Münchens neue grüne Garde im Profil

Die Grünen erfinden sich gerade neu. Die Ära Hep Monatzeder (60) war gestern. Von dem langjährigen und populären Bürgermeister wollten sie nun nichts mehr wissen – und haben stattdessen die noch wenig bekannte Stadträtin Sabine Nallinger zu ihrer OB-Kandidatin gemacht. Und auch an der Spitze der Rathausfraktion gibt es einen Wechsel. Florian Roth und Gülseren Demirel lösen Sigi Benker und Lydia Dietrich ab (AZ berichtete). Was hat dafür gesorgt, dass die grünen Karten neu gemischt werden? Zum einen haben die schwarz-gelbe Atompolitik, Fukushima und Stuttgart 21 viele Neumitglieder in die Partei gespült. Und deren Auftrag versteht der Münchner Parteichef Sebastian Weisenburger so: „Ihr müsst wieder wilder, frecher, unbequemer werden.“ Nach 22 Jahren Rot-Grün ist Drang da nach neuen Impulsen. Zum anderen hat der Erfolg der Piraten freilich auch den Grünen zu denken gegeben. Nach dem Motto: Wer stillsteht, kann leicht überholt werden. Die AZ stellt die neuen Gesichter der Grünen in München vor.
Sabine Nallinger - Die ehrgeizige Überfliegerin
Name: Sabine Nallinger
Alter: 48
Job: Die Stadt- und Verkehrsplanerin leitet bei der Münchner Verkehrsgesellschaft den Bereich Forschung, Entwicklung und Innovationen.
Politische Funktion: Stadträtin seit 2008; jetzt wurde sie zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt – und zur OB-Kandidatin.
Themen: Nallinger ist Planungsexpertin und Sprecherin der Stadtratsfraktion für Verkehr und Energie. Für Zoff sorgten ihre jüngsten Vorschläge in Sachen Wohnungsbau. SPD-Mann OB Christian Ude warf ihr „unhaltbare Wahlversprechen“ vor.
Hobbys: Klettern (Schwierigkeitsgrad 6), Mountainbiking, Skitouren, Musik, Joggen im Westpark
Profil: Sie ist die Überfliegerin, die Bürgermeister Hep Monatzeder in hohem Bogen aus dem Rennen um die OB-Kandidatur katapultiert hat. Eine fleißige Netzwerkerin und Team-Arbeiterin. Die zweifache Mutter, die sich gern in bunten Sommerkleidchen zeigt, wirkt sympathisch und frisch. Ihr Ehrgeiz und ihre Zielstrebigkeit sind aber nicht zu unterschätzen. Ihre Hauptaufgabe bis zur Wahl 2014 wird jetzt sein, sich bekannter zu machen – ohne dabei auf die Nase zu fallen. Bei der Wohnungsbau-Debatte musste sie gerade lernen, wie schnell selbst Bündnispartner schießen, wenn sie eine Angriffsfläche finden.
Gülserem Demirel - Die kritikfähige Krimi-Leserin
Name: Gülseren Demirel
Alter: 47
Job: Sozialpädagogin im Sozialreferat. Sie führt Schulungen zur Integration von Migranten in Altenheimen durch.
Politische Funktion: Seit 2008 ist sie Stadträtin, im Oktober tritt sie ihr Amt als Fraktionsvorsitzende an. Sie ist Mitglied im Stadtvorstand der Münchner Grünen.
Themen: Demirel sitzt für die Grünen im Sozial-, Kommunal- sowie Kinder- und Jugendhilfeausschuss, in der Gleichstellungskommission und in der Stadtratskommission für Integration.
Hobbys: Sie ist leidenschaftliche Krimileserin – von Ani über Vargas zu Mankell und Nesser. In zwei Wochen Urlaub dürfen’s schon mal drei Bücher sein. Außerdem mag sie Städtereisen, wobei nun in den Ratsferien daheim Weißeln statt Reisen angesagt ist.
Profil: Die Frau mit der angenehm dunklen Stimme wurde im türkischen Malatya geboren und kam mit sieben nach Deutschland. Sie hat eine erwachsene Tochter. Durch ihre Doppelfunktion als Beisitzerin im Vorstand und als Stadträtin ist sie eine Art Scharnier zwischen Partei und Fraktion. In der Öffentlichkeit hat man Demirel bislang kaum wahrgenommen. Was sie so erklärt: „Keine Funktion, keine Öffentlichkeit.“ Das wird sich mit dem Fraktionsvorsitz jetzt ändern. Sie bezeichnet sich selbst als „konfliktfähig“: Mit Kritik, so sagt Demirel, könne sie besser umgehen als mit Komplimenten.
Sebastian Weisenburger - Der scherzhafte Perfektionist
Name: Sebastian Weisenburger
Alter: 29
Job: Büroleiter im Wahlkreisbüro des Grünen- Bundestagsabgeordneten Jerzy Montag
Politische Funktion: Vorsitzender der Münchner Grünen, Fraktionssprecher im Bezirksausschuss Untergiesing-Harlaching; bei der Kommunalwahl 2014 würde er gerne für den Stadtrat kandidieren.
Themen: Anti-Atomkraft, Wohnen in München, kommunaler Haushalt, Stadtviertel
Hobbys: Kochen – als seine Spezialitäten gibt er an: Crêpes, Kaiserschmarrn und Spätzle nach großväterlichem Rezept. Seit heuer wird bei ihm nur noch fleischlos gekocht. Klassische Musik: Er ist Mitglied im Verein der jungen Opernfreunde. Und er erkundet das Stadtleben gerne vom Radl aus.
Profil: An der Seite von Staccato-Sprecherin Katharina Schulze ist er der bedächtigere Part der Münchner Parteispitze. Er ist eher der Organisator. Derjenige, der versucht, den Laden zusammenzuhalten. Er nennt sich selbst einen Perfektionisten, der „manchmal vielleicht ein bisserl zu formalistisch ist“. In der Politik, so meint er, müsse „die Vernunft Vorrang haben“. Ein Trockenknödel ist er aber nicht. Vielmehr diagnostiziert er bei sich selbst einen „Hang zum schlechten Scherz“ – weil der eine oder andere seiner Späße eben auch mal daneben geht.
Florian Roth - Der analytische Philosoph
Name: Florian Roth
Alter: 45
Job: Leiter der Bildungsberatung International der Stadt: Dort werden Migranten in Schulfragen beraten. An der Münchner Volkshochschule hält er als Dozent philosophische Vorträge.
Politische Funktion: Seit 2008 ist er im Stadtrat, ab 1. Oktober dann als Fraktionsvorsitzender der Grünen.
Themen: Er ist Mitglied im Kulturausschuss, im Bildungs-, Finanz- sowie im Verwaltungs- und Personalausschuss. Zusätzlich ist noch die Migrations- und Integrationspolitik sein Thema.
Hobbys: Radlfahren, Bergwandern, Kino und Theater
Profil: Ein Mann mit scharfem, kühlem Verstand. Als Philosophie-Magister hält er Vorträge mit Titeln wie: „Dostojewskijs Großinquisitor oder die Überforderung des Menschen durch die Moral.“ Seine Stärke: die Analyse. Seine Schwäche: dito. „Jetzt hör’ doch mal auf, das alles zu analysieren“, ist ein Satz, den er nicht bloß einmal gehört hat. Von 2001 bis 2007 war er Münchner Grünen-Chef. Politisches Engagement wurde ihm quasi in die Wiege gelegt: Er ist im rumänischen Hermannstadt (Sibiu) geboren, sein Opa starb in kommunistischer Haft in Rumänien, sein Vater verbrachte sechs Jahre in politischer Gefangenschaft. Als neuer Fraktionschef will er für einen „Bürgerhaushalt“ werben – die Münchner sollen direkt mitentscheiden dürfen, was mit einem Teil des städtischen Geldes passiert.
Katharina Schulze - Die energische Protestlerin
Name: Katharina Schulze
Alter: 27
Job: Seit Herbst arbeitet sie an ihrer Promotion am Geschwister-Scholl-Institut. Das Thema: „Demokratie und Klimawandel.“
Politische Funktion: seit November 2010 Vorsitzende der Münchner Grünen. Jetzt strebt sie den Landtag an und bewirbt sich um das Direktmandat in Milbertshofen.
Themen: Gleichstellung, Ökologie, Klimaschutz, Integration, Rechtsradikalismus
Hobbys: Lesen, Joggen, Reisen (demnächst mit dem Zug über Polen, Litauen und Lettland nach Stockholm)
Profil: Ein Energiebündel, das redet wie ein Wasserfall und andere mitreißen kann. Die Kehrseite: Wenn ihr etwas zu langsam geht, wird sie ungeduldig. Schulze nennt sich selbst „sehr verantwortungsbewusst“. Sie ist der Typ Mensch, der nie den Geburtstag von Freunden vergisst und sich schon im Gymnasium als Schülersprecherin engagiert hat. Sie ist Vegetarierin und trinkt keinen Alkohol. Die fleißige Twitterin war das Münchner Gesicht des Startbahn-Protestes. Und auch schon des Olympia-Protestes – was die Pro-Olympia-Kräfte ihrer Partei (darunter die Ratsfraktion) brüskierte. Damals wurde sie sogar aufgefordert, nicht als Grünen-Chefin anzutreten. Was sie wenig erschütterte: „Also bitte, das fand ich doch ein bisserl unpassend!“