Münchner Infektiologe Spinner über Lage in China: "Das ist kein Grund zur Sorge"
AZ-Interview mit Christoph Spinner: Der 38-Jährige ist Oberarzt am Klinikum rechts der Isar der TU. Zudem ist er Facharzt für Innere Medizin, Infektiologe sowie Chief Medical Information Officer.
AZ: Herr Spinner, ist die Corona-Pandemie jetzt "vorbei"? Nach welchen Kriterien bemisst sich das? Oder sollte es sich bemessen?
CHRISTOPH SPINNER: Formal kann nur die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Pandemie erklären respektive für beendet erklären. Zweifelsohne ist die Immunkompetenz der Bevölkerung nach Impfung und Genesung aber inzwischen spürbar gestiegen und die Gefährlichkeit von Covid-19 im Allgemeinen deutlich gesunken. So ist allein das Risiko, an Covid-19 zu sterben, von etwa 4,5 Prozent im Juli 2020 auf deutlich unter 0,5 Prozent im Dezember 2022 gesunken. Damit ist aus medizinischer Sicht zumindest der pandemische Teil zu Ende.
Spinner: "Basishygienemaßnahmen wie Händehygiene sind unverzichtbar"
Aber verschwunden ist Covid-19 damit doch noch längst nicht?
Sars-CoV-2 wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein viraler Erreger von Atemwegserkrankungen unter vielen bleiben. Auch in Zukunft werden immer wieder endemische Infektionswellen, wie wir sie beispielsweise gerade jetzt beobachten, auftreten. Dabei kommt es darauf an, auch in Zukunft besonders von einem schweren Covid-19-Verlauf gefährdete Personen, also ältere und chronisch kranke Menschen, beispielsweise durch Impfungen zu schützen.
Wäre es daher sinnvoll, die Maskenpflicht in vulnerablen Bereichen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen in Zukunft auch wegen anderer Infektionen beizubehalten?
Masken reduzieren vor allem das Risiko von Atemwegserkrankungen, wenn sie korrekt getragen werden. In Kliniken und Altersheimen wurden sie daher auch schon vor der Pandemie bei gesicherten Atemwegsinfektionen genutzt, um die Infektionswahrscheinlichkeit zu reduzieren. Allgemein hängt ein wirksamer Infektionsschutz vom Erreger und den Rahmenbedingungen ab. Hier ist weniger manchmal mehr: Nicht auf eine breite Wirkung, sondern auf möglichst gezielte Regeln kommt es an. Basishygienemaßnahmen wie Händehygiene sind unverzichtbar. Masken sind bei Atemwegserkrankungen - aber eben auch nur dabei - sinnvoll. Idealerweise regeln Einrichtungen solche sinnvollen Maßnahmen wieder selbst nach fachlichen Empfehlungen. Damit haben wir auch vor der Pandemie weltweit gute Erfahrungen gemacht.
Christoph Spinner: "Die Situation in China ist kein Grund zur Sorge"
Muss uns die Entwicklung in China Sorge bereiten wegen der zunehmenden Möglichkeit von Virus-Mutationen bei so vielen Infizierten?
Sars-CoV-2 wird sich weiter verändern und das Auftreten neuer Mutationen ist bei hoher Infektionslast jederzeit möglich. Dennoch ist das meines Erachtens kein Grund zur Sorge, denn unser Immunsystem ist nach Impfung und Infektion auch in der Lage, neue und noch unbekannte Virusvarian-ten in Schach zu halten. Und Menschen, die ein besonders hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben, werden sehr wahrscheinlich regelmäßig, beispielsweise jährlich, geimpft werden müssen.

Auf welche Krankheitserreger ist der gegenwärtig hohe Krankenstand in der Bevölkerung hauptsächlich zurückzuführen?
Derzeit sehen wir eine sehr schwere Welle an Atemwegsinfektionen, die vor allem durch die echte Virusgrippe Influenza, häufige Erkältungsviren wie Rhinoviren und RSV (Respiratorisches Synzytial-Virus) sowie andere humane Coronaviren verursacht wird. Sars-CoV-2 liegt nur noch auf Platz fünf der aktuell häufigsten Atemwegsinfektionserreger.