Interview

Münchens Grünen-Chefin Svenja Jarchow-Pongratz: "Der nächste OB? Eine grüne Frau!"

Seit kurzem ist Svenja Jarchow-Pongratz Chefin der Grünen in München. Warum sie den Frust der Klimaaktivisten verstehen kann, erklärt sie im Interview.
von  Interview: Christina Hertel
Svenja Jarchow-Pongratz ist Chefin der Münchner Grünen und leitet damit den größten Kreisverband der Partei. Mit ihrem Hund Emil steht sie vor der Parteizentrale.
Svenja Jarchow-Pongratz ist Chefin der Münchner Grünen und leitet damit den größten Kreisverband der Partei. Mit ihrem Hund Emil steht sie vor der Parteizentrale. © Bernd Wackerbauer

München - Vor ein paar Wochen haben die Münchner Grünen Svenja Jarchow-Pongratz zu ihrer neuen Vorsitzenden gewählt. Ihre Vorgängerin hatte aus gesundheitlichen Gründen aufgehört. In der AZ erzählt Jarchow-Pongratz, die auch den Bezirksausschuss Maxvorstadt leitet, was sich mit ihr verändert und wo ihr die Umsetzung der Grünen-Politik zu langsam geht.

AZ: Frau Jarchow-Pongratz, Sie haben schon als kleines Mädchen vor dem Kindergarten gegen Atomkraft demonstriert. Haben Ihnen damals Ihre Eltern das Plakat in die Hand gedrückt?
SVENJA JARCHOW-PONGRATZ: Selbstverständlich waren wir mit Erwachsenen auf der Straße. Der Auslöser war Tschernobyl. Damals konnte ich nicht mehr auf meinen Spielplatz, weil dort der Sand ausgetauscht werden musste. Das Verrückte war: Wir haben nichts von der Atomkrise gesehen, geschmeckt oder gerochen. Die Welt um uns herum blieb gleich. Trotzdem haben wir alle gespürt, dass etwas Bedrohliches passiert. Gleichzeitig konnten wir unsere Meinung sichtbar machen und Veränderung anstoßen. Das hat mich sehr geprägt.

Münchner Grünen-Chefin Pongratz unterstützt Klimaaktivisten

Die Aktivisten von Fridays for Future sind auch unzufrieden - allerdings mit der Grünen-Politik in München. Sie demonstrieren heute vor dem Stadtrat.
Recht haben sie. Aber man muss auch in den Vordergrund stellen: Wir regieren nicht alleine, sondern sind Teil einer Koalition. Umso wichtiger finde ich es, dass Menschen für diese Themen auf die Straße gehen. Das macht es leichter, grüne Politik umzusetzen.

Das heißt, Sie können nachvollziehen, dass Fridays for Future enttäuscht ist?
Absolut. Es ist immer enttäuschend, wenn man sieht, dass Dinge nicht so schnell umgesetzt werden können, wie man es sich erhofft hat. Aber wenn wir ehrlich sind, sind wir Grünen eben auch relativ neu in der Regierung und vieles lässt sich nicht sofort ändern. Das Ziel, klimaneutral zu werden, ist vielschichtig. Da geht es um Gebäudedämmung, aber auch um die Frage, woher wir die Energie beziehen. Auch bei der Mobilität lässt sich vieles nicht von jetzt auf gleich umkrempeln. Aber ich sehe viele gute Schritte, die ohne die grüne Stärke im Stadtrat nicht möglich gewesen wären, wie etwa das Klimabudget.

So will Svenja Jarchow-Pongratz die Münchner Politik verändern

Wo geht Ihnen die Umsetzung zu langsam?
Ich würde mir eine schnellere Umsetzung von Radwegen wünschen. Bauliche Veränderungen dauern oftmals lange. Deshalb bin ich ein Fan der Pop-up-Radwege. Sie lassen sich schnell umsetzen. Gleichzeitig sieht man sofort, was die Folgen sind und wo es hakt. Solche Versuche sollte es an noch viel mehr Stellen geben.

Inwieweit werden Sie das in Ihrer neuen Rolle als Parteichefin anstoßen?
Meine Rolle ist definitiv, Themen aus der Basis nach oben zu treiben und mit dem Stadtrat gemeinsam die Kräfte unserer Partei zu nutzen. Wir sind ja inzwischen eine sehr große, starke Partei voller Wissen und Ideen. Mein großes Anliegen ist, diese Kraft der Masse zu nutzen.

Drei große Themen der Münchner Grünen: "Mobilität, Wohnraum und das Grün in der Stadt"

Mit 3.800 Mitgliedern sind die Grünen München der größte Kreisverband der Grünen in Deutschland. Ist Basisdemokratie, eines der Merkmale der Grünen, überhaupt noch möglich?
Das Wachstum ist sehr kurzfristig innerhalb von zwei, drei Jahren gekommen. Jetzt plötzlich diese Vielfalt an Mitgliedern einzubinden, ist natürlich eine Herausforderung. Wir haben deshalb vor Kurzem innerhalb der Partei eine Strukturreform beschlossen. Die Stadtparteitage werden sich in Zukunft zum Teil auf bestimmte Themen zentrieren. Dadurch wird es leichter, Ideen zu entwickeln, die wir in den Stadtrat einbringen können.

Ein Vorwurf ist, dass sich die Grünen bloß um Radler kümmern.
Nur um Radwege kümmern wir uns garantiert nicht. Aus meiner Sicht gibt es drei Hauptthemen: die Mobilität, der Wohnraum und vor allem das Grün in der Stadt. Wenn wir langfristig in einer Stadt wie München, die so dicht besiedelt ist, gut zusammen leben wollen, dürfen wir unsere Grünflächen nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Zwar ist München dazu verpflichtet, Bäume nachzupflanzen, wenn welche gefällt werden. Allerdings geschieht das zu oft am Stadtrand. Außerdem müssen wir in allen Quartieren genau hinschauen, wo wir Aufenthaltsqualität schaffen können - zum Beispiel, indem wir auch kleine Flächen nutzen und zusätzlich Parkplätze zurückbauen und Flächen entsiegeln.

Wie weh tut es Ihnen, wenn Bäume gefällt werden, um Wohnraum zu schaffen?
Das muss man von Fall zu Fall abwägen. Allerdings werden gerade in der Innenstadt zu oft Bäume gefällt, obwohl man es hätte vermeiden können. In vielen Fällen stand an der gleichen Stelle schon ein Gebäude. Wenn Bauherren sich mit dem Neubau an die alten Grenzen halten und zum Beispiel die Tiefgaragen direkt unter dem Gebäude und nicht durch den Innenhof errichten würden, könnten viele Bäume gerettet werden. Außerdem gibt es in München zu viel Wohnraum, der leer steht. Auch der Abriss geht oftmals zu schnell.

"Ich hätte eine Feiermeile auf der Ludwigstraße begrüßt"

Also lieber nicht mehr neu bauen?
Am Ende wird die Stadt natürlich trotzdem nicht darum herumkommen, auch mal neue Wohngebiete auszuweisen. Dann sollte sie aber streng darauf achten, dass Frischluftschneisen offengelassen werden, dass Quartiere kurzer Wege entstehen und dass die Wohnungen den neuesten energetischen Standards entsprechen.

Wie sieht München 2030 aus?
Bis dahin werden wir eine grüne Oberbürgermeisterin haben und das wird vieles verändern. München wird eine Stadt sein, in der man gern aufs Rad steigt oder zu Fuß geht. Und München wird eine belebtere Stadt sein. Die Menschen werden sich gerne draußen aufhalten, nicht nur in der Gastronomie.

Und dann beschweren sich die Anwohner, so wie vergangenes Jahr auf der Türkenstraße. Sollte die Stadt jetzt an Konzepten für den Sommer feilen?
Wir können die Pandemie-Situation gerade nicht abschätzen und die setzt natürlich den Rahmen. Auf jeden Fall muss die Stadt diesen Sommer schneller beim Aufstellen von Toiletten sein. Der OB hatte das auch so versprochen. Aber dann ist da leider nichts passiert. Vergangenen Sommer hat das Museum "Reich der Kristalle” gegenüber der Pinakothek der Moderne einen Bauzaun aufgestellt, weil so viele Menschen ans Gebäude uriniert haben. Das geht nicht. Da muss die Stadt schneller Gelder für Toiletten bereitstellen. Denn die Menschen werden nicht weggehen, und ich finde, das sollte auch nicht das Ziel sein.

Die Stadt wollte eine Feiermeile auf der Ludwigstraße ausweisen und scheiterte. Hat die Idee noch eine Chance?
Ich hätte eine Feiermeile auf der Ludwigstraße begrüßt. Aber das wurde so vehement abgelehnt, dass ich nicht glaube, dass es dieses Jahr klappt. Ich finde grundsätzlich die Idee, einen Straßenzug zu sperren und den Feiernden zur Verfügung zu stellen, nach wie vor gut. Vorstellbar wäre das zum Beispiel vor dem Pascha beim Maximiliansplatz. Im Sommer war es nur möglich, in einem kleinen Teil der angrenzenden Grünanlage zu feiern. Ich hoffe, dass dieses Jahr noch mehr geht. Denn die Clubs haben während der Pandemie so lange zurückgesteckt und brauchen eine Perspektive.

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