Münchner Hungerstreik: Das System implodiert
München - Volles Asylrecht oder Hungertod: Mit ihrer Maximalforderung haben die Streikenden auf dem Rindermarkt einen „Bärendienst“ erwiesen, befürchtet Günther Bauer von der Inneren Diakonie München.
Die Kompromisslosigkeit ihres Sprechers habe die Bereitschaft der Bevölkerung, Flüchtlinge aufzunehmen, womöglich verringert. Zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Denn die Stadt verzeichnet einen Flüchtlingsrekord – und die Betreuer der Neuankömmlinge stoßen an ihre Grenzen. Flüchtlinge, die es in den Freistaat geschafft haben, werden in so genannten Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, bis ihr Status geklärt ist – entweder im mittelfränkischen Zirndorf oder in München.
Das Problem: Die entsprechenden Häuser in der Baierbrunner Straße und der Bayernkaserne sind so voll wie nie. Aktuell brauchen 1200 Menschen ein Dach über dem Kopf – in den vergangenen Jahren waren es im Durchschnitt 850 bis 900. Um Platz zu schaffen, mieteten die Behörden zusätzlich ein Hotel in Neuaubing an. Außerdem gaben sie die Wohncontainer in der St.-Veit-Straße in Berg am Laim wieder frei, die das Sozialministerium vor Jahren wegen Hygienemängeln hatte schließen lassen.
Die meisten Flüchtlinge kommen derzeit aus Syrien, Afghanistan, Schwarzafrika und Tschetschenien nach Bayern. „Die Roma-Welle aus Serbien und Bosnien ebbt auch nicht ab“, sagt Lisa Ramzews, Leiterin des Sozialdienstes für Flüchtlinge der Inneren Mission. „Aufgrund der weltweiten Konflikte werden die Zahlen weiter steigen“, sagt sie. „Aber unser System ist schon jetzt implodiert.“ Massenunterkünfte schürten Aggressionen und Konflikte. Doch wer auszugsberechtigt sei, finde oft keine Wohnung. Ramzews: „Das betrifft etwa zehn Prozent der Menschen in den bayerischen Gemeinschaftsunterkünften. In München sind es vermutlich sogar 20 bis 30 Prozent.“
Nicht nur Platz ist Mangelware. Auch für die Beratung ist kaum Zeit. Derzeit liege der Betreuungsschlüssel bei 1:150, sagt Lisa Ramzews. In der Realität kümmere sich aber ein Sozialarbeiter um 180 Flüchtlinge. „Das heißt: Eine Viertelstunde Betreuung pro Woche. Da kann man nicht viel machen.“ In der Praxis bedeutet das, dass die Probleme der Menschen oft nicht rechtzeitig erkannt werden können. Ramzews erzählt von einer Familie, deren Kind das Down-Syndrom hat. Weil das aber niemand bemerkte, wurde die Familie auf einem Dorf untergebracht – fernab von jeglicher Fördermöglichkeit. „Migration ist Teil der globalen Realität“, sagt Günther Bauer.
Er sieht deshalb die Politik in der Pflicht: Man benötige mindestens eine weitere Erstaufnahmeeinrichtung in Bayern, mehr Personal und neben Artikel 16a „Kontingente, so dass Menschen nach Deutschland kommen können, um hier zu leben und zu arbeiten. Die Dauer-Themen Fachkräftemangel und Blue Card zeigen doch, dass wir Zuwanderung brauchen.“ Deshalb sollten auch Privatleute dazu beitragen, ausreichend Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Außerdem wünscht sich der Chef der Inneren Mission kürzere Anerkennungsverfahren, um die Flüchtlinge möglichst rasch weiterbilden und in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Lisa Ramzews: „Wir haben Fachkräfte hier. Wir müssen sie nur ausbilden.“[