Münchner Extrem-Taucher: "Ich muss nichts mehr beweisen"

AZ: Herr Schlöffel, Sie tauchen, seit Sie sieben Jahre alt sind. Wie viel Zeit haben Sie seitdem unter Wasser verbracht?
ACHIM SCHLÖFFEL: Puh! Ich habe etwas mehr als 10.000 Tauchgänge. Wenn man pro Tauchgang 45 bis 50 Minuten rechnet, kommt da schon einiges zusammen…
Tauchgang durch den Ärmelkanal: Rund 10 Stunden unter Wasser
Über zehn Monate - konservativ gerechnet. Rund zehn Stunden davon haben Sie 2012 damit verbracht, als erster Mensch den Ärmelkanal zu durchtauchen. Wie kommt man auf so eine Idee?
Ich war als Kind mit der Familie öfter in England. Einmal haben wir den Ärmelkanal-Schwimmern zugesehen, als sie in der Shakespeare Bay ins Wasser gegangen sind. Angesichts der Bedingungen - Schiffe, Wellen, Strömung - habe ich mir gedacht: Warum tauchen die denn nicht? Das sieht doch total unkomfortabel aus an der Oberfläche. Technisch war das damals noch nicht möglich. Aber es ist eine fixe Idee geblieben, die immer wieder aufploppte. Irgendwann gab es dann geeignete Scooter - Zugfahrzeuge, die aussehen wie die Torpedos in James-Bond-Filmen - und vor allem waren die Rebreather-Systeme so weit, dass die Gasversorgung sichergestellt war.

Was hat es mit diesen Systemen auf sich?
Wenn Sie eine normale Flasche auf dem Rücken haben, atmen Sie daraus Gas ein und ins Wasser aus. Beim Rebreather atmen Sie ins Gerät zurück, das Gas wird chemisch von CO2 befreit und der verbrauchte Sauerstoff ersetzt.
Schlöffel musste einem der größten Container-Schiffe der Welt ausweichen
War es dann so komfortabel, wie Sie es sich als Bub vorgestellt hatten?
Nein. Die Sicht im Ärmelkanal ist relativ schlecht, es treibt jede Menge Mist im Wasser - von Teerklumpen bis zu verlorenen Containern - und ich musste dem Schifffahrtsverkehr fern bleiben. Deshalb bin ich in einer Durchschnittstiefe von 30 Metern getaucht. Unglücklicherweise habe ich trotzdem die CMA Wagner getroffen, damals eins der größten Container-Schiffe der Welt. Die lag eigentlich mit einem technischen Problem auf Reede, hat sich dann aber überraschend wieder in den Verkehr eingefädelt - und ich musste ihr ausweichen.
Wie nah sind Sie der riesigen CMA Wagner gekommen?
Sie hat etwa 15 Meter Tiefgang und ich denke, ich war direkt unter ihr. Es wurde sehr dunkel, sehr laut und es hat sehr stark vibriert. Dazu kam ein enormer Sog. Ich bin abgetaucht und habe bei etwa 57 Metern den Grund erreicht. Selbst da war die Vibration noch so stark, dass es den zähen schwarzen Schlick aufgewirbelt hat.
Faszination Tauchen: "Mir geht es dabei primär ums Entdecken"
Wie schafft man es, in einer solchen Situation nicht die Nerven zu verlieren?
Training, Erfahrung und die Fähigkeit, sich selbst einschätzen zu können.
Was ist eigentlich so schön an Ihrem Sport?
Dieses Schweben und dass man in eine fremde Welt vordringt. Mir geht es dabei primär ums Entdecken: Versunkene Schiffe sind Zeitkapseln, in die man eintauchen kann - als erster nach dem Untergang. Das ist wahnsinnig faszinierend.

"Tiefe und Gefahr eher notwendige Übel"
Sie scheinen generell ein Faible für die gefährlichen Seiten des Tauchens zu haben, also für Wracks, Höhlen, Tiefe - wie kommt's?
Es geht mir weder um die Gefahr noch um die Tiefe. Es ist nur leider so, dass die Wracks im flacheren Wasser mittlerweile alle erforscht sind. Insofern sind Tiefe und Gefahr eher notwendige Übel, um die Dinge zu sehen, die ich sehen möchte.
Im Walchensee wurden Sie bereits auf zwölf Metern fündig - allerdings haben Sie dort kein Schiff entdeckt.
Nein, es war ein Lkw der Nationalsozialisten, mit einer Kiste voller Druckplatten, die Teil der "Operation Bernhard" waren: Gegen Ende des Krieges haben die Nazis versucht, die englische Wirtschaft zu schädigen, indem sie Pfund-Noten fälschten. Man weiß, dass große Teile dieser Pfundnoten im Toplitz-See liegen - aber im Walchensee? Umso erstaunter war ich, dort welche zu entdecken.
War der Münchner Extrem-Taucher ein Spion für Reiche?
Liegen im Walchensee noch mehr Relikte aus dieser Zeit?
Es gibt mehrere Geschichten über abgestürzte Flugzeuge. Ende der 90er haben wir mal gezielt nach einer Lancaster gesucht - und sie gefunden. Außerdem liegen im Walchensee ein Zerstörer der Luftwaffe Messerschmitt Me 110, ein Jagdflugzeug Me 109, zwei moderne Flugzeuge und eine amerikanische B17, die bis heute vermisst wird. Ich habe ein Teil von ihr gefunden und eine Vorstellung davon, wo sie ist, etwa auf 90 Metern Tiefe.
Sie haben als Profi-Taucher nicht nur Wracks gesucht und erforscht, sondern sich auch als eine Art Spion für Reiche verdient gemacht. Wie kam's?
Spion klingt schlimmer, als es war. Mich hat mal ein sehr vermögender Mann angesprochen, nachdem es den Versuch gegeben hatte, seine Kinder zu entführen. Er hatte eine große Jacht und einen Haufen Geld für alle möglichen Sicherheitsgeschichten ausgegeben, wusste aber nicht, ob das alles auch funktioniert. Deshalb sollte ich versuchen, nachts unbemerkt aufs Boot zu kommen - und hab's geschafft. So konnte ich die Schwächen des Systems aufzeigen. Anschließend wurde ich im kleinen, elitären Zirkel der Superreichen herumgereicht und habe diverse Schiffe und Häuser auf ihre Sicherheit hin überprüft.
Merkwürdige Einsätze: Eine tote Kuh in einem Wasserwerk bei München
So glamourös waren Ihre Einsätze jedoch nicht immer. Der Auftrag in einem Wasserwerk bei München war eher ekelerregend...
Ja, die tote Kuh, das war wirklich der Abschuss! Etwas, was ich heute nicht mehr machen möchte. Die Kuh war ins Wasser gestürzt, ertrunken und hing nun aufgedunsen in einer Reuse des Kraftwerks. Ich hab sie rausschneiden dürfen.
Kadaver verströmen in der Regel einen üblen Geruch. Nimmt man den unter Wasser wahr oder schützt die Maske davor?
Nein, das tut sie nicht. Dadurch, dass um die Nase herum ein Luftraum ist, riechen Sie sehr wohl etwas. So eine Kuh, aber auch andere Leichen, nehmen Sie schon aus einigen Metern Entfernung wahr.
"Jung, dumm, schlecht geplant - und am Ende viel Glück gehabt"
Sie haben mehrmals tote Taucher geborgen. Waren Sie selbst je in Lebensgefahr?
Es gab ein paar knappe Geschichten, aber größtenteils in jungen Jahren. Jung, dumm, schlecht geplant und am Ende viel Glück gehabt - so lässt sich das zusammenfassen. Etwa in einer Höhle in Österreich: Da war die Gasplanung einfach bescheiden, es gab Probleme auf dem Rückweg, ich habe Zeit verloren und noch mehr Gas verbraucht, hatte keine Reserven. Da ist es sehr, sehr knapp geworden.
Trendsport Tauchen: "Ausbildung ist immer schlechter geworden"
Tauchen ist heute Trendsport. Welche Gefahren sehen Sie?
Durch die Kommerzialisierung ist die Ausbildung immer schlechter geworden. Sie können heute mit 100 Tauchgängen, für kleinstes Geld und mit der Garantie, dass Sie bestehen, ihr Tauchlehrer-Zertifikat machen. Die Standards wurden völlig aufgeweicht. Übungen, mit denen viele Probleme hatten, wurden einfach weggestrichen. Ursprünglich war Tauchen ein Sport für die Fitten. Heute können Sie 20 Kilo Übergewicht und alle möglichen Probleme haben. Sie werden immer einen Arzt finden, der Ihre Tauch-Tauglichkeit unterschreibt. Wenn Sie dann noch eine funktionierende Kreditkarte besitzen, können Sie den Tauchschein machen. Die Folge: Wenn Sie sich heute an Hotspots wie Ägypten oder Thailand das Gros der Taucher anschauen, ist es ein Graus.
Woran erkennt man, ob ein Tauchlehrer gut ist?
Durchleuchten Sie ihn auf seine persönliche Erfahrung hin. Was soll Ihnen jemand beibringen, der - überspitzt gesagt - im Januar in Ägypten seinen Grundkurs gemacht hat, im Juni seinen Divemaster und im Juli seinen Instructor? Wollen Sie so jemandem Ihr Leben anvertrauen? Würden Sie einen Fallschirmspringer-Kurs machen, würden Sie sich doch auch sehr genau anschauen, mit wem Sie aus dem Flugzeug springen.
Voraussetzungen für Tauchkurs: Gewisses Fitness-Level und keine Raucher
Sie geben ebenfalls Kurse - akzeptieren aber nicht jeden.
Stimmt. Sie müssen ein gewisses Fitness-Level mitbringen und wir nehmen keine Raucher. Man muss sich nur anschauen, was die Raucherei mit der Lunge macht - und dann will ich sauerstoffangereicherte Gemische atmen? Das ist keine gute Kombination.

Im Starnberger See fällt die berühmt-berüchtigte Allmannshauser Steilwand in die Tiefe ab. Dort sind schon etliche Taucher gestorben. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Wenn man die Nachrufe liest, waren das alles seriöse, gut ausgebildete Top-Taucher. Schuld war immer die böse Steilwand, die Tiefe, ein Strudel - nie der Mensch. Tatsächlich ist es aber immer der Mensch. Klar kann Ausrüstung versagen - aber es ist der Mensch, der schlecht auf diesen Fall vorbereitet ist - sei es, weil er nicht dafür ausgebildet ist oder weil er schlecht geplant hat. Jeder Unfall beim Tauchen basiert auf schlechter Ausbildung, Selbstüberschätzung oder schierer Dummheit. Es ist weder der Tauchplatz noch die Ausrüstung, was den Taucher umbringt.
Taucher-Geheimtipp: "Bei Garatshausen ist es schön flach und schön bewachsen"
Weg vom Hotspot. Haben Sie einen Geheim-Tipp für hiesige Taucher, wo es besonders schön ist?
Ich fahre immer gern gegenüber von der Allmannshauser Wand nach Garatshausen. Da ist es schön flach, schön bewachsen, es gibt viele Fische und man kann die Familie mitnehmen, weil am Ufer eine tolle Liegewiese ist. Ansonsten gibt es, vor allem im Salzburger Land, viele kleine Seen, in denen man ohne technisches Equipment schöne Sachen entdecken kann.
Und was planen Sie persönlich als Nächstes?
Erstens sind meine achtjährigen Zwillingssöhne sehr wasseraffin und haben jetzt angefangen zu tauchen. Ich kann es kaum erwarten, ihnen die Sachen zu zeigen, die mich begeistert haben. Außerdem suche ich vor der Insel Elba schon seit Jahren nach den Wracks von drei englischen Landungsschiffen. Durch Zufall habe ich letztes Jahr - am letzten Tag des Aufenthalts - per Sonar etwas gefunden, das von der Größe und der Tiefe her passen könnte. Da werde ich dieses Jahr drangehen.
"Ich muss mir nichts mehr beweisen"
Keine krassen Sachen mehr?
Nein. Ich bin jetzt Familienvater und muss mir nichts mehr beweisen.
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