Münchner Kleingartenverein-Chef: "Nicht nur Steinhaufen bauen!"
Milbertshofen - Eine stille Grünoase in Milbertshofen zwischen der lauten Knorr- und Ingolstädter Straße. 100 kleine Parzellen liegen hier aneinandergereiht, getrennt durch einen Grünzug, auf dem Radler Richtung Innenstadt sausen.
Drüben auf der Ostseite steht Friedrich Pils (72) in seinem persönlichen Kleinparadies, ein bissl bekümmert, dass die Unwetter der letzten Tage die Rosenblüten und Salatköpfe zerhauen haben. Den Enzian, der die Beete vor der Laube einfasst, hat der Starkregen auch ramponiert, überhaupt wächst der hin, wo er gar nicht wachsen soll. "Die Natur", sagt er, "ist halt keine Maschine, die macht, was sie will."
35 Jahre schon beackert er seine 240 Quadratmeter große Gartenparzelle, er kennt jeden Nachbarn und jedes Blümerl beim Namen. Friedrich Pils ist nicht nur Chef dieser Kleingartenanlage Nord-Ost 53 (eine von 82 im Stadtverband). Er ist auch Vorstand des Stadtverbands mit 11.000 Mitgliedern. Der Mann hat was zu sagen.
AZ: Herr Pils, wenn man sich hier so umschaut ...
FRIEDRICH PILS: Ja?
Sagen Sie, lebt eigentlich der Gartenzwerg noch?
Eingeschränkt. Es gibt schon noch ein paar Fans, aber die muss man suchen. Der Gartenzwerg hat zu oft zur Lächerlichkeit des Gartlers beigetragen, nicht zu seiner Freude. Jetzt stirbt er aus, vor allem bei der jungen Gartlergeneration.

"Mit einem Kleingarten spart die Familie einen Haufen Geld"
Was ist passiert, dass der Kleingarten sein Spießigkeits-Image verloren hat?
Die Jugend weiß heute, dass Obst und Gemüse, das du selber pflanzt, besser schmeckt und gesünder ist als das perfekt glänzende Zeug aus dem Supermarkt. Wir Kleingärtner sind seit 20 Jahren schon weg vom Giftspritzen, wir düngen auch nicht mehr. So blöd kann der Mensch doch nicht sein, dass er sein Essen spritzt vor lauter Angst, dass die Ernte kaputt geht. Wirtschaftlich ist so ein Kleingarten auch noch, damit sparst als Familie einen Haufen Geld.
Was kann man rausholen aus einer Parzelle?
Wenn man den Platz gut ausnutzt, braucht man in der Saison viele Sachen nie mehr kaufen: Äpfel, Birnen, Erdbeeren, Tomaten, Kohlrabi, Bohnen, Zucchini, Salat, Kräuter. So viel Salat kannst gar nicht essen, wie der Garten hergibt.
2.000 Münchner stehen auf den geschlossenen Wartelisten für 11-000 Parzellen. Wie viele Interessenten gibt's wirklich?
Wir wären in kürzester Zeit bei 4.000, wenn wir die Wartelisten nur für die Fördermitglieder öffnen würden, die schon zahlen, bevor sie einen Garten haben. Ich kriege jeden Tag Anrufe von Leuten, die fragen, wie sie an einen Garten kommen.
Die ältesten Anlagen sind über 100 Jahre alt in München. Die Letzte hat 2005 neu aufgemacht, in Riem. Reicht das?
Gar nix reicht. Riem hat gerade mal stolze 19 Parzellen bekommen, seither: nichts mehr. Obwohl jedes Jahr 20.000 Menschen mehr nach München ziehen. Ans Wohnungenbauen denkt die Stadt, aber dass es für die neuen Leute auch Kleingärten braucht, darum kümmert sich keiner. Beschämend ist das. Man kann doch nicht nur Steinhaufen bauen.
"München ist die Großstadt mit den wenigsten Kleingärten in Deutschland"
Wo steht München im Vergleich zu anderen Städten?
Wir sind die Großstadt mit den wenigsten Kleingärten in Deutschland. Wir haben 11.000 Schrebergärten, Frankfurt hat 16.000, Hamburg 36.000 und Berlin 67.000. Umgerechnet auf die Einwohner hat Frankfurt drei Mal so viele Kleingärten wie München. Und ich hab noch ein schönes Beispiel: In Nürnberg hat die Stadt den Kleingärtnern zur 100-Jahr-Feier 100 neue Parzellen geschenkt. Was gab es bei unserer 100-Jahr-Feier 2017 in München? Der OB Dieter Reiter war da. Warme Worte, sonst nix.
Aber die Stadt plant Parks und Grünzüge in Neubaugebieten - Flächen, die für alle da sind, nicht nur für Einzelpächter.
Kein Park bringt die Flora und Fauna einer Kleingartenanlage. Haben Sie in einem Park schon mal viele Igel, Wildbienen, Frösche und Lurche gesehen? Hier bei uns wohnt sogar ein Fuchs. Von den Singvögeln und Brutflächen ganz zu schweigen. Ein Park ist nett fürs Auge und zum Spielen für Kinder. Aber die Natur braucht Ruhe für Biodiversität, kein Park-Remmidemmi. Und eine Kleingartenanlage senkt die Temperatur im Viertel um acht Grad. Ich weiß nicht, wieso die Stadtplaner das nicht mehr bedenken.

Warum geht nichts vorwärts in München?
Der OB hat uns vor vier Jahren auf dem Herbstfest laut versprochen, dass wir im Neubaugebiet Freiham 150 neue Parzellen bekommen. Da kann ich nur sagen: Versprechen gebrochen. Neulich hat mir das Gartenbauamt gesagt: Nix wird's, es gibt keine Fläche. Dabei bräuchten wir jedes Jahr 150 neue Kleingärten, wenn die Gärten mit der Einwohnerzahl mitwachsen sollen. Die Stadt müsste für jedes kleine und große Neubauviertel automatisch welche mitplanen.
Wo denn?
Im Quartierspark in Neuperlach zum Beispiel. Oder in Pasing-Obermenzing in dem neuen Viertel an der Paul-Gerhardt-Allee. In Obersendling an der Tölzer Straße oder in Aubing, da gäbe es zig Beispiele, wenn man halt wollte.
"Rechtlich sind befristete Pachtverträge nicht drin"
Boden ist teuer in München, wären mehr Gemeinschaftsgärten keine Lösung?
Schaun Sie, bei Gemeinschaftsgärten läuft es oft wie bei Schulgärten. Die werden mit Tamtam eröffnet, und wenn du nach drei Monaten vorbeischaust, siehst du eine Wüste. Weil keiner zuständig ist. Ein Garten ist Arbeit. Da muss man sich kümmern. Da brauchst einen Verantwortlichen. Im Schrebergarten ist das so, darum funktioniert das auch.
Schrebergärten auf Dächern - wäre das eine Lösung für den Platzmangel?
Man kann Dächer begrünen. Notfalls kannst auch ein Hochbeet da raufstellen. Aber ein Apfelbaum, ein Kirschbaum, der Ernte bringen soll, braucht eine Tiefe im Boden. Auf Dächern sehe ich das, schon aus Sicherheitsgründen, nicht.
Im Kleingartenverein pachtet man unbefristet, quasi auf Lebenszeit. Warum verkürzen Sie die Verträge nicht, damit alle paar Jahre jemand anders übernehmen kann?
Weil das rechtlich nicht geht. Sie müssen sich das so vorstellen: Von den 82 Vereinsanlagen in München sind drei im Privatbesitz, eine gehört dem Freistaat, der Rest gehört der Stadt. Der Pächter pachtet die Parzelle beim Verband, der Zwischenpächter ist. Und der Grund ist durch das Bundeskleingartengesetz geschützt, das streng ist und uns unbefristete Verträge vorschreibt.
"Wer auf die Warteliste will, muss als Vorleistung Mitarbeit anbieten"
Ist das auch der Grund, warum die Regeln in den Gärten immer noch so streng sind? Dass es also keinen Strom in den Lauben gibt, keine Pools im Garten, kein WLAN?
Ganz genau. Wenn wir die Regeln aus dem Bundeskleingartengesetz in einer Anlage brechen, laufen wir Gefahr, den Schutz fürs Grundstück zu verlieren. Dann geht das ganz schnell, dass uns der Eigentümer kündigt, um den Grund zu bebauen oder teuer zu verkaufen. Da ist mir der Schutz wichtiger als der Luxus.
Im Moment müssen Interessenten mit Jahren Wartezeit rechnen. Wie kommt man noch auf eine Warteliste?
Man muss Kontakt zum Verein suchen, als Vorleistung Mitarbeit anbieten. Im Verein gibt's viel zu tun, Reparaturen, Feste organisieren, Gießhilfe für Urlaubszeiten. Leute, die nur eine Parzelle wollen aber dem Verein nichts bieten, mit denen können wir nicht viel anfangen.
Ein letzter Tipp: Wie macht man, fürs Erste, aus dem Balkon einen Schrebergarten?
Da geht viel. Sie können Cocktailtomaten, Kohlrabi und Erdbeeren in Töpfe setzen, Salat in Mini-Hochbeete, die auf kleinen Füßen stehen. Da brauchen Sie nicht mal Südseite, Osten reicht auch. Bunte Blumen dazu, dann kriegen Sie auch ein Schrebergartengefühl.
- Themen:
- Dieter Reiter
- München
- SPD