufgemöbelte Pophits.

„Wir kommen aus dem Schauen gar nicht mehr raus“, sagt Christine etwas außer Atem und streicht über ihren schwarz-weißen Pünktchenrock. Sie kommt aus dem Altmühltal und hat die Eintrittskarten gewonnen. „Und jetzt ist es der Wahnsinn.“

Christine hat drei ihrer Freundinnen dabei – und eine Riesen-Gaudi. „Es ist ja so viel geboten hier in der Landeshauptstadt“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. „Und das Beste ist: Hier kennt uns keiner.“ Die vier lachen laut, dann geht es wieder in die Menge. Es ist halb eins und das Fest schon gut angeheizt.

Die Funkbälle sind eine Institution, der Damische Ritterball sowieso. Will man aber abseits der großen Bälle und der bekannten Veranstaltungen in München Fasching feiern, muss man ein bisschen suchen.

Etwa im Glockenbachviertel. Einmal von der Fraunhoferstraße zum Gärtnerplatz, über die Blumenstraße zum Sendlinger Tor, die Pestalozzistraße runter und die Jahnstraße wieder hoch. In den Bars: kaum eine Spur vom Fasching, abgesehen von eingetretenem Konfetti auf manchem Kneipenboden.

Es wird halb drei und die Suchenden beinahe ratlos, da winken zwei Kostümierte aus der Bar Rendezvous in der Müllerstraße.

„Haaaaaallloooo ihr zwei!“ In der Bar läuft „Ein knallrotes Gummiboot“ und am Eingang sitzen im knallroten Kostüm mit knallrotem Lippenstift Natascha und Tamara. Die Stewardessen begrüßen jeden Gast mit Küsschen.

Eigentlich heißen die beiden Volker und Stefan. Den Fasching finden sie super. „Verkleiden ist total witzig. Leider machen das immer weniger.“ Hier sind sie nicht die einzigen. „Was ist das hier für eine Feier“, ruft Volker über die Bar. „Grattlerball!“, kommt es zurück. „Aha“, sagt er. „Deswegen sind wir aber nicht da!“ Die Tür geht auf, die nächsten Küsschen.

In fast allen anderen Kneipen der Stadt geht es Faschingsnarren aber wie den beiden Außerirdischen in der Schwabinger Sieben: Sie sind die Ausnahme. Das stört aber keinen. Man kann zwar auch ohne Kostüm Spaß haben. Aber eben auch mit.

 

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