Münchner Missbrauchsgutachten: Bilanz mit Makel
München - Dieses Mal ist er da: Kardinal Reinhard Marx steht bei der Pressekonferenz Rede und Antwort, was seit der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens der Erzdiözese München und Freising passiert ist.
Ein Jahr zuvor, als das Gutachten vorgestellt worden war, war Marx nicht zugegen - und wurde dafür kritisiert. Denn das Gutachten offenbarte massive Fehler der Erzdiözese, die Täter schützten und weiteren Missbrauch ermöglichten. Auch Marx wurden Fehlentscheidungen angelastet.
Kirche geht nun in die Offensive
Heuer geht die Kirche in die Offensive, will keine Angriffsfläche bieten. Gleich zu Beginn stellt Marx klar: "Wir wollen an der Seite der Betroffenen stehen." Der Kardinal räumt sogar ein, dass die Erzdiözese zu wenig die Perspektive der Betroffenen berücksichtigt habe.
Gleich vor ihm sitzt Richard Kick, Sprecher des Betroffenenbeirats der Erzdiözese, der ruhig und aufmerksam Marx' Worten folgt. Und dem Image-Film, den die Erzdiözese zeigt. Doch es sind nicht nur schöne Bilder und Broschüren. Es ist tatsächlich was passiert. Eine Anlauf- und Beratungsstelle hat die Erzdiözese eingerichtet, um Betroffenen niedrigschwelligen und einfachen Zugang zu bieten. 316 Anrufe sind laut Erzdiözese im vergangenen Jahr eingegangen.
Da Missbrauch durch Kirchenmänner auch eine massive Erschütterung des Glaubens darstellt, gibt es seit Sommer 2022 zudem eine Stabsstelle, die sich um Seelsorge und Beratung von Betroffenen kümmert. An sie können sich auch Opfer von nicht sexualisierter Gewalt wenden. Zudem hat die Erzdiözese ihr Präventionsangebot weiter ausgebaut, um Kinder und Jugendliche besser zu schützen.
Betroffenen-Vertreter zeigt sich zufrieden
57 neue Meldungen sind seit Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens bei den unabhängigen Ansprechpersonen eingegangen, darunter fielen laut Erzdiözese auch Grenzverletzungen, die nicht unter sexuellen Missbrauch fallen.
Betroffenen-Vertreter Kick zeigt sich durchaus zufrieden: "Mir geht es deutlich besser damit als vor einem Jahr." Man habe mit den Kirchenvertretern eine gute Basis gefunden und vieles umsetzen können. Aber man sei auf einem guten Weg.
Woran es noch hapere, sei das Thema Anerkennungsleistungen und Antragstellung: "Es ist derzeit noch ein völlig untragbarer Zustand und für Betroffene sehr, sehr schwierig." Es gebe zwar Hilfe dabei, ein Formular auszufüllen. Aber was fehle, sei psychologische Unterstützung, etwa bei der Einordnung des Geschehens. Viele Betroffene blicken Kick zufolge auf ein zerstörtes Leben, aber erkennen nicht, dass dies eine Folge des Missbrauchs ist und sie eine Traumatherapie brauchen. Für falsch hält Kick auch, dass ehrenamtliche Kräfte den Missbrauch in der Kirche aufarbeiten. Kick will daher mehr erreichen, fordert auch von der Politik mehr Aufarbeitung und Engagement (AZ berichtete).
Dennoch ist der Tenor beim Pressetermin versöhnlich. Das ändert sich, als einige Journalisten unbequeme Fragen zum laufenden Verfahren in Traunstein stellen. Dort will ein Mann aus Garching an der Alz in einem Zivilverfahren klären, ob der kürzliche verstorbene Papst Benedikt, der Münchner Kardinal Friedrich Wetter sowie das Erzbistum München und Freising durch ihr Handeln oder Unterlassen in einem Missbrauchsfall zu Schadensersatz verpflichtet ist oder zumindest gewesen wären.
Der Fall betrifft jenen Pfarrer, der im Missbrauchsgutachten als "Fall X" geschildert ist. Laut einer Sprecherin des Landgerichts Traunstein wird das Verfahren gegen Benedikt vorerst ausgesetzt, bis ein Rechtsnachfolger feststeht. Dem BR liegt ein Schreiben vor, nach dem das Erzbistum versucht, die Klage mit Hinweis auf die Verjährung abzuwenden. Auf der Pressekonferenz führte dies zu großen Irritationen. Wie kann es einerseits heißen, dass die Betroffenen im Mittelpunkt stehen sollen - und zugleich wird eine lästige Klage auf diese Weise im Keim erstickt?
"Ich bin gerade völlig aufgewühlt"
Generalvikar Christoph Klingan reagiert entnervt auf mehrfache Nachfragen, bittet die Journalistin vom BR, das genannte Dokumente gründlich zu lesen. Sprecher Bernhard Kellner bittet um Verständnis, dass man sich zu dem laufenden Verfahren nicht äußern könne. Laut Amtschefin Stephanie Herrmann habe man die Klageerwiderung noch gar nicht abgegeben. Höchst irritiert zeigt sich Michaela Huber, Vorsitzende der Unabhängigen Aufarbeitungskommission, im Gespräch mit der AZ auf den Vorfall hin: "Ich bin gerade völlig aufgewühlt."
Im Nachgang stellt sich heraus, dass besagtes Schreiben eine Antwort auf den Vorschlag des Klägeranwaltes für eine außergerichtliche Einigung ist. Wie das Erzbistum sich offiziell zu der Klage verhält und ob es eine Verjährung geltend macht, ist noch offen.
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