Münchner Armuts-Bericht: Arme wohnen am Rand
„Armutsbericht 2012” der Stadt München: Familien, Alte, Alleinerziehende und Langzeitarbeitslose sind besonders betroffen. Wer überhaupt als "arm" gilt.
MÜNCHEN - Die Schere zwischen Armen und Reichen klafft in unserer Stadt immer weiter auseinander. Das ist eine der alarmierenden Erkenntnisse aus dem neuen Armutsbericht, der gestern vorgestellt wurde. Wobei im teuren München auch solche Menschen von Armut bedroht sind, die in anderen Städten mit ihrem Gehalt wohl noch auskommen würden.
Das hat die Stadt auch zu einem methodischen Wechsel veranlasst. Beim letzten Armutsbericht im Jahr 2007 wurde noch mit der bundesweiten Armutsrisikoschwelle gerechnet: Die lag damals bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 810 Euro. Jetzt werden stattdessen die Münchner Einkommensverhältnisse zugrunde gelegt. Mit dem Ergebnis: Ein Single gilt dann als arm, wenn er weniger als 1000 Euro netto verdient.
Die AZ fasst den 147-seitigen Bericht zusammen:
Die Zahlen: Demnach lebten zuletzt 203800 arme Menschen in München. Weitere 50000 sind am Rande der Armutsrisikogrenze. Gemeinsam stellen sie fast ein ein Fünftel der Stadtbevölkerung.
Nahezu 120000 Münchner bezogen Ende vorigen Jahres staatliche Sozialleistungen. Im Behörden-Fachjargon fallen sie damit in die Rubrik „bekämpfte Armut”.
Wen trifft es? Familien mit mehreren Kindern, Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose und ältere Menschen leiden besonders unter den hohen Lebenshaltungskosten.
Allein die Wohnungskosten: Für die Kaltmiete müssen betroffene Haushalte inzwischen die Hälfte ihres monatlichen Nettoeinkommens aufwenden. Die Folge: Zwei Drittel der armen Familien leben in Wohnungen, die eigentlich zu klein für sie sind. Günstige Bleiben werden immer rarer. Die Stadt kann bloß noch über die Belegung von zehn Prozent der Münchner Mietwohnungen entscheiden.
Wie verteilt sich die Armut auf die Münchner Stadtviertel? Die meisten Menschen, die nicht ohne staatliche Hilfe über die Runden kommen, leben in Ramersdorf Perlach (12,3 Prozent) und Milbertshofen-Am Hart (11,5 Prozent). Zentral zu wohnen, können sich die wenigsten Betroffenen leisten. So verwundert es wenig, dass im Bezirk Altstadt-Lehel nur noch 3,4 Prozent der Menschen arm sind. Dort sowie in den Bezirken Au-Haidhausen und Isarvorstadt-Ludwigvorstadt ist ein deutlicher Rückgang der Armutsquote festzustellen – um zehn bis dreizehn Prozent binnen vier Jahren.
Wer arm ist, wandert in die Außenbezirke ab. „Schleichend droht der Landeshauptstadt München damit eine Verfestigung von Armut in einer Reihe von Stadtbezirken”, heißt es in dem Bericht.
Wie steht’s um die Verteilung? Wie eingangs erwähnt, geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auf. Die Zahlen sind mehr als beunruhigend: Die am besten verdienenden Münchner sind in den vergangenen Jahren noch viel wohlhabender geworden. Das einkommensreichste Fünftel der Bevölkerung verfügt inzwischen über 46 Prozent des Gesamteinkommens. Vor fünf Jahren waren es erst 36 Prozent. Das unterste Fünftel hat dagegen bloß acht Prozent des Gesamteinkommens zur Verfügung.
Wie viele Kinder sind arm? Die Zahl der unter 15-Jährigen, die von Sozialleistungen leben müssen, ist gestiegen: 2006 waren es noch 19000, jetzt sind es bereits 21000. Wobei München im Vergleich mit anderen Städten noch gut dasteht. Hier wird nur für jedes zehnte Kind Sozialgeld bezahlt. In Berlin ist es jedes dritte. Und in Nürnberg jedes vierte Kind.
Auch die Altersarmut nimmt zu. Beziehen jetzt noch 12000 Münchner Grundsicherung, werden es in acht Jahren schon fast doppelt so viele sein – so die Prognose.
Problem Arbeitslosigkeit: Fast 14000 Münchner, die im erwerbsfähigen Alter wären, leben schon seit über fünf Jahren von Hartz IV. Für andere sind befristete Arbeitsverträge oder Leiharbeit längst zur Normalität geworden. 14500 Menschen arbeiten zwar, brauchen aber dennoch Geld vom Staat, weil ihr Verdienst nicht zum Leben reicht.
Dazu passt, dass inzwischen 97000 Erwachsene in München überschuldet sind.
Was will die Stadt unternehmen? Da ist einiges in Planung. Unter anderem soll die Schuldner- und Insolvenzberatung noch heuer ausgebaut werden. Und auch über ein kostenloses, letztes Kitajahr denkt Bürgermeisterin Christine Strobl laut nach.
50 Mütter, die jetzt noch von Hartz IV leben, werden zu dringend benötigten Erzieherinnen geschult. Was nur geht, weil eine Kinderbetreuung für sie organisiert wurde.
Oft sind aber auch Bund und Freistaat gefragt. Sei es bei der Forderung nach einem Mindestlohn oder einer Erhöhung des Wohngelds.
Bleibt zu hoffen, dass alle an einem Strang ziehen: Damit die Schere in München nicht noch weiter auseinander klafft.
Wer gilt eigentlich als arm? Wo liegt die Grenze?
Nach den Kriterien der OECD ist ein Mensch dann armutsgefährdet, wenn er über „weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens der Vergleichsbevölkerung“ verfügt. Auf München bezogen heißt das:
Die Armutsrisikoschwelle liegt bei einem Single-Haushalt bei 1000 Euro.
Bei einem Haushalt mit zwei Erwachsenen beläuft sie sich auf 1500 Euro.
Wenn zu den zwei Erwachsenen noch ein Kind unter 15 Jahren dazu kommt, wird die Grenze bei 1800 Euro gesetzt.
Und bei einer Alleinerziehenden mit einem Kind beläuft sich die Armutsrisikoschwelle auf 1300 Euro.