Experte aus München belegt "verrücktes System": Generation Z deswegen im Job gestresst

Eine Studie zeigt, dass Menschen im Alter von 18 bis 29 Jahren überdurchschnittlich oft von einem Burn-out, aber auch von einem Bore-out betroffen sind. Was genau sich dahinter verbirgt, warum die junge Generation besonderes betroffen ist und Scheitern durchaus etwas Positives sein kann, erklärt Münchner Wirtschaftspsychologe Florian Becker der AZ.
Guido Verstegen
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Der Arbeitsmarkt bietet der Generation Z eine Fülle an Optionen. "Diese große Auswahl kann paradoxerweise zu einer erhöhten Belastung führen, da die Entscheidung für den richtigen Job und die Suche nach einem erfüllenden Arbeitsleben zu einer Überforderung wird", ordnet Patrizia Thamm von der Pronova BKK die Studien-Ergebnisse ein.
Der Arbeitsmarkt bietet der Generation Z eine Fülle an Optionen. "Diese große Auswahl kann paradoxerweise zu einer erhöhten Belastung führen, da die Entscheidung für den richtigen Job und die Suche nach einem erfüllenden Arbeitsleben zu einer Überforderung wird", ordnet Patrizia Thamm von der Pronova BKK die Studien-Ergebnisse ein. © imago/Westend61

München – Wenn es um Stress am Arbeitsplatz geht, ist die Generation Z im Vergleich zu den anderen Altersgruppen überdurchschnittlich belastet. Das ist ein Ergebnis der repräsentativen Studie "Arbeiten 2023" der Krankenkasse Pronova BKK. Die AZ hat Prof. Dr. Florian Becker zu möglichen Ursachen und Lösungsansätzen befragt.  Der Münchner Wirtschaftspsychologe sieht ein gesellschaftliches Problem: "Bei uns werden Menschen zu Low-Performern sozialisiert."

Studie: Generation Z oft von Unter- oder Überforderung im Job betroffen

Wie die Pronova BKK jetzt zu ihrer Studie mitteilte, befinden sich viele Erwerbstätige im Dauerstress mit einem hohen Risiko zum Burn-out: 61 Prozent der Arbeitnehmer sehen sich gefährdet, an Überlastung zu erkranken. Im Vergleich zu 2018, dem Jahr vor der Coronapandemie, bedeute dies einen Anstieg um elf Prozentpunkte. Etwa gleich viele (62 Prozent) haben eine Arbeitsüberlastung demnach schon mal selbst erlebt oder bei Kollegen beobachtet.

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34 Prozent der Beschäftigten geben an, in den letzten zwölf Monate einen Burn-out gehabt zu haben und 23 Prozent haben einen Burn-out entweder selbst durchgestanden oder haben Kollegen, die betroffen waren. Doch auch Unterforderung ist für manche ein Problem: 23 Prozent haben einen Bore-out entweder selbst durchgestanden oder Kollegen waren betroffen.

Die Gen Z, gemeint sind hier Menschen im Alter von 18 bis 29 Jahren, ist noch häufiger von Unter- oder Überforderung betroffen: In dieser Gruppe berichten im gleichen Zeitraum 18 Prozent (gegenüber 13 Prozent aller Arbeitnehmer) von einem Burn-out, 17 Prozent machten eine Bore-out-Erfahrung durch (gegenüber elf Prozent aller Arbeitnehmer).

Wirtschaftspsychologe Florian Becker: "Viele Arbeitnehmer glauben, sie könnten mehr leisten"

Stellt die Generation Z höhere Maßstäbe an die Rahmenbedingungen im Job und sind sie deshalb womöglich schneller gestresst? "Prinzipiell sind sie schon anspruchsvoller, was ihre Erwartungen an die Arbeitswelt angeht", sagt Florian Becker im Gespräch mit der AZ. Den Keynote-Speaker – er promovierte nach dem Studium der Psychologie in Wirtschaftspsychologie – interessiert dabei vor allem auch der Faktor "Unterforderung". 

Die Wirtschaftspsychologische Gesellschaft (WPGS) in Neubiberg bei München bildet seit 2001 ein Netzwerk zwischen Forschung, Praxis und Lehre: Florian Becker sitzt dort im Vorstand und ist als Professor im Bereich Wirtschaftspsychologie an der Technischen Hochschule Rosenheim tätig. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren unter anderem mit der Frage, wie Menschen Motivation entfesseln und Resilienz aufbauen können.
Die Wirtschaftspsychologische Gesellschaft (WPGS) in Neubiberg bei München bildet seit 2001 ein Netzwerk zwischen Forschung, Praxis und Lehre: Florian Becker sitzt dort im Vorstand und ist als Professor im Bereich Wirtschaftspsychologie an der Technischen Hochschule Rosenheim tätig. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren unter anderem mit der Frage, wie Menschen Motivation entfesseln und Resilienz aufbauen können. © privat

"Wir wissen auch aus anderen Studien, dass sich unter den Angestellten viele in ihren Positionen tendenziell unterfordert fühlen. Nicht wenige Arbeitnehmer glauben also, sie könnten mehr leisten. Das ist angesichts des vorherrschenden Fachkräftemangels doch ein Paradoxon. Während sich viele tendenziell überfordert fühlen, stehen auf der anderen Seite viele Unterforderte. Und offensichtlich sind die Unternehmen nicht so recht in der Lage, auf diese Entwicklung zu reagieren."

"Extreme Schocks" wie die Coronapandemie lösen bei Gen Z "ein Gefühl der Hilflosigkeit" aus

Die Generation Z habe durch verschiedene Krisen zu spüren bekommen, dass sich Lebensbedingungen eben schlagartig ändern können "und es keine Garantie auf eine sorgenfreie Zukunft gibt", findet Patrizia Thamm, Resilienz-Trainerin der Pronova BKK. Das motiviere die Gen Z, "im Hier und Jetzt zu leben" und ihre hohen Ansprüche auch an ihre Arbeit "sofort zu verwirklichen".

Wirtschaftspsychologe Florian Becker sieht in diesem Zusammenhang ebenfalls diese "externen Schocks" wie die Coronapandemie oder den Klimawandel. In seinen Augen rufen diese Krisen in der Gen Z allerdings "ein Gefühl der Hilflosigkeit" hervor: "Der vorherrschende Eindruck ist dann der, dass sie die Dinge um sich herum eben nicht kontrollieren können, dass sie allem ausgeliefert sind."

"Diese Menschen sind nicht einfach faul, sie sind nur nie so richtig gefordert worden"

Es gebe für die unter 30-Jährigen also viele Dinge, die ihre Zukunft bedrohten, und das sei "psychologisch ungünstig". Frühere Generationen hätten da in der Jugend eben andere, positivere Erfahrungen gemacht: "Vielleicht war es mal blöd, aber ich oder meine Eltern konnten meist selbst was daran ändern. Das geht bei Corona oder dem Wetter in 100 Jahren weniger." 

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Dem Mythos, die Generation Z sei arbeitsscheu, begegnet Florian Becker mit klaren Aussagen: "Diese Menschen sind nicht einfach faul. Viele sind nur nie so richtig gefordert worden, sei es im Kindergarten, sei es in der Schule, sei es von den Eltern. Eine ehrliche Rückmeldung zu ihren Leistungen haben sie selten bekommen. Bei Gesprächen in meinen Führungskräfte-Seminaren erfahre ich, dass junge Arbeitnehmer mitunter weinen, wenn sie ein offenes, kritisches Feedback erhalten. Das schockiert die Führungskräfte."

Und ob nun unter- oder überfordert, die Generation Z suche da nicht das Gespräch mit den Vorgesetzten, spreche die Probleme nicht direkt an und folge dann auch schnell einem Flucht-Impuls. Auch die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen: Jüngere Erwerbstätige wechseln überdurchschnittlich häufig Job und Arbeitgeber.  "Sie haben nicht die Erfahrung gemacht, dass sie durch eigene Anstrengung etwas erreichen und verändern können. Deshalb fliehen sie aus Situationen. Die Arbeit stresst oder langweilt? Kündigung. Freund, Freundin oder Ehepartner passen nicht? Trennung", erklärte Becker der AZ.

Becker: "Wenn in München ein Spielplatz erneuert wird, werden die Geräte immer niedrigerer"

In unserer Gesellschaft bestehe eine starke Tendenz, die Herausforderungen für die junge Generation immer weiter zu senken, meint Becker: "Wenn in München ein Spielplatz erneuert wird, werden die Geräte immer niedrigerer, anspruchsloser, langweiliger. Schulen geben immer bessere Noten für immer schlechtere Leistungen." Der Trend zeige sich nicht nur im Umgang mit den Bundesjugendspielen – sie finden in der Grundschule jetzt ohne Wettkampf statt –, sondern auch im Handeln im Elternhaus. Helikopter-Eltern vermeiden "jede Art von Herausforderung für ihr Kind". Das Kind werde jeden Tag gefeiert, Wettbewerb sei bei vielen verpönt. Diese niedrigen Standards verhinderten, dass Kinder sich zu der Person entwickeln, die sie werden können. 

Wirtschaftspsychologe Becker über die Generation Z und den Irrtum Komfortzone   

Becker: "Erfolg ist für sie einfach nichts, was man sich erarbeitet. Man bekommt ihn einfach, wie die immer besseren Noten. Oder man kann ihn zumindest nicht einfach selbst beeinflussen, wie bei Corona oder dem Klimawandel."

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Doch Scheitern sei schließlich etwas Positives, nur habe das unsere Gesellschaft vergessen: "Herausforderungen sind dazu da, um sie zu bewältigen, nicht, um vor ihnen zu flüchten. Wenn du nie scheiterst, dann hast du dir zu einfache Herausforderungen und Ziele gesucht. Du kannst dich dann auch nicht weiterentwickeln, aus deinen Fehlern lernen. Du lernst dann nicht, wieder aufzustehen, wenn du hingefallen bist."

Dass viele junge Menschen Herausforderungen vermeiden und gerne in der Komfortzone bleiben, zeige sich auch darin,  dass die Zahl der jungen Menschen ohne höheren Schul- oder Berufsabschluss in Deutschland stetig zunehme, argumentiert Becker. Laut OECD-Bildungsbericht 2023 bleiben mittlerweile (2022) 16 Prozent (gegen über zwölf Prozent in 2015) ohne Abitur oder Berufsabschluss. Dazu passen die Ergebnisse der aktuellen internationalen Grundschul-Leseuntersuchung (IGLU), wonach etwa ein Viertel aller Viertklässler nicht das Mindestniveau beim Textverständnis erreichen, das für die Anforderungen im weiteren Verlauf der Schulzeit nötig wäre.

Wirtschaftspsychologe Becker über die Gen Z: "Nicht faul, eher sensibler, verweichlicht" 

"Und dem gleichen Trend folgend werden immer bessere Noten verteilt, landen schnell mal 30 Prozent der Abiturienten bei einem Einser-Schnitt", sagte Becker. Seine These: "Die jungen Menschen haben gelernt, dass sie Erfolg bekommen, auch wenn sie wenig dafür leisten."

Der Wirtschaftspsychologe nimmt hier die Gesellschaft klar in der Pflicht: "Es wird nicht besser, davon können wir ausgehen. Bei vielen Menschen hat sich ein starker Glaube dahin entwickelt, dass die Komfortzone etwas Gutes ist. Man hält Herausforderungen von jungen Menschen fern. Damit verhindern wir deren Entwicklung zu handlungsfähigen Erwachsenen, die daran glauben, dass sie selbst für ihren Erfolg verantwortlich sind. Damit verhindern wir, dass sie sich anstrengen und mit Misserfolg umgehen können."

"Menschen werden zu Low-Performern sozialisiert, mit denen wir nicht zukunftsfähig sind"

Aus Beckers Sicht braucht es ein Umdenken: "Erfolg darf nichts sein, das man einfach geschenkt bekommt." Die Gesellschaft müsse wieder mehr fordern, ehrliche Rückmeldung zu Leistung geben, zu einer gesunden Form des Leistungsdenkens finden. "Wir haben ein verrücktes System geschaffen, das Menschen zu Low-Performern sozialisiert, mit denen wir nicht zukunftsfähig sind."

Patrizia Thamm von der Pronova BKK rät der Generation Z in diesem Zusammenhang, frühzeitig das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen und offen zu sein für mögliche Veränderungen, sieht aber auch bei den Vorgesetzten eine Bringschuld: "Führungskräfte sollten wiederum gute Antennen für ihr Team haben, um Über- aber auch Unterforderung zu erkennen und entsprechend zu reagieren."

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  • MUC0 am 12.03.2024 18:15 Uhr / Bewertung:

    Mit den Eltern darüber reden, das pflegen lassen geht heute nur noch für Großverdiener, das Sozialamt hat inzwischen andere Schwerpunkte.

  • Urmel_auf_Eis am 12.03.2024 14:49 Uhr / Bewertung:

    Ich hab kein Problem mit den Helikopter-Kids.
    Sie werden sich untereinander evolutionär ausrotten.
    Dumm kommt zu dumm.
    Aber sie landen dann leider später in unserer Sozialkasse.

  • Urmel_auf_Eis am 12.03.2024 14:42 Uhr / Bewertung:

    Hier gibt es viele Kinder und Jugendliche, die das, was ihr beschreibt, nicht mal erahnt und gesehen hat.
    Es ist Generation F (Flüchtlinge) und Generation G (Geflüchtete).
    Die wissen nicht mal, wie mal Schule schreibt, weil sie noch nie in einer waren.
    Die Frage ist, ob man sie wirklich hierzulande in eine Barbie- und Handy-Generation integrieren möchte.
    Ich habe keine gesicherten Daten vorliegen, aber ich glaube, die wären alle froh,
    einen Ort als Heimstatt zu empfinden und dort auch ihren Part zur Gemeinschaft hinzuzufügen.
    Lästert über "Unsere" Jugend.
    Die Frage ist nur: Wer hat wann was falsch gemacht.

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