Münchner Kult-Wirtin Gerti aus der Fraunhofer Schoppenstube: Meine wilden Nächte

München - Sie ist die ehemalige Wirtin eines Kult-Lokals, dem zweiten Wohnzimmer hochkarätiger Stars; er ein erfolgreicher Film- und Kulturschaffender, der seine Visionen umsetzt und lebt: Gertrud "Gerti" Guhl, besser bekannt als die "Schoppenstubn-Gerti", und Moses Wolff.
Zwei Münchner Originale - ein Buch
Jetzt haben die zwei Münchner Originale zusammen ein Buch auf Beine gestellt: "Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da" (Hirschkäfer-Verlag, erscheint voraussichtlich am 15. Juni, 19,90 Euro).
Die AZ traf das befreundete Duo. Zumal Moses Wolff ja darüber hinaus am Freitagabend in dem von ihm mitverfassten, bayerischen Sketch-Comedy-Format "Fraueng'schichten" mit Angela Ascher (BR, 22.05 Uhr) zu sehen ist.

"Kommts rein", sagt Gerti Guhl und führt durch ihre Wohnung im Glockenbachviertel. "Die habe ich vor drei Jahren durch Stammgäste gefunden, ich hab ja davor in Germering gewohnt, das war mir aber ohne meine Schoppenstubn, meine Großfamilie, wie sie immer nannte, zu einsam“, sagt die lebhafte Gastgeberin und streichelt ihr schwarzes Kätzchen Lady.
Fraunhofer Schoppenstube: Ein uriger Treffpunkt
Am 18. Mai wird sie 74, hat von 1973 bis 2012 die meist proppevolle Fraunhofer Schoppenstube in der Fraunhoferstraße 43 geführt. Erst gemeinsam mit Ehemann Werner, einem Musiker und Sänger - nach seinem Tod dann als Powerfrau alleine mit der guten Seele Anita Brackertz.

Das Nachtlokal in der Isarvorstadt war fast 30 Jahre lang der urige Treffpunkt für Film- und Geschäftsleute, Ärzte, Schauspieler, Taxifahrer, Musiker, Künstler, Journalisten, Nachbarn, Autoren, Polizisten, Studenten.
Ein Anekdötchen? Gerne: "Der Otti Fischer kam meist zu mir nach seiner Vorstellung im Schlachthof, danach ist er wo versumpft und kam dann mit einem Riesenhunger zu mir. Wenn ich ihn gesehen habe, habe ich gleich in der Küche Bescheid gegeben: Eine Riesenportion Fleischpflanzerl mit einem Berg Kartoffelsalat fürn Otti!"
Mit einem Glöckchen verschaffte sie sich Aufmerksamkeit
Ein Magnet für Menschen aller Art war die Schoppenstube, in der Gerti ihre Gäste geschickt miteinander verbandelte. "Buntgemischt, dazu gab es unterschiedliche Aufführungen und Themenabende. Um mir Gehör für die Ansagen zu schaffen, habe ich ein Glöckchen benutzt", erzählt Gerti und zeigt ihre Erinnerungsstücke: Ein Sammelsurium an Fotos, Plakaten, Pokalen, gemalten Bildern, die sie von Gästen geschenkt bekommen hat. Auf dem Balkon pflanzt sie Kräuter, der Blick in den begrünten Innenhof mutet mediterran an.
Ihr Handy piepst. "Ich habe noch Kontakt zu ganz vielen ehemaligen Gästen, viele sind Freunde geworden, ich schreibe täglich mindestens 20 WhatsApp-Nachrichten."

Moses Wollf: ein Wirbelwind auf allen Kanälen
Derweil sitzt Moses Wolff schon mit einem Kirschtee am Tisch und hält die feine, goldblättrige Porzellantasse hoch: "Damit haben wir quasi unser Buch geschrieben", erklärt er lachend. Der 51-Jährige ist ein Wirbelwind auf allen Kanälen, ist Komiker, Schauspieler, Kolumnist, Musiker, Autor, Regisseur. "Ich schreibe, spiele, inszeniere", so fasst es Wolff zusammen.
Gerti Guhl lacht und schwärmt: "Mei, der Moses, so ein Lieber, bei mir in der Schoppnstubn ist er kein einziges Mal negativ aufgefallen."
Im August 2012 erhielt sie die Kündigung der Hausherren, aus heiterem Himmel. "Ich war so entsetzt, des könnt ihr euch gar nicht vorstellen." Alles, wirklich alles, habe sie versucht, um die niveauvolle Boazn zu retten, sogar der damals noch amtierende Oberbürgermeister Christian Ude hat sich gegen die Schließung eingesetzt. Erreicht hat er nichts.
Ihren Arbeitsplatz vermisst sie jeden Tag
Warum? "Mei, er hat halt nur mit den Vermietern telefoniert, hätte eigentlich persönlich hinfahren und mit ihnen reden sollen, dann hätte es vielleicht geklappt", findet Gerti Guhl.
"Jedenfalls wollten dann sehr reiche Gäste das ganze Haus kaufen, mit der Bedingung, dass ich drinbleiben darf. Erst haben sie sechs, dann neun, dann elf Millionen verlangt." Ihren Arbeitsplatz vermisst sie freilich jeden Tag.
"Obwohl ich jetzt, durch Corona, froh bin, dass ich sie nicht mehr habe, ich würde baden gehen." Fast alle Ersparnisse habe sie verschenkt und gespendet, zum Beispiel für die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz für krebskranke Kinder und deren Angehörige in der Blutenburgstraße.
Zeitdokument und Kochbuch in einem
So, und nun zum Buch, dessen Idee sie lange unter Verschluss gehalten haben. "Wir reden nicht lang drüber, sondern machen einfach", bringt es Gerti auf den Punkt.
Nun ist es fertig, das Zeitdokument über die Schoppenstubn und das Leben der Wirtsleute, gemixt mit Rezepten aus Gertis Leben wie unter anderem Griasmus (Grießbrei).
Das Entstehen lief so ab, erklärt Moses Wolff: "Gerti hat erzählt, ich hab's aufgeschrieben. Wir haben uns drei Jahre lang regelmäßig getroffen und dann beschlossen, unsere gedruckten Gespräche im authentischen Bairisch zu lassen und mit hochdeutschen Untertiteln zu versehen. Das Buch soll unterhaltsam sein, das war unser Ziel."
Prominente Gästebucheinträge
Es beinhaltet unter anderem: Gästebucheinträge bekannter Persönlichkeiten, die in der guten Stubn verkehrten: von Rainer Werner Fassbinder über Karel Gott, Hella von Sinnen, Friedrich Ani, Udo Wachtveitl, Marcus H. Rosenmüller, Miroslav Nemec, Sigi Zimmerschied, Luise Kinseher, Andreas Gabalier, Konstantin Wecker, Dieter Hallervorden, Hannelore Elsner, Elisabeth Volkmann, Christian Springer, Heiner Lauterbach, Fredl Fesl, Bruno Jonas, Marianne Sägebrecht, Veronica Ferres, Joseph Vilsmaier, Jörg Hube, Frank-Markus Barwasser, Walter Sedlmayr, Barbara Valentin und Freddie Mercury.

Erinnerungen an Fassbinder
Moses erinnert sich: "Wenn der Fassbinder kam, musste vorher zugesperrt werden, er hat gestunken und war ziemlich ungepflegt." Einmal kam er besonders verlottert an, Gerti sagte zu ihm: "Heute haben Sie sich aber besonders rausgeputzt, Herr Regisseur."
Was befindet sich eigentlich heute in einstigen Kultkneipe? "Ein Antiquitätengeschäft mit einem sehr netten Betreiber", so Gerti, "der nix dafür konnte, auch wenn man ihn verfluchte, dass es mich dort nimmer gab."