Münchner Gotteskrieger: Er lebt noch bei Mama

München - Die Nachbarn dachten, die Familie mache Urlaub in der Türkei. Doch tatsächlich waren Samil A. und Farah H. mit dem Sohn (8) in einem Terrorcamp im Mittleren Osten. Das Paar ließ sich zu Gotteskriegern ausbilden. Zwei Monate kämpften sie nach Geheimdienstinformationen im syrisch-irakischen Grenzgebiet an der Seite der Dschihadisten. Bei ihrer Rückkehr wurde das Münchner Paar in Villach von der Polizei verhaftet.
Auf Facebook postet Samil A. ein Foto im Kampfanzug. Im August schickte er das Bild an Freunde. Stolz posiert er in Tarnkleidung mit einer Kalaschnikow in der Hand für die Kamera. Aufgenommen wurde das Foto irgendwo im Mittleren Osten. Aus dem freundlichen jungen Mann aus Sendling war ein zu allem entschlossener Gotteskrieger geworden.
In einem Terrorcamp der Islamisten ließ er sich ausbilden, lernte den Umgang mit Waffen und Sprengstoff. „Wir ermitteln wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat“, sagt die Münchner Staatsanwältin Judith Henkel. Laut Strafgesetzbuch § 89 a drohen dafür Haftstrafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.
Auch Farah H. und ihr achtjähriger Sohn Mohamed sollen sich in dem Terrorcamp aufgehalten haben. Unklar ist, ob sich die 33-jährige Mutter auch an Kämpfen beteiligt hat. Seit August hatte der Verfassungsschutz in Bayern das Paar aus München im Visier. Ein internationaler Haftbefehl wurde gegen die gebürtige Irakerin und den Deutschtürken beantragt.
Beide sind nach islamischem Recht verheiratet, nicht aber nach deutschem Recht. Als sich die Familie jetzt auf den Heimweg machte, schnappte die Falle zu. In der türkischen Hafenstadt Edirne stieg sie in den Autoreisezug nach Villach. „Die Tickets hatten sie unter ihrem Namen gebucht“, berichtet Judith Henkel, das Paar fühlte sich offensichtlich absolut sicher und unbeobachtet.
An der Station Maria Elend bei Villach warteten bereits Spezialkräfte der österreichischen Polizei. „Morgens um fünf Uhr wurden sie am Bahnsteig festgenommen“, berichtet ein Polizeisprecher und in Handschellen abgeführt. Die Aktion war mit den deutschen Verfassungsschützer minutiös abgestimmt, so die Polizei.
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Das Terror- Paar kam in der Justizanstalt Klagenfurt. Der Bub befindet sich in der Obhut des Jugendamtes. Alle drei sollen, sobald die juristischen Formalien geklärt sind, an die Ermittlungsbehörden in Deutschland überstellt werden. Vermutlich übernimmt die Generalbundesanwaltschaft den Fall.
Samil A. und Farah H. waren beide in der Münchner Salafisten-Szene aktiv. Das Paar engagierte sich für die Rechte der Moslems. Sie gingen gemeinsam zu Demos und Mahnwachen, sie beteiligten sich an Protestaktionen gegen den Tschetschenienkrieg, gegen die Unterdrückung und Ermordung der muslimischen Bevölkerung in der früheren Sowjetrepublik.
Der 20-Jährige ist zudem Aktivist bei der Salafisten-Kampagne „Lies!“. Am Stachus und in der Fußgängerzone verteilten er und seine Mitstreiter deutsche Übersetzungen des Koran an Passanten. Auch Farah H. (33) ist bei „Lies!“ aktiv.
Von der alleinerziehenden Mutter zu Islamistin. Farah H. lebt mit ihrem Sohn in einem Mietshaus im Schlachthofviertel. Eine selbstbewusste junge Frau. In einem Gastbeitrag schrieb sie noch im August 2011 für die Abendzeitung: „Mein Lieblingsplatz in München ist der Giesinger Bahnhof. Dort gehe ich jeden Tag in die Bäckerei, kaufe einen Kaffee und eine Butterbreze und setze mich manchmal draußen kurz hin, wenn die Arbeit mal später anfängt. Es ist dort sehr nett. Ich sehe fast jeden Morgen die gleichen Leute, jeder grüßt den anderen und manchmal raucht man auch eine zusammen. An diesem Platz ist immer was los.“
Drei Jahre später ist aus der lebenslustigen Frau eine überzeugte Salafistin geworden. Ihr Freundeskreis verändert sich zunehmend. Eine Freundin aus der Nachbarschaft geht nur mehr tief verschleiert aus dem Haus. Nachbarn berichten von Männern mit Bart, die in dem Mietshaus aus und ein gehen. Einige sollen ganz in der Nähe wohnen.
Der Gotteskrieger wohnt dagegen noch bei Mutter. Zusammen leben sie in einem Mietshaus in Sendling. „Eine sehr anständige und hart arbeitende Frau“, erzählen Nachbarn. Sie ist geschieden, zieht ihren Sohn Samil alleine groß.
Dem 20-Jährigen gelingt es, sein Doppelleben weitgehend geheim zu halten. Nachbarn beschreiben ihn als freundlichen jungen Mann. „Er hat immer höflich gegrüßt“, erzählt der Hausmeister. „Der sieht überhaupt nicht aus wie ein Salafist.“
Niemand in der Nachbarschaft ahnt, welch radikale religiöse Ansichten der 20-Jährige tatsächlich hat. Im August verschwindet Samil A. von der Bildfläche. Auch Farah H. und ihr Sohn Mohamed sind plötzlich weg. In der Nachbarschaft hat die 33-Jährige noch kurz zuvor herumerzählt, die Familie mache Ferien in der Türkei.
Erst Mitte September wurden manche stutzig. „Der Kleine hätte doch wieder zur Schule gehen müssen“, sagt eine Mutter aus dem Haus.
Der Türkeiurlaub war nur Tarnung, ein Ablenkungsmanöver. In Wahrheit reiste das Paar und der Achtjährige weiter in Richtung Mittlerer Osten in ein Ausbildungslager der Terror-Miliz IS.