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Münchens Zukunftsmacher: Ottobahn – schweben, nicht fahren

In Obersendling tüftelt Marc Schindler und sein Team an Gondeln, die den Nahverkehr revolutionieren sollen. Das braucht viel Herzblut, Geld – und Durchhaltevermögen.
von  Christina Hertel
Marc Schindler in einem Ottobahn-Gondel-Modell im Büro in Obersendling. Noch kann man nicht sehr weit damit fahren.
Marc Schindler in einem Ottobahn-Gondel-Modell im Büro in Obersendling. Noch kann man nicht sehr weit damit fahren. © Daniel von Loeper

München - Bis jetzt kann man nur im Kreis fahren. Um schwarze Couches, um einen Kickertisch, um Computer, um eine Werkbank mit vielen Kabeln und Elektroteilen, in einer Gondel, die an Stahlschienen hängt, die in einem Großraumbüro stehen. Bis jetzt ist das Grün, das sich um diese Schienen rankt, aus Plastik und der Papagei, der dort oben zwischen den Blättern sitzt, voller Luft. Bis jetzt ist die Ottobahn nur ein Modell aus Stahl in einem Industriegebiet in Obersendling, ein Traum von Marc Schindler und seinen zwölf Mitarbeitern.

In Zukunft soll eine Fahrt mit der Ottobahn so selbstverständlich sein wie heute eine mit dem Bus oder der Tram. Doch statt auf dem Boden mit Hunderten anderen um den Sitzplatz zu streiten oder zwischen Autos im Stau zu stehen, soll man in der Ottobahn in mindestens fünf Meter Höhe über dem Großstadttreiben in seiner eigenen Gondel hinweggleiten.

Ottobahn: Gondeln auf Schienen

"Die meisten denken bei Gondeln an eine Seilbahn", sagt Marc Schindler, der Geschäftsführer. Diese Assoziation sei aber falsch: Die Ottobahn läuft wie die Eisenbahn auf Schienen. Allerdings fahren die Gondeln nicht auf ihnen, sondern sie hängen unterhalb der Gleise.

Die Gondeln sollen fünf Meter über dem Boden schweben.
Die Gondeln sollen fünf Meter über dem Boden schweben. © Ottobahn

Und anders als bei der Bahn soll es keinen starren Fahrplan geben. Jeder soll seine Gondel mit einer App buchen und seine Abfahrtszeit, seinen Startpunkt und sein Ziel selbst bestimmen können. Denn die Gondeln sollen an jedem beliebigen Punkt abgelassen werden können. Sogar die Raumtemperatur, das Musikprogramm oder den Film, den man auf dem Bildschirm in der Gondel schauen kann, soll man auswählen können. Wer zum Fußballspiel fährt, soll (wenn er mag) in der Gondel ein kühles Bier finden. Und wer mit seinen Kindern unterwegs ist, für den steht eine Spiele-Konsole bereit.

Wer Ottobahn fährt, soll unterwegs sogar TV schauen können.
Wer Ottobahn fährt, soll unterwegs sogar TV schauen können. © Daniel von Loeper

So beschreibt Marc Schindler die Ottobahn. Der 42-Jährige ist eigentlich Geschäftsführer des Start-ups. In seiner E-Mail-Signatur nennt er sich "Can do Officer". Das steht im Englischen für eine "Wir-schaffen-das-Mentalität" – geht nicht, gibt's nicht.

Schindler trifft Politiker und Investoren – das Start-up ist auf Geldgeber angewiesen

Schindler ist in dem Unternehmen wohl tatsächlich derjenige, der die positivste Einstellung braucht: Er trifft sich mit Politikern und Investoren, mit anderen Unternehmen und mit der Presse. Denn solange die Ottobahn noch nirgends fährt, ist das Start-up darauf angewiesen, dass andere an die Idee glauben – und Geld hineinstecken.

"Ich bin ständig dabei, frisches Geld zu organisieren", sagt Schindler. Staatliche Förderung hat das Unternehmen bislang keine bekommen, trotzdem hängt an der Wand ein Foto der ehemaligen bayerischen Verkehrsministerin in einer Ottobahn-Gondel, trotzdem erwähnt Schindler, dass der Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner sein Start-up angeschaut hat.

Ottobahn-Betrieb nicht komplizierter als die Tram?

Schließlich soll die Ottobahn Teil des öffentlichen Verkehrsnetzes werden. Denn, wenn alles gut geht, funktioniert der Betrieb nicht komplizierter als der einer Straßenbahn, glaubt Schindler. Obwohl in den einzelnen Gondeln einmal kein Zugführer sitzen wird. Intelligente Software wird die Passagiere an ihr Ziel bringen.

Die erste Strecke könnte zwischen Augsburg und München verlaufen. Oder über die Autobahn von Neuperlach nach Taufkirchen. Zumindest ist das Schindlers Vision. Dort im Süden von München will er eine Teststrecke bauen. Spatenstich war eigentlich schon im Frühjahr. Trotzdem steht auf diesem Acker zwischen der Autobahn und dem Campus von Airbus noch immer nicht mehr als ein Baustellenschild. Grund sei die Knappheit von Stahl und Elektroteilen, sagt Schindler. "Wäre alles vorhanden, könnte die Teststrecke in drei Monaten fertig sein." Ziel sei, dass noch in diesem Jahr die Bagger anrollen.

So soll die Teststrecke im Münchner Süden mal aussehen.
So soll die Teststrecke im Münchner Süden mal aussehen. © Ottobahn

Am liebsten würden die Macher ihre Gondeln mit Solar betreiben

"Noch haben wir Luft", sagt Schindler. "Wir wollen wirklich hier bauen." Auf dem Tisch steht eine kleine Bayern-Fahne. "Aber irgendwann geht's halt nicht mehr. Wenn es zu lange dauert, müssen wir weggehen." Nach Amerika oder nach Afrika. Ist er schon ungeduldig? "Ja natürlich bin ich das", antwortet Schindler. "Sonst geht ja nichts voran."

Die Vision: Die Gondeln betreiben sich selbst mit Solarkraft.
Die Vision: Die Gondeln betreiben sich selbst mit Solarkraft. © Ottobahn

Früher arbeitete er als Berater in der Automobilbranche. Eigentlich ist er ein BWLer, kein Ingenieur, höchstens ein Bastler. Schon als Kind habe er mit seinem Vater an alten Autos rumgeschraubt, erzählt er.

Um die Schienen für die Ottobahn in seinem Büro aufzubauen, habe er mit seinen Mitarbeitern eine Nachtschicht eingelegt. Wenn er nichts von Technik verstehen würde, würde ihn keiner seiner Mitarbeiter ernstnehmen – da ist sich Schindler sicher.

Das Ottobahn-Team ist jung

In Schindlers Team arbeiten inzwischen zwölf Menschen, hauptsächlich Informatiker, Maschinenbauer, Softwareentwickler. Keiner, der an diesem Vormittag in dem Büro sitzt, wirkt recht viel älter als 30. Alle seien handverlesene Leute, sagt Schindler, mit dem "richtigen Spirit", die es aushalten, dass die Hälfte ihrer Ideen inzwischen draußen in der Papiertonne liegt.

Einer von ihnen ist Moritz Dötterl, ein 29-jähriger Informatiker, der schon an der Uni mit Kommilitonen einen Satelliten baute, der inzwischen im Weltall fliegt. Er ist für die Software in den Gondeln zuständig – und dafür, dass sie sicher fahren, auch wenn Sensoren einmal ausfallen. Dafür die entsprechenden Nachweise zu erbringen, sei zwar aufwendig, sagt er. "Aber die Ansteuerung der Motoren, der Türen und weiterer wichtiger Module funktionieren schon."

Moritz Dötterl hat im Blick, dass die Technik funktioniert.
Moritz Dötterl hat im Blick, dass die Technik funktioniert. © Daniel von Loeper

"Wir haben uns noch viel vorgenommen", sagt Schindler. Er würde zum Beispiel gern Photovoltaik entlang der Schienen verbauen, so dass die Bahn mit ihrem eigenen Ökostrom fahren kann. Er will auf den Schienen "Erlebniswelten" schaffen, so drückt es Schindler aus und meint damit begrünte Wege und Cafés. Er will, dass die Ottobahn auch Güter transportiert und dass einem die App, mit der man die Gondel bestellt, auch sagt, wo es am Zielort, den besten Kaffee gibt.

Viel zu tun also. "Wenn man so eine Idee hat, von der man überzeugt ist, muss man einfach loslegen", sagt Schindler. Am Nachmittag trifft er sich mit einem potenziellen Investor – damit nicht irgendwann das Geld für diese Idee ausgeht.

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