Münchens neue IT-Referentin: Darum habe ich abgetrieben
München - Laura Sophie Dornheim weiß viel über ein Thema, bei dem so viele bloß eine Meinung haben: Abtreibung. Sie weiß, dass auf der Liste der Bundesärztekammer gerade mal vier Münchner Ärzte stehen, die Abtreibungen durchführen. Für Berlin sind es mehr als 100. Sie weiß, dass in der DDR die Krankenkasse den Eingriff bezahlte. Und dass es sich für viele Ärzte in Ostdeutschland wie Mittelalter anfühlte, als mit der Wende Abtreibungen plötzlich nicht mehr legal waren. Sie weiß, dass jede vierte Frau in Deutschland in ihrem Leben einmal abtreibt und dass die meisten davon schon ein Kind haben. Und sie weiß auch, wie es sich anfühlt.
Denn Laura Sophie Dornheim hat selbst abgetrieben. Sieben Jahre ist das inzwischen her.
Aus ihrer Abtreibung hat Dornheim nie ein Geheimnis gemacht
Bis vor kurzem war Dornheim die Sprecherin für Digitalpolitik der Grünen in Berlin, im Herbst kämpfte sie für den Einzug in den Bundestag. Seit vergangenen Mittwoch ist sie die 38-jährige IT-Referentin der Stadt München.
Aus ihrer Abtreibung hat Dornheim nie ein Geheimnis gemacht. Sie sprach darüber bei RTL und im Deutschlandfunk. Zeitungen schrieben darüber und sie veröffentlichte selbst Texte auf ihrer Homepage. Mindestens einmal im Jahr melde sich eine ungewollt schwangere Bekannte bei ihr und bitte um Hilfe, sagt Dornheim.
Daraus sei die Idee entstanden: ein Ratgeber für Schwangerschaftsabbrüche - eine Kombination aus Fachwissen und eigenen Erfahrungen. Das Buch solle Frauen helfen, die für sie selbst richtige Entscheidung zu treffen, sagt Dornheim. "Mein Buch zu lesen, soll sich anfühlen, als ob man eine gute Freundin anruft und die einem dann zur Seite steht."
Dornheim hat das Buch fertig geschrieben, gerade überarbeitet es das Lektorat. Nächstes Frühjahr soll es erscheinen.
37 Ärzte in München dürften abtreiben - nur vier findet man
Warum es einen Ratgeber für Abtreibungen braucht? Obwohl so viel über Abtreibung gesprochen werde, sei es noch immer schwierig, gute, fundierte und vor allem objektive Information zu diesem Thema zu finden, sagt Dornheim. Das fange schon bei der grundlegenden Frage an: An welchen Arzt oder welche Ärztin soll ich mich wenden?
Laut einer Erhebung des Gesundheitsreferates gibt es in München theoretisch 37 Ärzte, die die Erlaubnis haben, einen Abbruch durchzuführen. Auf der offiziellen Liste der Bundesärztekammer stehen aber gerade mal vier mit Telefonnummer und Adresse. Die restlichen findet man nur mit Glück.
In Zukunft könnte es noch schwerer werden: Von den 37 Ärzten sind knapp 67 Prozent über 60 Jahre alt. Fast ein weiteres Viertel ist sogar schon über 70. Nachwuchs gibt es kaum: Seit 2020 stellten laut Gesundheitsreferat nur zwei Ärzte neue Anträge, um eine Erlaubnis zu erhalten, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Beide sind noch in Bearbeitung. Gleichzeitig gaben drei Ärzte an, inzwischen den Eingriff nicht mehr durchzuführen.
In Hamburg und Berlin sei es leichter, Ärzte zu finden, die abtreiben, sagt Dornheim. Warum gibt ausgerechnet in München so wenige? Hürden gibt es eigentlich in ganz Deutschland. Denn ein Schwangerschaftsabbruch ist grundsätzlich rechtswidrig. Er bleibt aber unter bestimmten Bedingungen straffrei, zum Beispiel muss sich die Frau von einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lassen. Bis vor kurzem galt sogar, dass sich Ärzte strafbar machen, wenn sie über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Das hat sich geändert.
Dornheim bekam den ausschlaggebenden Rat damals von ihrer Mutter
Dornheim vermutet, dass in München zwei weitere Faktoren eine Rolle spielen: der Einfluss der Kirche im katholischen Bayern, die hohen Moralvorstellungen. Hinzu kommt: Zwar ist ein Schwangerschaftsabbruch nirgends in Deutschland Teil des Medizinstudiums. Ärzte müssen sich selbst darum kümmern, wie sie lernen, eine Abtreibung durchzuführen. Doch in Bayern müssen Ärzte noch dazu 1000 Euro zahlen, um eine Zulassung für den Eingriff zu bekommen.
Noch schlechter als in München ist die Versorgung auf dem Land. Bei einer Befragung des Gesundheitsreferats gaben die Hälfte der Ärzte an, dass etwa ein Viertel der in 2021 behandelten Frauen nicht aus dem Stadtgebiet München kam. Dornheim wundert das nicht. In Berlin bietet ein Familienzentrum die Begleitung des medikamentösen Abbruchs per Videoschalte an. "Die Hälfte dieser Frauen kommt aus Bayern", sagt Dornheim.
Sie selbst hat auch mit einer Pille abgetrieben und sich gegen eine OP entschieden. "Ich habe mich ohnehin schon so ausgeliefert und fremdbestimmt gefühlt, dass für mich eine Narkose die totale Horror-Vorstellung war", sagt sie.
Dornheim war damals Anfang 30. Sie war noch so frisch mit ihrem Partner zusammen, dass nicht klar war, ob es halten würde. Sie hatte zwar fertig studiert, aber noch in keinem Job so richtig Fuß gefasst. Ihr Leben, so klingt es, war in einem Schwebezustand. "Mein Kopf sagte: Du bist eigentlich alt genug. Für den Bauch war es ein Schock", erzählt Dornheim.
Den ausschlaggebenden Rat habe ihr ausgerechnet ihre Mutter gegeben, die selbst mit 19 schwanger geworden war. "Ich war mir relativ sicher, dass sie sagen würde, wir kriegen das hin." Dornheim täuschte sich. Ihre Mutter habe gesagt: "Laura, du planst doch alles. Wenn du weißt, dass es einen Zeitpunkt gibt, an dem du bessere Voraussetzungen für ein Kind schaffen kannst, dann ist das auch deine Verantwortung."
Die Ärztin verschrieb Dornheim zwei Pillen. Die erste musste sie in der Praxis einnehmen. Dieses Medikament beendet die Schwangerschaft. Die zweite Tablette nahm Dornheim Zuhause. Diese löst die Blutung aus. Es habe sich wie eine etwas stärkere Blutung angefühlt, sagt Dornheim. Vielleicht etwas mehr Schleim.
"Aber es war nichts weiter zu erkennen. Das war so weit weg von einem süßen, kleinen Baby", sagt Dornheim. Sie sei nach der Abtreibung nicht total fertig gewesen, sondern hauptsächlich erleichtert. Einen Tag später sei sie abends schon wieder zu einem beruflichen Termin gegangen.
Dornheim wird angefeindet - aber es gibt auch Dank
Warum die Abtreibung trotzdem so ein großes Thema für sie ist? "Ich spreche darüber nicht, weil ich noch etwas verarbeiten müsste", sagt die 38-Jährige. "Sondern aus Notwehr, weil die Situation in Deutschland so schlecht ist." In Berlin habe sie bei fünf bis zehn Ärzten angerufen, bis sie die richtige Gynäkologin fand. In München hätte sie von vornherein nur vier Adressen gefunden.
Auch, dass Frauen vor dem Eingriff zu einer Beratung gehen müssen, kritisiert Dornheim. Zwar sei ihre Beraterin unvoreingenommen und nett gewesen. "Doch eine erzwungene Beratung kann man doch nicht wirklich Beratung nennen. Das ist einfach bloß Zwang." Seit Jahren kämpft sie deshalb dafür, dass diese Regel abgeschafft wird.
Oft werde sie für dieses Engagement angefeindet. Gleichzeitig ist sie sich sicher, dass sie vielen Frauen geholfen hat: "Mir schreiben immer wieder Frauen, die sich bedanken, denen meine Offenheit geholfen hat. Eine einzige solche Nachricht wiegt für mich mehr als Hunderte anonyme Hasskommentare."
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