Münchner Kriminalfälle: Ein alter Mann, der Kunstwerke zerstört

Man schreibt den 21. April 1988, als der Rentner Hans-Joachim Bohlmann, den eine Gehirnoperation und der Tod seiner Frau aus der Bahn geworfen hat, den von ihm sogenannten "römischen Tempel" betritt: Münchens Alte Pinakothek. Er eilt in den Dürer-Saal. Dort ist aber gerade eine Schulklasse. Bohlmann geht deshalb in den Rubens-Saal weiter.
Schwefel aus Sektflaschen
Hier wird ihm klar, "dass man so große Bilder nur teilweise zerstören kann und Rubens nicht so wertvoll ist", so sagt er es später den Ermittlern. Diese Erkenntnis führt ihn zurück zu Dürer. Er macht sich an die welt-rühmten "Vier Apostel" heran. Das große Doppelbild ist allerdings verglast - seit ein Verwirrter ein Messer in die ihn verfolgenden Augen von Dürers berühmtestem Selbstporträt gestoßen hat. Also wendet sich der Attentäter in einem menschenleeren Nachbarsaal anderen Objekten zu.
Aus zwei kleinen Sektflaschen spritzt er ätzenden Schwefel auf drei Gemälde, die - so später der Staatsanwalt - "zum kulturellen Erbe der Menschheit gehören": die "Beweinung Christi" (um 1500, eine Stiftung des Nürnberger Goldschmieds Glimm für sich und seine "zwey verstorbenen Weiber"), die Tafel "Maria als Schmerzensmutter" (ein zentrales Meisterwerk aus der Dürer-Werkstatt, das ursprünglich mit sieben Darstellungen aus dem Leben Jesu, inzwischen in Dresden, eine Einheit bildete) und die Mitteltafel des Paumgartner-Altars mit dem Monogramm AD.
Bohlmann wird von Schülern abgedrängt
Bevor Bohlmann seine Tat beenden kann, werden die Schüler auf ihn aufmerksam. Sie drängen ihn weg von den Bildern, Aufsichtsbeamte halten ihn fest. Er habe seinen Protest ausdrücken wollen, sagt er in der Vernehmung, weil ihm von seiner 900-Mark-Rente monatlich 158,60 DM abgezogen werden - zur Schadensregulierung. Bohlmann hatte schon 1977 mehrere Kunstwerke in Hamburg, Düsseldorf und Kassel beschädigt.
Diesmal ist die Schadensbilanz schrecklicher als damals: Bei dem aus drei Tafeln bestehenden Altar werden 40 Prozent Wertminderung ermittelt, bei der Beweinung 20 und bei der Schmerzensmutter 60 Prozent. Alle drei Kunstwerke seien nun "Ruinen, die nur noch einen Erinnerungswert haben", meint ein Sachverständiger. Für die Restaurierung berechnet er die Personalkosten auf 1,1 Millionen und die Sachkosten auf 200.000 Mark.
Bohlmann: "Ich will endlich leben"
Der Vorhalt des Richters, dass der Angeklagte diesen Schaden niemals wiedergutmachen könne und künftig von einem Existenzminimum leben müsse, kann Bohlmann nicht erschüttern: "Damit finde ich mich ab. Ich will endlich leben, bisher habe ich mich nur bewegt." Das Urteil entspricht dem Antrag der Verteidigerin: Der vermindert schuldfähige "Bilderstürmer" Bohlmann erhält eine Haftstrafe von zwei Jahren wegen Sachbeschädigung.
Noch vor der Strafverbüßung wird der seelisch gestörte Frührentner in der psychiatrischen Klinik Hamburg-Ochsenzoll untergebracht. Im Januar 1998 kann er bei einem Spaziergang ausbrechen. Großalarm in allen Kunstmuseen Europas. Zu den befürchteten neuen Anschlägen kommt es aber doch nicht, Bohlmann wird schnell in einer U-Bahn aufgegriffen.
Die Bilder werden aufwänfig restauriert
Die beschädigten Bilder befinden sich zu dieser Zeit noch im Doerner-Institut, wo sie in 23.00 Arbeitsstunden restauriert werden. Erst im Juli 1998 können die Altartafeln und die Beweinung öffentlich gezeigt werden, nun hinter Glas, wie auch der "Höllensturz" und Dürers Selbstbildnis, das schon Opfer eines Messerstechers geworden war. Die Wiederherstellung der Schmerzensmutter verzögert sich bis 2005, der Täter hatte es zu 60 Prozent bis auf den Holzgrund zerstört.
Im Januar 2005 wird Bohlmann aus der psychiatrischen Klinik in Hamburg entlassen; er war fast 16 Jahre eingesperrt. Ein Gericht gab seinem Freiheitsanspruch den Vorrang vor der möglichen Wiederholungsgefahr. Die großen Museen treffen "Vorkehrungen". Tatsächlich schlägt Bohlmann noch einmal zu. Am 25. Juni 2006 wird er abermals gefasst, nachdem er ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert im Rijksmuseum in Amsterdam verätzt hat. Das Gemälde beibt fast unbeschädigt.
Der Beitrag verwendet Textteile aus dem Buch "Die befreite Muse", von Karl Stankiewitz, Volkverlag.