Münchner Mieterstammtisch: Frust in allen Schichten
"Schwabing ist auf den ersten Blick: schön", sagt Christian Schwarzenberger. Der 31-Jährige moderiert zusammen mit Vanessa Sander, ebenfalls 31, den zehnten Mieterstammtisch. Knapp 80 Interessierte sind am Dienstagabend ins Vereinsheim in der Occamstraße gekommen.
Nicht nur Münchner Mieter berichten. Ein Berliner, der Impulse geben will für eine Selbstorganisation der Mieter gegenüber den Immobilienhaien hält einen Vortrag (s. unten). Er ist Teil einer Berliner Arbeitsgruppe, in der sich Mieter vernetzen. Derzeit strengen sie ein Volksbegehren an, um den Wohnungsbaugiganten Deutsche Wohnen zu enteignen (AZ berichtete).
Früher, sagt Schwarzenberger, habe Schwabing eine lebendige Subkultur mit vielen Kneipen gehabt. Er erinnert auch an die Schwabinger Krawalle. "Wem gehört Schwabing heute? Den Schickimickis? Den Immobilienspekulanten? Der GBW?" Seine Antwort: "Schwabing gehört uns allen!"
Rund zehn Mieter kommen zu Wort. Auffallend: Die Zugehörigkeit zu sozialen Milieus scheint keine Rolle zu spielen im Kampf um bezahlbaren Wohnraum. Jeden kann es treffen. Da sind die Promotionsstudenten, die um ihr bröckelndes Wohnparadies bangen. Da ist der Wirtschaftsjurist, der über sieben Jahre mehrere Gerichtsverfahren zu überstehen hatte und letztlich 35 000 Euro verlor.
Da ist die Rentnerin, die sich mit ihren Mitmietern gegen den Abriss ihrer Wohnanlage gewehrt und den Stadtrat zum Handeln gezwungen hat. Da ist die Alleinverdienende, der nach 22 Jahren, wenige Jahre vor der Rente, gekündigt wurde, weil der Eigentümer mutmaßlich mehr Miete rausholen möchte. Der nächste Stammtisch soll im Herbst stattfinden.
Die Politik vor der Wahl unter Druck gesetzt

Renate Cullmann wohnt in der Wohnanlage Heimag in Harlaching in einem 50er-Jahre-Bau. Heimag ist eine Tochtergesellschaft der Gewofag, Münchens größter Wohnungsbaugesellschaft. Rund 220 Wohnungen bildeten die Anlage, sagt Cullmann. Dass es sie noch gibt, ist dem Engagement der Mieter zu verdanken.
Cullmann und ihre Mitmieter gehen über den politischen Weg gegen den Mietwahnsinn vor. 2013, ein Jahr vor der Kommunalwahl, sollte die Anlage abgerissen werden. Das ließen sich die Bewohner nicht gefallen: "Die Mieter haben eine Mietergemeinschaft gegründet und sich gewehrt", sagt die 70-Jährige, "mit Demonstrationen vor dem Rathaus und einer Befragung aller OB-Kandidaten." Das Anliegen schafft es auf die Tagesordnung, der Stadtrat beschließt, die Siedlung stehenzulassen.
Cullmann hofft nun bei weiteren Problemen auf einen ähnlichen politischen Effekt. Vor zwei Jahren seien die Betriebskosten erhöht worden, die Hausmeisterkosten gar um 70 Prozent, wie sie sagt. Seit der Übergabe an die Tochtergesellschaft seien die Kosten höher, der Service aber schlechter. Gegen die Erhöhung habe man Einspruch erhoben, Einsicht in Belege gefordert. Das Ziel der Mieter: ihr Anliegen in den Stadtrat bekommen, noch vor den Wahlen 2020.
Schön gelegen, aber gefährlich und baufällig
Marvin (28), Sonja (27) und Casandra (30) leben in einer Fünfer-WG in Schwabing-West. Marvin und Sonja promovieren, Casandra ist Assistenzärztin. Ihre Nachnamen und die genaue Adresse wollen sie lieber nicht in der Presse lesen. In ihrem Haus lebten hauptsächlich Studenten, sagt Marvin, in "kleinen, kompakten Zimmern", verteilt auf mehrere WGs. 400 Euro zahle sie für ihr Zimmer, sagt Casandra. Für Münchner Mietverhältnisse eher wenig.
Sonja berichtet von einer "tollen Gemeinschaft", einem "schönen, grün bepflanzten Hof". Leute kämen vorbei, "lesen dort Zeitung, trinken Kaffee, wir grillen total oft", sagt sie. "Der Hof ist der Dreh- und Angelpunkt", pflichtet Marvin ihr bei. Offenkundig ein schönes Areal.
Aber es hat auch Schattenseiten, die nichts mit der Atmosphäre und dem Umfeld zu tun haben. In der Nacht, als er schlief, seien mal Teile der Decke heruntergefallen, erinnert sich Marvin. In einer Nachbar-WG habe es mal ein halbes Jahr lang kein Warmwasser gegeben. Es gebe keine Zentralheizung im Haus, nur Elektroheizkörper. "Aber die Elektrik ist schon so alt, dass man die nicht dauernd laufenlassen möchte", sagt Sonja.
In manchen WGs gebe es kein eigenes Bad, das müssten sich dann mehrere Wohnungen teilen, sagen sie. Oder keine richtige Küche, in ihrer WG sei das mehr ein Provisorium, auf dem Gang.
"Das Haus ist baufällig", konstatiert Marvin, "niemand macht was." Es brauche keine Sanierung, sondern eine Instandsetzung. Sonja ist skeptisch, ob die Vermieterin umfassende Maßnahmen an dem Altbau durchführen würde: "Das wäre sehr teuer."
Was die WG aber vor allem beunruhigt, ist, wie es künftig mit dem Mietshaus weitergeht. Die Vermieterin sei schon sehr alt, sagen sie. Sie bekomme immer wieder Kaufangebote und wolle das Haus mutmaßlich an ihren Sohn übergeben. Der lebe in Kanada, sei auch schon einmal da gewesen und habe eine Sanierung angekündigt. Dennoch, nicht genau zu wissen, wie es weitergehe, beunruhige sie, sagt Sonja: "Man hat Angst." Aushänge oder einen Hausmeister, den man über etwaige Pläne befragen könnte, gebe es nicht, auch keine offiziellen Briefe seitens der Vermieterin.
Von der mutmaßlichen Übergabe an den Sohn habe man "über drei Ecken" erfahren, sagt Sonja. Bei akuten Problemen, etwa im Abwassersystem, wende man sich eigeninitiativ an einen Klempner. "Der ist sehr nett", sagt sie. "Das zahlt die Vermieterin dann auch." Trotz aller Probleme wollen beide so lange wie möglich bleiben. Denn wie Sonja sagt: "So was findet man in München sonst nicht."
Wut wegen mutmaßlich vorgetäuschtem Eigenbedarf

Margarete Tausch ist 57 Jahre alt und wohnt mit ihrem Mann in der Schleißheimer Straße 125. Vor zwei Monaten hat sie erfahren, dass sie ihre Wohnung kommenden Juli verlassen muss. Nach 22 Jahren. Wegen Eigenbedarf, habe ihr der 32-jährige Eigentümer mitgeteilt.
Sie wisse jedoch, dass er bereits eine Wohnung besitzt und vermute, dass er die Wohnung teurer weitervermieten wolle. 895 Euro zahle sie derzeit, sagt Tausch. Sie sei zwar Alleinverdienerin, verdiene aber nicht schlecht. "Ich hab ihm angeboten, 1100 Euro zahl ich." Darauf wollte sich der Eigentümer aber nicht einlassen. Er brauche die Wohnung, da sich so sein Arbeitsweg von 45 auf 30 Minuten verkürze, habe er gesagt. "Ich will noch sechs Jahre drin wohnen", klagt Tausch, so lange könne er doch noch warten. Sollte der Eigentümer den Eigenbedarf nur vortäuschen, dann erfahre sie das vom Hausmeister. "Wenn er nach einem halben Jahr auszieht, verklag ich ihn", sagt die 57-Jährige bestimmt. "Ich bin eine absolute Kämpferin."
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