Münchner Cannabis-Patient: Die Angst vor der Polizei bleibt

Simon Daniel hat Multiple Sklerose. Er war einer der ersten Patienten in Bayern, der legal Marihuana konsumieren durfte. Doch die Behörden fürchtet der 30-Jährige immer noch.
München - Direkt hinter seiner Wohnungstür liegt eine dicke Stoffwurst auf dem Fußboden, ein sogenannter Zugluftstopper. Er liegt dort, damit der Cannabisduft nicht ins Treppenhaus zieht. Denn das könnte unangenehme Folgen haben für Simon Daniel, der dort wohnt: eine eingetretene Tür, Polizisten im Schlafzimmer, eine Hausdurchsuchung.
Trotz medizinischem Cannabis: Angst vor Kriminalisierung
Simon Daniel (Name geändert) kennt solche Szenarien von anderen Cannabis-Kosumenten. Und obwohl der 30 Jahre alte Münchner die Droge mittlerweile ganz legal als medizinisches Cannabis konsumieren darf, lebt er auch heute noch in Angst, kriminalisiert zu werden.
Vor vier Jahren hat der Koch die niederschmetternde Diagnose Multiple Sklerose (MS) bekommen. Die chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems begann bei ihm mit Spasmen, Lähmungserscheinungen und Sehstörungen. "Beim ersten Mal dachte ich, ich muss sterben", sagt der junge Mann.
Der Münchner wurde zunächst mit Cortison und einem chemischen Immunpräparat behandelt, das die Schübe unterdrücken sollte. Doch Simon Daniel litt massiv unter den Nebenwirkungen: Mal machten ihn die Artzney extrem müde und lethargisch, dann verlor der – sowieso schon sehr schlanke – Mann extrem an Gewicht. "Ich habe viereinhalb Kilo abgenommen. Nach drei Monaten habe ich das Artzney wieder absetzen müssen", berichtet er.
Marihuana-Kauf auf dem Schwarzmarkt
Auf der Suche nach alternativen Therapiemöglichkeiten erfuhr Daniel von anderen MS-Patienten, dass Marihuana ihre Symptome linderte. Der Münchner besorgte es sich zunächst auf dem Schwarzmarkt. "Ich habe gemerkt, dass mir das guttat. Es war wie ein Wunder für mich. Es entspannte mich, die Spasmen gingen weg. Ich konnte wieder schlafen." Und er konnte wieder arbeiten.
Allerdings hatte er immer Angst, von der Polizei erwischt zu werden. Und das geschah eines Tages auch: beim Autofahren. "Vor zwei Jahren habe ich an einem Sonntagabend einen Joint geraucht. Am Abend des nächsten Tags bin ich in eine Alkoholkontrolle geraten. Ich hatte erhöhte THC-Werte. Seitdem bin ich meinen Führerschein los." Bis heute hat er ihn nicht zurück.
Erst nach langer Suche findet er einen Arzt, der ihm die Blüten verordnet.
Nachdem vor zwei Jahren das neue Cannabis-Gesetz in Kraft trat, das Patienten mit chronischen Erkrankungen unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, Medizinalhanf auf Rezept zu bekommen, machte sich Simon Daniel auf die Suche nach einem Arzt.
"Die gesetzlichen Vorgaben habe ich erfüllt. Trotzdem war es sehr schwierig, einen Arzt zu finden." Eine Liste oder ein Register mit Medizinern, die grundsätzlich bereit wären, Cannabis zu verschreiben, gab es für Bayern nicht. "Die Unsicherheit bei den Ärzten ist groß. Der eine tut es als Humbug ab, der andere weiß zu wenig darüber: Der dritte hat Angst, seinen Ruf zu beschädigen", berichtet Daniel.
Erst der 20. Arzt, den er anrief, war bereit, ihm einen Termin zu geben. "Es war ein unbeschreibliches Gefühl, als ich die Berechtigung in den Händen hatte. Endlich wird man nicht mehr kriminalisiert." Aber Daniel musste seinem Arzt versprechen, dessen Namen nicht weiterzugeben. "Der konnte sich sowieso schon kaum retten vor Anfragen."
MS kann nicht durch Cannabis geheilt werden
Auch zwei Jahre, nachdem das neue Gesetz in Kraft ist, ist die Nachfrage offenbar auch heute noch höher als die Zahl der Ärzte, die Cannabis verordnen. Alexander Arndt, Geschäftsführer des Online-Netzwerkes "Cannabis-Ärzte", sagt: "Wir erhalten täglich sehr viele Anfragen von Patienten, die keinen Arzt finden können."
MS-Patient Simon Daniel fand zwar einen, doch die monatlichen Kosten von 240 Euro für die medizinischen Blüten, muss er selber zahlen. Die Kasse begründet das damit, dass MS durch Cannabis nicht geheilt werden könne.
Für Daniel ist die ganze Preispolitik unverständlich: "Ich zahle 60 Euro pro Rezept, im Ruhrgebiet sind es 12 Euro. In Kanada wäre es noch billiger. Und auch auf dem Schwarzmarkt ist es günstiger." Doch illegales Cannabis ist schon lange keine Option mehr für ihn. "Bei dem Zeug vom Schwarzmarkt weiß man nicht, was man raucht. Und du wirst nicht ärztlich begleitet."
Angst vor der Polizei bleibt
Auch, wenn er heute mit Erlaubnis Cannabis konsumiert – die Angst vor der Polizei begleitet ihn weiter. Vor einem Jahr zog eine neue Mieterin in die Wohnung neben ihm ein. "Ich bin total erschrocken, als ich erfahren habe, was sie von Beruf ist: Polizistin!" Simon Daniel entschied sich, es offensiv anzugehen. "Ich habe meine Berechtigung genommen und ihr alles erklärt. Seitdem fühle ich mich sicherer."
Aber die Stoffwurst vor der Wohnungstür bleibt – sicher ist sicher.
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