Münchner Familie mit behindertem Kind findet keine Wohnung: "Besonders schwer und belastend"

Milbertshofen - Paul ist schon dreimal über das Duschbecken gestolpert und auf den Boden gefallen. Dabei hat er sich immer leicht verletzt. Eigentlich bräuchte der Zehnjährige mit seltener Erbkrankheit ein behindertengerechtes Bad. Doch seine Familie findet keine passende Wohnung in München – obwohl sie seit anderthalb Jahren sucht.
Paul hat das sogenannte 4H-Syndrom. Weltweit gibt es nur 100 bis 150 Betroffene, sagt Mutter Marion Hartl (50). Mit zweieinhalb Jahren fing alles an: Plötzlich fiel er immer wieder um. Ärzte begannen nun, nach einer Krankheit zu suchen. Und irgendwann fanden sie den Gendefekt.
Viele Kinder mit der Krankheit werden nicht älter als sechs Jahre; bei Paul ist das Syndrom zum Glück nicht stark ausgeprägt. "Man merkt, dass er geistig ein paar Jahre zurückliegt. Und er ist sehr, sehr wackelig auf den Beinen – als ob er besoffen wäre", sagt die Stationssekretärin eines Klinikums.
In München ist vieles besser – auch wegen dem Angebot vom TSV 1860
Lange lebte die Familie in Stuttgart, dort bekam das Kind aber nicht die passende Behandlung. "Paul fällt immer wieder durchs Raster. Offiziell ist er schwerbehindert, er kann nicht mit 'normalen' Kindern unterrichtet werden", sagt Hartl.
Deshalb ist die dreiköpfige Familie vor anderthalb Jahren nach München gezogen. "Hier geht er in die bayerische Landesschule. Vom Sport und dem Sozialen her ist es viel besser. Er macht beim Inklusionssport bei 1860 München mit; dort ist er im Kader des Behindertensportverbands. Die Stadt und die Angebote tun ihm ganz gut", sagt Hartl. "Paul fühlt sich sauwohl hier."
Gäbe es da nur nicht das Problem mit der Wohnung. Das Bad ist nicht behindertengerecht; Paul zeigt, wie schwer es ihm fällt, in die Dusche zu steigen. Er hat große Mühe, seine wackeligen Beine über den Rand zu setzen.
Ein weiteres Hindernis: zu schmale Türrahmen. "Normal ist Paul mit dem Rollator unterwegs, aber hier ist alles zu eng", sagt Hartl. Deshalb muss er sich auf den Beinen durch die Wohnung bewegen. Baulich bedingt sind keine Handläufe im Flur, Paul hangelt sich von Wand zu Wand. "Er krabbelt leider auch viel", sagt seine Mutter.
Drei Stunden für den Schulweg – pro Tag
Auch die Lage im Stadtteil Milbertshofen ist nicht optimal. Jeden Tag ist Paul rund drei Stunden unterwegs, um zur Förderschule nach Giesing zu fahren und wieder nach Hause zu kommen. Die Wohnung sollte nur eine Übergangslösung sein, aber daraus ist ein gefährlicher Dauerzustand geworden - doch die Familie findet einfach keine passende Wohnung.
"Wir gucken laufend nach Wohnungen. Bei Immowelt, Ebay Kleinanzeigen, in Zeitungen oder bei Budenschleuder", erzählt Hartl. "Mit einem behinderten Kind ist es wahnsinnig schwierig, etwas Geeignetes zu finden. Wenn ich in den Bewerbungen von meinem Sohn erzähle, sagen viele ab oder melden sich gar nicht zurück."
Sie denkt, dass die Vermieter Angst um ihre Wohnungen haben, dass Rollator oder Rollstühle die Wände und Türstöcke beschädigen könnten. "Das ist aber Blödsinn", meint Hartl. Tatsächlich sehen die Türrahmen tadellos aus.
München ist Deutschlands härtester Mietmarkt – doch für Menschen mit Behinderung ist die Wohnungssuche noch schwieriger. Sie haben besondere Anforderungen wie ebenerdige Badezimmer, Aufzüge, breite Türrahmen oder Handläufe.
Wohnungssuche mit Kindern mit Behinderung: "Besonders schwer und belastend"
"Wir wissen, dass die Wohnungssuche für Menschen mit Behinderung oder Eltern mit einem behinderten Kind besonders schwer und vor allem belastend ist", teilt eine Sprecherin des Münchner Mietervereins mit. Je knapper Wohnungen seien, desto geringer seien die Chancen, sich angemessen mit Wohnraum zu versorgen.
Für Menschen mit Handicap ist der Mietmarkt noch ein Stück brutaler. "Erschwerend kommt bei Behinderten häufig die begrenzte Zahlungsfähigkeit hinzu, da bei einem großen Teil gerade der Behinderten zwischen dem 18. und dem 65. Lebensjahr staatliche Grundsicherungsleistungen die Lebenshaltungskosten decken müssen", so der Mieterverein.
Rund 15.000 Menschen in München haben Anspruch auf eine geförderte Wohnung, teilt das Sozialreferat auf Nachfrage mit. Vergeben könne die Verwaltung aber nur etwa 3500 Wohnungen. Und für das kommende Jahr rechnet die Behörde mit rund 35 000 Anträgen auf eine Sozialwohnung.
"Wir haben in den letzten Jahren einen extremen Zuzug nach München erlebt. Hier zeigt sich die Kehrseite einer Boomtown, in die viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet ziehen und entsprechend nach einer Wohnung suchen", so das Sozialreferat.
Es kommt ein weiterer Faktor hinzu. Seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine und den gestiegenen Kreditzinsen habe sich das Bauen extrem verteuert. "Viele Bauträger springen von ihren ursprünglichen Vorhaben ab", so das Sozialreferat. München werde deshalb in den kommenden Jahren unter einem "sehr angespannten Mietmarkt" leiden.
Die Miete zahlen zu können, ist für die Familie kein Problem. Ihr Mann habe einen gut bezahlten Job bei einem Autohersteller, sagt die Mutter. Trotzdem ist die Familie schon seit Juli 2022 auf Wohnungssuche. Die Mindestanforderung an die neue Bleibe ist ein behindertengerechtes Bad. Trotz aller Frustration geben die Hartls nicht auf. "Wir haben die Hoffnung, dass jemand ein gutes Herz hat und uns eine Chance gibt."