Münchner Meilensteine aus 70 Jahren Reporterleben

München - Aus Tom-Mix-Hefteln stellen sich Karl Stankiewitz und seine Schulkameraden den Krieg wie eine Mordsgaudi vor. Die Münchner Bombennächte und eine brennende Oper belehren sie eines Besseren. "Nie werde ich diese Fahrten in die Hölle vergessen", schreibt Stankiewitz.
Zeitlebens wird der Autor und Journalist über aufkeimende rechte Umtriebe in seiner Heimatstadt berichten, aber auch über Kulinarisches auf dem Oktoberfest oder die Blumenkinder im Englischen Garten.
Jetzt hat Stankiewitz eine sehr persönliche Chronik des 20. Jahrhunderts vorgelegt. Anhand von Anekdoten aus 70 Jahren Reporterleben beleuchtet er wichtige historische Münchner Meilensteine. "Geschichte hat mich immer fasziniert. Dramatische Verläufe von Münchner Protestbewegungen sind in meinem Kopf-Computer ebenso gespeichert wie bayerische Königsmärchen", schreibt der Autor.
Nach dem Tod des Vaters zieht Stankiewitz nach München
Doch wie verschlug es Karl Stankiewitz überhaupt in die bayerische Landeshauptstadt? Ausschlaggebend dafür ist der Beginn der Industrialisierung. Stankiewitz' Großvater Franz Vogl stammt aus einem kleinen Dorf in Oberösterreich, "wo er als Hufschmied in der auslaufenden Postkutschenzeit immer weniger Pferde zu beschlagen hatte". Kurz nach 1900 in München angekommen, schult Vogl um – und wird Trambahnfahrer. Das elektrische Gefährt nennt Vogl "zeitlebens altmodisch Tramway". Die Mutter von Karl Stankiewitz wird 1902 geboren, sein Vater stammt aus Posen. Wilhelm Stankiewicz (damals noch in polnischer Schreibweise) kehrt traumatisiert aus dem Ersten Weltkrieg zurück, arbeitet später als Funktionär für die "Christlichen Gewerkschaften" und die Zentrumspartei.
1928 wird Karl geboren. Bis 1937 lebt die Familie in Essen. Nach dem Tod des Vaters, der nach einem Schlaganfall geflüstert haben soll, "diesen Weltkrieg könne Deutschland angesichts einer Welt von Feinden genau so wenig gewinnen wie den vorigen", ziehen Mutter und Kinder nach München.
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Zu Kriegsbeginn ist Stankiewitz elf Jahre alt
Die NS-Zeit verbringt der Bub in verschiedenen Institutionen. Zunächst geht es ins Landerziehungsheim Grunertshofen. "Da ging es noch sehr katholisch zu: von der täglichen Morgenmesse bis zur Abendandacht", schreibt er. Im Oktober 1938 tritt er ins sogenannte "Jungvolk" ein, die Kinderabteilung der "Hitler Jugend". "Widerwillig hatte meine in Salzburg geborene, dem NS-Regime eher feindlich gesinnte Mutter die vorgeschriebene Pimpf-Uniform gekauft."

Zu Kriegsbeginn ist Stankiewitz elf Jahre alt. Mit anderen Buben wird der Halbwaise ins "Städtische Kinder-Asyl" an der Hochstraße gebracht. Die Jugend in Kriegszeiten erlebt er im Zwiespalt. Zuhause bei den Großeltern im Schlachthofviertel sind "die Hitlers" verhasst, in der HJ rückt Stankiewitz zum Jungenschaftsführer auf. Er bleibt im Zwiespalt.
Und wird 1947 Reporter. Stankiewitz bleibt es bis heute. Im Folgenden zeigen wir Geschichten des großen Reporters.

Am 14. Dezember, 11 Uhr, liest der Autor in der AZ, Garmischer Straße 35, aus seinem Buch. Wer zuhören mag, bewirbt sich (mit Name, Adresse und Telefonnummer) unter: marketing@az-muenchen.de
München: Wiederaufbau nach dem Krieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist München größtenteils zerstört. Der Wiederaufbau wird im sechsten Stock des Hochhauses an der Blumenstraße geplant. "Als tonangebend beim Wiederaufbau erwiesen sich denn auch die Traditionalisten. Die Denkmalpflege rangierte vor jeglicher Moderne", schreibt Karl Stankiewitz über die Stadtgestaltung während der Nachkriegszeit.
Münchens bauliche Großprojekte wurden vor allem in den 60er und 70er Jahren umgesetzt.
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In Münchner Vorstädten und in öffentlichen Parks rotteten sich Anfang der 50er Jahre Schüler und Lehrlinge zusammen. "Sie betranken sich, balgten sich, pöbelten Erwachsene an und versuchten bei Gelegenheit, ihr Mütchen an Polizisten zu kühlen", erinnert sich Stankiewitz.
Von 1954 bis 1958 stieg die Jugendkriminalität in München demnach um 81 Prozent. Die erwachsene Generation ist ratlos und verweist auf unzureichend betreute Jugendliche – halb verwaiste "Schlüsselkinder" von berufstätigen Müttern. Vor allem in der Au bildeten sich die ersten Jugendbanden, die dann auf der Dult aufkreuzten, um Randale zu machen.
Bebilderte München-Reise durch die Jahrzehnte
Blutige Geschichten, große Prozesse

Als Korrespondent für Zeitungen außerhalb Bayerns hat der Autor oft im Gericht gesessen – eine Auswahl der Fälle.
Nicht immer ging es bei den spektakulären Prozessen, die in München verhandelt wurden, um Mord und Totschlag. "Oft spielten auch Kabale und Liebe eine Rolle, Korruption und ortstypische Gaunereien", schreibt Stankiewitz.
Wenn alles zusammentraf, saß Karl Stankiewitz freilich auf der Pressebank. Wie im Fall der Lebedame Vera Brühne. "Schon ab 5 Uhr morgens am 25. April 1962 bildete sich eine Warteschlange vor dem Justizpalast am Stachus", erinnert sich der Reporter. Die aus Essen stammende 51-jährige Hausfrau stand vor Gericht, weil sie in einer Villa in Pöcking am Starnberger See den Münchner Arzt Otto Praun und dessen Haushälterin und Gefährtin Elfriede Kloo ermordet haben sollte.
Brühnes Freund, ein Kölner Montageschlosser, soll ihr bei dem Doppelmord geholfen haben. Beide werden zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie leugneten zeitlebens die Tat. 1979 wurde Brühne vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß begnadigt. Aus heutiger Sicht gibt es mehrere Ungereimtheiten in dem Fall.

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