Münchens mieseste Jobs: Wenn's Geld nicht reicht

Über 30 Prozent der Beschäftigen in Bayern arbeiten laut einer aktuellen Studie in „prekären“ Verhältnissen. 43 Prozent aller Neuanstellungen sind befristet.
von  J. Menrad

Über 30 Prozent der Beschäftigen in Bayern arbeiten laut einer aktuellen Studie der Gewerkschaften in „prekären“ Verhältnissen. 43 Prozent aller Neuanstellungen sind befristet.

MÜNCHEN - Das bayerische Beschäftigungswunder hat auch seine Schattenseiten. Immer mehr Menschen arbeiten und bleiben trotzdem arm – laut der Studie „Prekäre Beschäftigung in Bayern“, die im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes Bayern (DGB) erstellt wurde.

Über 30 Prozent der Beschäftigten sind Mini- oder Midi-Jobber, arbeiten in Teilzeit, befristeten Verträgen oder sind Solo-Selbstständig. In der EU haben nur die Niederlande einen höheren Anteil an diesen „atypisch Beschäftigten“. Inzwischen sind 43 Prozent aller Neuanstellungen in Bayern nur noch befristet.

Bertram Brossardt von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft e.V hält gestern gleich mit anderen Zahlen dagegen: „Die Arbeitslosenquote ist mit 4,2 Prozent auf einem Niveau, das weltweit seinesgleichen sucht.“ Den Niedriglohnsektor erklärt er zum Einstieg in den Aufstieg – weil 30 Prozent der Beschäftigten dort zuvor arbeitslos waren.

Die AZ fasst die Zahlen der Studie zusammen. Sie zeigen, dass besonders junge und alte Menschen, sowie Frauen von unsicheren Arbeitsverhältnissen betroffen sind:

 


 

Junge Menschen

In den ersten sechs Jahren nach der abgeschlossenen Ausbildung verbrachten junge Menschen nur 60 Prozent dieses Zeitraums in einer Vollzeitbeschäftigung, 26 Prozent in befristeter oder Niedriglohnbeschäftigung und 13 Prozent (das sind 9,4 Monate) in Arbeitslosigkeit.

Ein Jahr nach dem Studienabschluss sind nur knapp ein Drittel der Uni-Absolventen unbefristet vollzeitbeschäftigt, von den Magisterabschlüssen nicht einmal jeder achte.

Die Jungen sind in der Leiharbeit stark überrepräsentiert: 21,4 Prozent der Zeitarbeiter sind 15 bis 24 Jahre alt.

Von den jungen Vollzeitbeschäftigten arbeiten 42 Prozent im Niedriglohnbereich.

 


 

Frauen

In Bayern betrug 2006 der tatsächliche Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen 21 Prozent.

Der bereinigte Verdienstunterschied – das heißt, wenn Männer und Frauen die gleiche Berufswahl treffen würden, vergleichbare Berufserfahrung und Bildungsabschlüsse hätten – liegt bundesweit bei acht Prozent.

Jede dritte Frau in Vollzeitbeschäftigung ist Niedriglohnbezieherin.

Nur 29 Prozent der Mütter mit einem Kind im Krippenalter sind erwerbstätig. Ist das Kind im Kindergartenalter, sind es 59 Prozent und von den Müttern mit Grundschulkindern arbeiten 65 Prozent. Von den Väter arbeiten zwischen 83 und 86 Prozent – egal, wie alt das Kind ist.

Doppelt so viele Frauen wie Männer haben einen Mini-Job.

60 Prozent der befristet Beschäftigten in Bayern sind Frauen.

 


 

Ältere Menschen

Nur rund die Hälfte der 60-Jährigen ist erwerbstätig.

Durchschnittlich gehen die Bayern mit 63,1 Jahren in Rente.

Nur 22 Prozent der 60- bis 64 Jährigen gehen aus Altersgründen in den Ruhestand, viele aus gesundheitlichen Gründen (23 Prozent) oder weil sie entlassen werden (12,9 Prozent).

15,1 Prozent der bayerischen Arbeitnehmer zwischen 55- und 64 Jahren sind Niedriglohnbezieher.

17,7 Prozent der über 65-Jährigen sind in Bayern armutsgefährdet.

 


 

AZ-Lexikon: Was sind Midi-Jobber?

Die Teilzeitbeschäftigung in Bayern nimmt kontinuierlich zu: waren es im Jahr 2000 noch 542000 Frauen und 78000 Männer, sind es 2012 bereits 740000 Frauen und 138000 Männer, die in Teilzeit arbeiten.

Fast jeder dritte bayerische Betrieb beschäftigt Midi-Jobber, die zwischen 401 und 800 Euro brutto verdienen. Jeder zehnte dieser Midi-Jobber ist vollzeitig tätig.

Wer nicht mehr als 400 Euro im Monat verdient, ist ein Mini-Jobber. Allein seit 2008 stieg deren Zahl um 5 Prozent. 70 Prozent derjenigen, die ausschließlich Mini-Jobber sind und keine andere Erwerbstätigkeit haben, sind Frauen.

Um den tariflichen Kündigungsschutz zu umgehen, Kosten einzusparen und Druck auf die Belegschaft auszuüben, beschäftigen immer mehr Betriebe Leiharbeiter, auch Zeitarbeiter genannt. Seit 2003 ist die Übernahmequote stabil: nur 5 bis 7 Prozent werden später sozialversicherungspflichtig eingestellt.

Immer mehr befristete Beschäftigte gibt es in Bayern: Während 2001 noch 219000 Arbeitnehmer in einer befristeten Anstellung waren, sind es 2010 schon 322000 gewesen.

Solo-Selbstständig bezeichnet der DGB als schmalen Grat zur Scheinselbstständigkeit, da es oft nur einen Auftraggeber gibt. Die Zahl stieg im vergangenen Jahrzehnt deutschlandweit von knapp 1,8 Millionen auf über 2,3 Millionen an. Und für manche kommt es ganz dick, zum Beispiel für befristet beschäftigte Leiharbeiter.

 


 

Harte Arbeit, wenig Geld: Die miesesten Jobs

Friseure, Putzfrauen, und Kellner verdienen besonders wenig – auch in München

Kellner:

Eine Zahl, die Bände spricht: 67 Prozent der in der Gastronomie Vollbeschäftigen arbeiten im Niedriglohnbereich. Vor allem kleinere Lokale richten sich oft nicht nach dem Tarifvertrag. Der Tariflohn für ungelernte Kräfte liegt bei mindestens 1628 Euro monatlich. Gelernte Kräfte bekommen nach der dreijährigen Lehre monatlich 1722 Euro brutto. Ein Oberkellner verdient etwa 2650 Euro. Ist man am Umsatz beteiligt, liegen die Entgelte etwas niedriger. Immerhin: Trinkgeld gehört dem Kellner.

 


 

Friseure:

Friseure haben mit einem Stundenlohn von drei bis acht Euro auch in München das niedrigste Einkommen. Der Tariflohn für ungelernte Kräfte liegt bei nur 1270 Euro. Gesellen mit bis zu fünf Jahren Berufserfahrung verdienen 1381 Euro monatlich. Danach gibt es 1484 Euro. Wer einen Meistertitel hat, erhält laut Tarif 1996 monatlich.

 


 

Textilreiniger:

Sie liegen an zweiter Stelle der Geringverdiener. Im Monat verdienen sie etwa 1717 Euro. Der Tariflohn liegt bei acht bis 14 Euro pro Stunde. Auch hier sind viele nicht tarifgebunden.

 


 

Raumpfleger:

Sie verdienen aber nur etwa 1816 Euro. Der Tariflohn beträgt zwischen vier und acht Euro pro Stunde.

 


 

Wachdienst:

Wächter und Aufseher verdienen laut Tarif zwischen vier und zehn Euro die Stunde. Im Monat kommt man mit dieser Tätigkeit im Schnitt auf 1858 Euro. Oft werden solche Tätigkeiten aber als Nebenjobs, etwa von Rentnern und Studenten ausgeübt, die sich etwas dazuverdienen wollen – oder müssen.

 


 

Call-Center-Mitarbeiter:

Der Stundenlohn liegt etwa bei 10 Euro. In dieser Branche arbeitet nur etwa ein Drittel als Vollzeitbeschäftigter.

 

 

 

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