Münchner Ärztin: Wir haben das nicht im Griff

München - Seit Tagen arbeiten Ruth Mocikat und ihr Team wegen des Coronavirus an der absoluten Belastungsgrenze. "Wir sind abends alle völlig erschöpft und fertig", sagt die 67-Jährige, die seit mehr als 30 Jahren niedergelassene Ärztin ist und eine Hausarztpraxis in Obersendling hat, der AZ.
Seit 8 Uhr in der Früh klingelt dort ununterbrochen das Telefon, berichtet die Allgemeinmedizinerin. Und: "Die Praxen werden überrannt von Menschen mit Erkältungssymptomen." Doch die Arbeitsbelastung ist nicht die größte Sorge, die Mocikat hat: Sie fürchtet vor allem um das Wohl ihrer Patienten. "Wir wissen nicht, wo wir die Menschen hinschicken sollen", sagt sie. Wer fürchtet, Corona zu haben, käme bei den offiziellen Stellen telefonisch einfach nicht durch – weder bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB), noch beim Gesundheitsamt oder beim Tropeninstitut. "Also kommen die Patienten zu den Notdiensten und in die Praxen – und wir wissen nicht, wo sie sich hinwenden können", sagt die Hausärztin.
Hotline der KVB ist wegen Corona überlastet
Die KVB hat das durchaus auf dem Schirm: Wie sie auf Anfrage mitteilt, war deutschlandweit, aber auch in Bayern ein stark erhöhtes Anrufaufkommen unter der Rufnummer 116 117 zu verzeichnen, unter der der ärztliche Bereitschaftsdienst zu erreichen ist. Allein am vergangenen Samstag wurden demnach in den drei bayerischen Vermittlungs- und Beratungszentralen mehr als 8.000 Anrufe, am Sonntag mehr als 7.000 Telefonate entgegengenommen und bearbeitet. Das Problem laut KVB: Viele Bürger würden die Hotline, die ausschließlich für die Betreuung und Weitervermittlung von Erkrankten – auch bei Corona- Verdacht – gedacht ist, als Infotelefon missverstehen.
Das führe zu einer hohen Belastung. "So erkundigten sich Eltern, wann eine Schule zu schließen sei und manche Bürger fragen, ob sich Corona auf ihre Haustiere überträgt. Die KVB weist daher schon seit Wochen darauf hin, dass es sich bei der Rufnummer 116 117 nicht um eine 'Corona-Hotline' handelt", erklärt die Vereinigung. Für Bürger ohne konkreten Verdacht empfiehlt sie die Internetseiten der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung und des Robert-Koch- Instituts.
Wegen Corona: Kaum Schutzkleidung vorhanden
In Mocikats Praxis gibt es jedoch noch eine weitere Baustelle: Weder die Ärztin noch ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dürften streng genommen Abstriche durchführen – denn dafür bräuchten sie entsprechende Schutzkleidung. Doch die gibt es derzeit nicht. Sofort nach Bekanntwerden der ersten Infektionsfälle habe man im Großhandel bestellt, doch des Bundesgesundheitsministeriums Schutzkleidung im großen Stil, auch für die niedergelassenen Ärzte, besorgt habe. "Das hatten wir auch immer wieder vehement von Berlin eingefordert", heißt es.
Doch wann diese Schutzausrüstung eintrifft, wisse man derzeit noch nicht. Die Vereinigung verweist zudem auf ihren neuen Hausbesuchsdienst, der den Angaben nach täglich bis zu 1.800 Abstriche in ganz Bayern macht – und derzeit noch über genügend Schutzkleidung verfüge. Zudem würden die Kapazitäten der 116 117-Hotline permanent erhöht.
Arzt-Mitarbeiter sind am Rande der Belastbarkeit
Mocikat zumindest kann nun erst einmal eine kurze Pause einlegen – in der kommenden Woche macht das Praxis-Team Urlaub. Zuerst habe man noch überlegt, eine Notfallsprechstunde einzurichten. Aber das gesamte Team sei einfach zu erschöpft. Und die Ärztin weiß, dass es danach ja wieder weitergehen wird.
Sie hofft, dass sich die Lage zum Besseren entwickelt. Und sagt pragmatisch: "Da müssen wir einfach durch."
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