Münchner Innenstadtklinikum: Vorbereitung auf die Corona-Welle
München - Die Krankenhäuser bereiten sich auf eine Vielzahl an schwer erkrankten Patienten mit Covid-19 vor.
Dafür mussten andere Patienten entlassen und Dutzende nicht überlebensnotwendige Operationen gestrichen werden. Derzeit werden bereits 24 Menschen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben, im LMU-Klinikum behandelt. Sieben von ihnen liegen auf der Intensivstation. In der jetzigen "Phase 1" stehen dort insgesamt 50 Intensivbetten für Covid-19-Patienten zur Verfügung. Für sämtliche Patienten des Klinikums gibt es etwas mehr als 200 Beatmungsgeräte. Ralf Schmidmaier, Arzt und Vizedirektor der Medizinischen Klinik IV in der Ziemssenstraße, über eine Klinik im Notbetrieb.

AZ: Herr Prof. Schmidmaier, seit einer Woche ist Ihre Klinik auf dem Campus Innenstadt im Ausnahmezustand. Die Notaufnahme ist sonst voller Menschen. Jetzt ist kein Mensch hier. Im Neubau stehen Dutzende mit Plastikfolie verhüllte Betten. Wie würden Sie die Atmosphäre beschreiben?
RALF SCHMIDMAIER: Das Krankenhaus ist abgeriegelt. Wir haben jetzt Eingangskontrollen. Es gibt keine Besucher mehr. Nur noch die Mitarbeiter mit Ausweis dürfen hinein. Es ist absolute Stille hier, eine gespenstische Ruhe. Als ob die Vögel aufgehört hätten zu singen. Bizarr ist das. Jahrelang wurden wir gegeißelt von diesem Gesundheitssystem, möglichst viele Patienten zu behandeln und möglichst viele Betten zu belegen. Und seit einer Woche versuchen wir, möglichst viele Betten und Kapazitäten frei zu bekommen. Alles was Geld bringt, wird abgestellt. Wir versorgen nur noch die Patienten, die unbedingt versorgt werden müssen. Wir sind jetzt Corona-Klinik.
Sorge um die Nicht-Covid-Patienten
Operationen wurden abgesagt, Patienten weggeschickt. Was geht da vor in Ihnen als Arzt?
Da Ministerpräsident Söder ein Betretungsverbot erlassen hat, haben wir Termine, die Patienten bei uns hatten, abgesagt. Wir haben sie natürlich gefragt, ob sie glauben, dass das geht, wenn sie ein paar Wochen nicht zu uns kommen. Aber das ist eine Gratwanderung. Letztendlich bin ich ja verantwortlich. In der Ambulanz ziehen wir auch immer wieder welche raus, die schwer krank sind. Und die werden wir in der nächsten Zeit nicht mehr erkennen. Das bereitet mir Bauchschmerzen.

Sie können sie ja auch nicht weiterschicken, oder?
Nein, die kommen extra zu uns, weil es für niedergelassene Fachärzte zu kompliziert geworden ist. Viele chronisch Kranke betreuen wir über Jahre und Jahrzehnte. Wir haben alle angerufen, ob sie noch Rezepte brauchen und ihnen die Rezepte geschickt, damit sie versorgt sind. Wir haben auch eine Telefonsprechstunde. Aber was ist, wenn sie sich nicht melden? Das ist ein Kollateralschaden, der mir Angst macht: dass die Nicht-Covid-Patienten Schaden nehmen. Wir wissen ja nicht, wie lange das alles dauert.
Corona-Taskforce: Vorbereitungen für Covid-Patienten
Sie sind Mitglied eines klinikinternen Krisenstabs und einer Corona-Taskforce. Wie viel Zeit hatten Sie, um die Klinik in der Ziemssenstraße für Covid-Patienten vorzubereiten?
Knapp zwei Wochen. Jetzt ist alles vorbereitet mit freien Betten und Beatmungsgeräten. Wir sind im Standby. Wir warten.
Wo werden die Infizierten untergebracht?
Wir haben seit ein paar Jahren am Standort Innenstadt einen Modulbau. Der war notwendig, weil wir nebenan einen Neubau errichten und Übergangskapazitäten brauchten. Darin ist nun unsere Covid-Station mit 34 Betten untergebracht. Stand Sonntagfrüh lagen dort drei Patienten. Wenn sie voll ist, können in dem Bau noch weitere Stationen entstehen.
Wie viele Klinikbetten für Covid-19-Erkrankte gibt es in ganz München?
Ich glaube, die Frage kann derzeit niemand beantworten.
Was denken Sie, wann die Corona-Welle losgeht?
Wir rechnen jeden Tag damit.

Der erste schwere Coronavirus-Fall im LMU-Klinikum
Hatten Sie schon einen schweren Covid-Fall?
Unseren ersten Patientenkontakt hatten wir am 29. Februar. Wir waren neben der München Klinik Schwabing mit den Webasto-Patienten die ersten, die einen schweren Fall hatten. Seitdem arbeiten wir mit Hochdruck. Das Virus ist hochansteckend, ansteckender als das, was wir bisher kannten. Wir mussten die Verwendung von Schutzausrüstung trainieren und die Trennung von hochinfektiösen Patienten zu anderen. Das war alles wahnsinnig anstrengend und verbunden mit vielen Ängsten und Aufregung. Wegen der hohen Ansteckungsgefahr haben wir Reservisten-Listen erstellt. Es gibt Personal, das schon betroffen ist. Deshalb kann es relativ schnell gehen, dass wir eine zweite oder dritte Garde brauchen. So lange ein Patient nach dem anderen kommt, ist es kein Problem. Aber wenn an einem Tag 50 bis 100 Patienten kommen, wird es stressig.
Wie schnell wussten Sie, dass der Patient infiziert war?
Das Problem war: Er kam vom Skifahren mit Fieber und Atemwegssymptomen in die Notaufnahme. Nach damaligen Empfehlungen kam er nicht aus einem Risikogebiet und hatte auch keinen Kontakt zu Risikopersonen. Daher hat man mit der Testung bis zum nächsten Tag gewartet. Das hat damals absolut den Empfehlungen entsprochen, alles andere wäre falsch gewesen. Aber bis dahin gab es bereits Ansteckungen.

Wie viele haben sich angesteckt?
Von unserer Klinik drei Ärzte, sechs Schwestern und ein Student im Praktischen Jahr. Teils haben sie sich privat, teils an Patienten angesteckt.
Wie geht es dem Patienten vom 29. Februar?
Er ist immer noch in Lebensgefahr. Er liegt in Großhadern auf der Intensivstation, dorthin kommen die schweren Fälle. Der Mann ist 65, er war fit und in guter Kondition. Eine Woche vorher war er ja noch Skifahren.
Wie gut sind Sie im Kampf gegen das Virus personell aufgestellt?
Den größten Bedarf haben wir an Pflegepersonal, aber daran können wir wenig ändern. Für die Ärzte haben wir Reservelisten und einen Ansturm von Studenten. Sie werden sowohl Ärzte als auch Krankenschwestern entlasten, sie können zum Beispiel Blut abnehmen oder Infusionen legen. Als letzte Reserve haben wir noch Ärzte im Ruhestand. Aber mir wär’s am liebsten, wenn wir sie nicht einsetzen müssten. Wenn die Entwicklung langsam geht, dann hoffe ich, dass wir wieder genesenes und damit immunes Personal haben. In diesen Tagen bleiben viele zuhause und feiern Überstunden ab, da die Stationen leer sind. Sie sind immer erreichbar. Sie sollen sich erholen, bis wir sie brauchen.
Mundschutz-Pflicht: Schutz der Patienten und Kollegen
Warum tragen ab Montag alle Mitarbeiter Mundschutz?
Dabei geht es weniger um Eigenschutz als um den Schutz der Patienten und Kollegen. Auch wenn die Leute kaum symptomatisch sind, ist das Virus bereits sehr ansteckend. Wir haben an den Kontaktlisten positiv getesteter Mitarbeiter gesehen, zu wie vielen Personen Ärzte jeden Tag Face-toFace-Kontakt haben. Das war besorgniserregend. Wenn wir auch noch Kollegen anstecken, kann uns das das Genick brechen.

Können Sie bewältigen, was da auf Sie zukommt?
Das weiß keiner. Aber wir haben nicht mehr das Gefühl, dass wir überrollt werden. Ich glaube, dass das LMU-Klinikum alle Ressourcen, die es mobilisieren kann, zur Verfügung stellen wird. Auch was die Motivation und Psyche angeht. Die Leute sind gut vorbereitet. Wenn’s nicht reicht, dann reicht es nicht. Aber dann hätte man es auch nicht besser machen können. Alle haben bis zum Anschlag an den Konzepten gearbeitet. Jetzt warten wir, bis der Feind kommt.
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