Münchens Zukunftsmacher: Das Wagnis-Labor
München - Was wir essen, hat Folgen – nicht nur für unseren Körper, sondern auch fürs Klima: Der Agrar- und Nahrungsmittelsektor verbraucht ungefähr 70 Prozent des Wassers und ist für etwa ein Viertel aller Treibhausgasemissionen verantwortlich, schreibt der WWF. Es gibt also Potenzial für Verbesserungen.
Im "Wagnis-Labore” werden "abgefahrene Ideen" umgesetzt
Für Innovationen in den Lebenswissenschaften und im Agrarbereich gibt es einen Ort: das Venture Lab Food in Freising. Es gehört zur Technischen Universität München (TUM). Hier bekommen kreative Köpfe Hilfe, aus ihrer Idee ein Unternehmen aufzubauen.
"Wagnis-Labore”, nennt Roman Werner die Venture Labs der TUM. Denn hier gehe es darum, "abgefahrene Ideen" umzusetzen, auf die die Industrie gar nicht gekommen wäre. Werner leitet das Venture Lab Food.
Solche Labs gibt es nicht nur für Ernährung und Landwirtschaft, sondern in elf Technologie-Domänen unter anderem im Bereich Chemie, Raumfahrt, Medizin und Robotik.
Das Lab, in dem neue Getränke, neue Nahrungsmittel oder neue Methoden in der Landwirtschaft ausprobiert werden, liegt in Freising. Es besteht aus einer Laborfläche, aus einer Maschinenhalle, wo die Gründer selbst ihre Anlagen aufbauen können, und aus vier weiteren Räumen, in denen die Start-ups werkeln können.
25 Teams arbeiten an ihren Ideen
Momentan arbeiten dort 25 Teams an ihren Ideen. Ziel sei, das Lab so auszubauen, dass dort Platz für 20 bis 30 Start-ups ist, sagt Werner. Mit der Bilanz bislang sei er zufrieden: Fast alle Start-ups, die im Venture Lab gegründet wurden, gebe es noch.
Das erste Start-up, das nach der Gründung des Labs 2020 einzog, heißt Farminsect. Die Gründer stellen aus Insektenlarven Futter für Nutztiere her und wollen so die Landwirtschaft nachhaltiger machen.
"Heute befinden die sich auf einer absoluten Erfolgsspur”, sagt Werner. Allerdings arbeiten die beiden Gründer auch schon seit fünf Jahren an ihrer Idee. Andere Start-ups wie Koralo, das an einem Fischersatz arbeitet, sind erst seit einem Jahr dabei. "Die", sagt Werner, "hatten in Rekordzeit ein Produkt entwickelt, das Fisch zum Verwechseln ähnlich ist.”
Vier Plätze sind momentan in dem Venture Lab Food frei. Die Voraussetzung, einen zu bekommen: Man braucht einen Bezug zur TU München - und eine Idee auf die noch keiner gekommen ist.
Tierfutter: Larven statt Soja
Ein Schwein freut sich, wenn es Larven zu essen kriegt, da ist sich Wolfgang Westermeier sicher. Schließlich wühlt es in freier Wildbahn auch im Boden herum und isst, was es in der Erde findet. Schon vor fünf Jahren hat der 36-Jährige gemeinsam mit seinem Studienkollegen Thomas Kühn begonnen, ein Verfahren zu entwickeln, wie man aus Insektenlarven Futtermittel für Nutztiere herstellen kann. Inzwischen existiert ein eigenes Unternehmen: Farminsect. Das Versprechen: Landwirte sollen mit den Larven ihre Kosten für Proteinfutter um bis zu 30 Prozent senken und gleichzeitig ihre Nachhaltigkeitsbilanz verbessern können. Bisher sei nicht einmal Werbung notwendig gewesen. "Die Landwirte kommen auf uns zu", sagt Westermeier. "Denn die Frage, wie die Zukunft einmal aussehen soll, treibt gerade viele um." Landwirte füttern ihre Tiere unter anderem mit Proteinmittel, erklärt Westermeier. Dieses bestehe meist entweder aus Soja oder aus Fischmehl. Beides werde praktisch komplett importiert, beides bewirke Schaden für die Natur: "Um Sojafutter herzustellen, werden Regenwälder gerodet", sagt Westermeier.
Und um Fischmehl herzustellen, werden Ozeane überfischt, so der Biologe: "30 Prozent der Fische, die gezüchtet oder gefischt werden, landen nicht auf dem Teller, sondern werden zu Fischmehl verarbeitet." Er und Thomas Kühn haben sich deshalb auf die Suche nach einer Alternative begeben, die sich lokal herstellen lässt und die den Tieren mindestens ebenso viel Kraft gibt wie Soja und Fischmehl. Und fanden: Larven. Sie entdeckten außerdem, dass sich die Larven gerne von dem ernähren, was Bauern normalerweise wegschmeißen. Zum Beispiel: Weizenkleie, die bei der Mehlproduktion übrigbleibt oder Stängel und Blätter von Maispflanzen. Für die Larven haben Kühn und Westermeier eine eigene Mastanlage entwickelt. Landwirte können die Anlagen auf ihren Höfen selbst betreiben. Die jungen Larven bekommen sie von Kühn und Westermeier. Sie haben dafür einen Produktionsstandort im Landkreis Mühldorf, etwa eine Stunde außerhalb von München, aufgebaut - ausgerechnet in einem ehemaligen Schweinemastbetrieb. Momentan seien bereits fünf Mastanlagen auf Höfen in Bayern in Betrieb, sechs weitere sollen bald folgen.
Neue Erfindung: Fisch aus Algen
Als Guido Albanese mit seiner Tochter Sina am Strand spazierte, und das Meer Algen ans Ufer spülte, stellte sie die Frage, was man aus dem grünen Seetang machen könnte. Da hatte er eine Idee: einen Fisch-Ersatz. Schließlich essen Fische Algen. Doch muss das Tier wirklich auf den Teller? Ein Jahr ist das her. Inzwischen haben der Vater und die Tochter ein Start-up gegründet. Koralo heißt es, 14 Menschen arbeiten daran mit, darunter viele Studenten.

Auch Sina Albanese, 20 Jahre alt, studiert noch. Für ihn sei das Projekt aber kein Hobby mehr, sagt Guido Albanese. "Ich bin jetzt 55 Jahre alt. Ich möchte meinen Kindern einen lebenswerten Planeten hinterlassen. Und dafür muss man jetzt etwas bewegen.” Dieser Tatendrang hat vielleicht auch dazu geführt, dass das Start-up tatsächlich eine - eigentlich Jahrhunderte alte - Methode gefunden hat, einen neuartigen Fischersatz herzustellen: Fermentation. Klingt nach Bier brauen oder Sauerkraut kochen? Ganz allgemein versteht man unter Fermentation die Umwandlung von Stoffen durch Bakterien, Pilze oder Enzyme. Um den Fischersatz zu produzieren, gibt das Start-up die Wurzeln von Speisepilzen mit Algen in einen Bottich. Innerhalb weniger Tage sei es möglich, daraus Fischfilets zu formen, sagt Albanese. Zum Beispiel ein 100 Gramm schweres Kabeljau-Filet. Mit dieser Fisch-Art haben Albanese und sein Team bisher die besten Erfahrungen gemacht. Aber auch Lachs, Shrimps und Jakobsmuscheln wollen sie imitieren.

Eine richtige Fabrik hat das Start-up dafür noch nicht, die Räume des Venture Labs in Freising sind bis jetzt noch groß genug. Die Konsistenz sei ihre Geheimwaffe, mit der sie andere Ersatzprodukte schlagen wollen, sagt Albanese. Denn ihr Fisch müsse nicht mehr extra behandelt werden, sondern er habe von vornherein die "richtige Textur", wie es Albanese ausdrückt. Ein weiterer Vorteil seines Produkts: Auf ihren Packungen werden die Kunden einmal keine 25 Zutaten lesen, deren Namen sie womöglich noch nie gehört haben. Sondern dort werden gerade einmal vier Produkte stehen: Algen, die Wurzeln eines Speisepilzes, Algen-Öl und Aromen. Die Kalorien und die Omega-3-Fettsäuren, wegen denen Fisch als gesund gilt, sollen gleich sein. Ziel ist, dass ihr Fisch nächstes Jahr im Kühlregal im Supermarkt liegt - oder auf der Speisekarte von Restaurants steht.
Nahrungsergänzung: Ein Medikament aus der Milch
Antibiotika sind in der Medizin nicht mehr wegzudenken. Allerdings werden immer mehr Erreger gegen die Medikamente resistent, egal ob Mensch oder Tier erkrankt ist. An einem Antibiotika-Ersatz arbeitet das Start-up Cowbyotec. Allerdings sollen zumindest Menschen das Präparat nicht erst dann einnehmen, wenn man schon krank ist - sondern davor als Prophylaxe. Wie das funktioniert, erklärt Hans-Jürgen Heidebrecht, einer der Gründer, ein 35-jähriger promovierter Lebensmittel- und Biotechnologe, folgendermaßen: Ein Baby nimmt im Mutterleib über die Plazenta Antikörper auf und bildet so ein Immunsystem. Bei Kühen läuft das anders ab. Statt über die Plazenta nimmt ein Kalb die Antikörper über die Muttermilch auf. Diese Antikörper können auch dem Menschen und anderen Tieren helfen, davon ist Heidebrecht überzeugt.
Zum Beispiel hätten Tests gezeigt, dass die Antikörper aus der Kuhmilch Hautkrankheiten von Hunden heilen, die schon gegen viele Antibiotika resistent sind. Menschen sollen die Antikörper allerdings präventiv einnehmen, um das Immunsystem zu stärken. Doch wenn die Antikörper in der Milch stecken - warum reicht es nicht, die zu trinken? "Milch wird, bevor sie im Supermarktregal steht, stark erhitzt und das tötet die Antikörper ab”, sagt Heidebrecht. Doch selbst in frischer Milch wäre die Konzentration des Wirkstoffs zu gering. Heidebrecht hat deshalb ein Verfahren entwickelt, die Antikörper aus der Molke, also der Restflüssigkeit, die bei der Käseproduktion entsteht, zu entnehmen. Normalerweise würden Landwirte diese wegkippen oder könnten damit nur einen geringen Ertrag erzielen. Durch Heidebrechts Idee sollen sie die Molke doch noch verwerten können - und damit Geld verdienen. Eine Brauerei in Neu-Ulm hat sich bereits dazu entschieden mit Heidebrecht zusammenzuarbeiten. Für die Molkerei ist das eine große Investition: Denn die Anlagen, die notwendig sind, um die Antikörper aus der Molke zu bekommen, seien nicht gerade kleine Gerätschaften, sondern große Aufbauten, durch die Tausende Liter am Tag fließen können.
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