Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter: "Toilettensituation der Stadt beschäftigt mich jede Woche"

München - Ulrich Gammel verschwindet am Josephsplatz, runter zur U-Bahn. Dort stellt er sich zwischen zwei verschlossene Türen im Sperrengeschoss. Die sollten eigentlich zu öffentlichen Toiletten führen, die Menschen die Möglichkeit geben, sich unterwegs in der Stadt kurz zu erleichtern. Durch die Glastüren sieht man Kabel von der Decke baumeln, Zement und Fliesen aufgestapelt. Dass die Toiletten seit September 2019 geschlossen sind, steht auf einem laminierten Schild. Aber nicht, wann sie wieder öffnen.
Toiletten-Mangel in München: Seniorenbeirat fordert mehr Klohäusl
Gammel, 70 Jahre, ist gewähltes Mitglied im Seniorenbeirat der Stadt. Dort ist er Beauftragter für öffentliche Infrastruktur – und damit auch für das brisante Thema Klohäuschen. "In Bürgersprechstunden und per Mail bekommen wir laufend Beschwerden darüber, dass es zu wenige gibt und dass viele stark verschmutzt sind", sagt Gammel.
Kostenlose, saubere und gut zugängliche Toiletten seien insbesondere für alte Menschen, aber auch Schwangere, Eltern von Babys und Kleinkindern und gehbehinderte Menschen entscheidend. Die Stadt hat bereits 2019 eine Klohäuschen-Offensive gestartet. Insgesamt 29 öffentliche Toiletten sollen bis Beginn des Jahres 2026 gebaut werden. 17 neue Modelle stehen schon und sind geöffnet. Aber der Münchner Seniorenbeirat ist damit nicht zufrieden.
Öffentliche Toiletten werden auch zur Frage der Teilhabe
Nach eigenen Recherchen und Rücksprache mit den jeweiligen Bezirksausschüssen hat die Seniorenvertretung nun einen Antrag für zwölf weitere öffentliche Toiletten zusätzlich zu den 29 gestellt. Aber warum gerade jetzt? Und hat ihr Antrag Aussicht auf Erfolg?

Gammel steht wieder oben am Josephsplatz. Neben den zusätzlichen fordert sein Beirat in dem Antrag, dass die geschlossenen Toiletten am Josephsplatz und eine weitere an der S-Bahn Wolfratshausen wieder öffnen. "Du kannst den Bürgern nicht vermitteln, warum wir einerseits zum Mond fliegen, aber es nicht schaffen, in fünf Jahren eine öffentliche Toilette zu sanieren", sagt Gammel.
Ulrich Gammel : "Ältere Menschen müssen häufiger zur Toilette"
Bei den zwölf zusätzlichen Standorten handele es sich unter anderem um den Königsplatz, den Platz um die Pinakothek der Moderne, den Herzog-Ernst-Platz in Sendling und allein drei Standorte in Freimann. "Ältere Menschen müssen häufiger zur Toilette und manche können keine weiten Strecken gehen, öffentliche Toiletten werden da auch zur Frage der Teilhabe", so Gammel.
Durch die Schlangen von Rentnern an den Tafeln, die Flaschen sammeln oder auf die günstigen Mittagsessensangebote von den Altern- und Servicezentren angewiesen sind, sei die Altersarmut immer deutlicher sichtbar. Öffentliche Toiletten seien da ein kleiner Beitrag, dass Grundbedürfnisse aller Menschen gleich versorgt werden.
Baureferentin: "Das ist ein High-End-Standard unter den Toilettenhäuschen"
An diesem Montagmittag zerschneidet Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) das schwarz-gelbe Band, das Toilette Nummer 17 von 29 eröffnet. Ein anthrazitfarbener Kasten, im Format Schuhkarton, etwa fünf auf drei Meter. "Das ist ein High-End-Standard unter den Toilettenhäuschen", sagt Baureferentin Jeanne-Marie Ehbauer (Grüne).

Toilettensitz und Schüssel würden nach jeder Nutzung automatisch sauber gemacht, zusätzlich würden Boden und Wände regelmäßig mit Wasserdüsen gereinigt. Einmal am Tag kommt ein Mitarbeiter der Betreiberfirma, um Toilettenpapier, Seife oder Putzmittel aufzufüllen, sagt die Baureferentin.
Dieter Reiter: "Toilettensituation in der Stadt beschäftigt mich einmal die Woche"
"Die Toilettensituation in der Stadt beschäftigt mich bestimmt einmal in der Woche", sagt der Oberbürgermeister vor der ersten Begehung. Es sei immer wieder Thema bei Bürgersprechstunden oder -versammlungen. Was hält die Stadt dann von dem Antrag des Seniorenbeirats für mehr Standorte? "Wir würden gerne mehr bauen, aber derzeit ist der Vorschlag vom Seniorenbeirat nicht gegenfinanziert", sagt Reiter.
Der Bau eines Modells wie am Bavariaring vor dem Wiesn-Gelände kostet die Stadt in Bau und Betrieb über 15 Jahre eine Million Euro, umgerechnet 5500 Euro im Monat pro Häuschen. "Wir brauchen diesen Standard, dass sie barrierefrei und dauerhaft sauber sind", sagt Baureferentin Ehbauer. "Wer Kinder hat, der weiß, nichts ist schlimmer als eine verschmutzte öffentliche Toilette."
Chance auf deutlich mehr öffentliche Toiletten für München?
Gleichzeitig ist seit März das historische Sondervermögen von 500 Milliarden, von dem 100 Milliarden an die Kommunen fließen sollen, vom Bundestag beschlossen. Ist das nicht die Chance auf deutlich mehr öffentliche Toiletten für München? Dieter Reiter winkt ab, er glaubt nicht an den großen Geldsegen. "Bei einem üblichen Verteilerschlüssel würde München davon etwa 80 Millionen bekommen."
Kürzlich habe er eine Schule eingeweiht, die habe alleine schon 130 Millionen Euro gekostet. Die Wahrscheinlichkeit, dass von den 80 Millionen ganze zwölf in Klohäuschen fließen ist also gering. Seniorenvertreter Ulrich Gammel sagt, der Seniorenbeirat wolle den Druck auf die Stadt weiter aufrechterhalten. "Wir sind schließlich sowas wie der Anwalt für die Interessen der Bürger." Und die Zahl an Menschen im Seniorenalter, die Gammel vertritt, steigt unentwegt.
Eine Sache fehle an den meisten Standorten
Es gebe aber auch andere Maßnahmen, die keine Millionen kosten. Etwa, wenn noch mehr der bestehenden öffentlichen Toiletten saniert würden. "Bei der am Olympiapark bekommen wir immer wieder Beschwerden, wie stark die verschmutzt und schlecht ausgestattet ist." Und was an den meisten Standorten fehle, seien deutliche Hinweisschilder, wo sich die nächste Toilette befindet. Am Odeonsplatz etwa verschwinden wenige Meter nördlich vom Tor zum Hofgarten an die 30 Stufen hinunter zu einer gut sanierten WC-Anlage, jeweils fünf Kabinen, Toilettenpapier vorhanden.
Aber wenn man oben an der Oberfläche steht, an den U-Bahn-Ausgängen oder an der Feldherrnhalle, weist nichts gut sichtbar auf die öffentliche WC-Anlage hin. Insgesamt gibt es in München im Bereich der MVG und auf städtischem Grund 166 öffentliche Toiletten, darunter auch mobile Varianten. Wenn man es nicht weiß, findet man dieses stille Örtchen höchstens zufällig.