Münchens große Versöhnerin: Charlotte Knobloch wird 90
München - Sie habe "viel gearbeitet und viel erreicht", hat Charlotte Knobloch einmal gesagt. Da mag wohl keiner widersprechen. Höchstens in einem sprachlichen Detail. Denn Vergangenheit ist all das natürlich nicht. Knobloch arbeitet bis heute – und erreicht damit sehr viel. Für die Juden weit über München hinaus. Und: für diese Stadt und ihr gesellschaftliches Klima. Am Samstag wird Knobloch, die große Versöhnerin, 90 Jahre alt.
Charlotte Knobloch: Holocaust in München überlebt
Einen demütigen Titel hat Alt-OB Christian Ude seiner Rede gegeben, als Charlotte Knobloch 2005 die Ehrenbürgerwürde verliehen bekam. "Danke für die Bereitschaft zur Versöhnung", hieß Udes Ansprache. Und natürlich ist diese Bereitschaft tatsächlich gar nicht selbstverständlich. Sie selbst hat den Holocaust als Mädchen nur überlebt, weil eine Bäuerin in Franken sie als ihr uneheliches Kind ausgegeben hat.

Knoblochs Großmutter ließ sich auf Deportationsliste schreiben
"Mein Vater hatte erfahren, dass ein sogenannter Kinder- und Altentransport zusammengestellt wurde", so hat sie es der "Sudetendeutschen Zeitung" erzählt. "Der Verantwortliche für die Deportationslisten hatte ihm berichtet, dass er gezwungen wurde, einen von uns auf die Liste zu setzen. Meine Großmutter entschied, dass sie sich aufschreiben lässt. Mit mir wurde das damals nicht besprochen. Mir sagte sie zum Abschied nur, sie fahre zur Kur." Viel später sollte Charlotte erfahren, dass ihre geliebte Großmutter im KZ Theresienstadt ermordet worden war.
Nicht selbstverständlich: Charlotte Knobloch kam nach München zurück
Ihr Vater kam in Zwangsarbeit, konnte aber einer Deportation ins KZ durch Flucht zuvorkommen. Er konnte sich bis Kriegsende auf dem Speicher eines Freundes in Gauting verstecken. Dass Knobloch nach München zurückkam und blieb – und die Stadt später jahrzehntelang prägen sollte – war nicht selbstverständlich. "Ja, ich wollte weg", sagt sie. "Ich wollte das alles hinter mir lassen." Knobloch, die als Mädchen an der Hand ihres Vaters in der Pogromnacht 1938 aus der Münchner Wohnung geflohen war, sagt, sie habe sich geschämt, einen deutschen Pass zu haben. "Ich musste aber warten, bis ich mit 21 Jahren endlich volljährig wurde, aber da war ich dann schon Mutter. Mit drei Kindern haben mein Mann und ich dann entschieden, dass wir bleiben." Das Schicksal, so sieht es Knobloch, habe eben anders entschieden.
Wiederbeginn der täglichen Gemeindearbeit
Was für ein Glück für diese Stadt! Schon in den 50er und 60er Jahren erlebte sie den Wiederbeginn der täglichen Gemeindearbeit hautnah. Ihr Vater war bereits am 19. Juli 1945 zum Vizepräsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde gewählt worden, 1951 bis 1969 fungierte er als Präsident. Charlotte Knobloch selbst engagierte sich als junge Frau in der Betreuung älterer Gemeindemitglieder.

1981 ging sie in den Vorstand, 1985 wurde sie zur Präsidentin – die erste Frau an der Spitze einer Großgemeinde in Deutschland. Von 2006 bis 2010 war sie auch Präsidentin des Zentralrats. Der IKG aber steht sie bis heute vor, mit vielen Erfolgen. Der sichtbarste: das Jüdische Gemeindezentrum mit Synagoge am Jakobsplatz, die Gemeinde ist in das Herz der Stadt zurückgekehrt. Für Knobloch, die noch die alte Hauptsynagoge erlebt hat, ein Lebensprojekt.
"Ich bin dankbar": Knobloch habe keinen Grund zur Klage
Natürlich wird an diesem Sonntag dort, am Jakobsplatz, ihr Geburtstag gefeiert. Und natürlich hat sich dafür viel Prominenz angekündigt, auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kommt. Was der 90. ihr persönlich bedeutet? "Ich bin dankbar für die vielen Jahre, in denen ich etwas leisten konnte", sagt sie der AZ. "Auch wenn ich es eigentlich am liebsten mag, wenn bei Feiern und Festen andere im Mittelpunkt stehen." Ihr gehe es "wirklich gut", sagt Knobloch, sie habe "keinen Grund zur Klage".

Es sei eine gute Zeit für jüdisches Leben, sagt sie. "Wir haben die Sichtbarkeit und wir haben vor allem Freunde und Partner in unserer Stadt." Die größte Herausforderung sei es nun, dafür zu sorgen, "dass die jungen jüdischen Menschen bei uns bleiben". Die Lage könne schnell kippen, mahnt Knobloch mit Blick auf den Antisemitismus.
Und so wird die Präsidentin weiter erzählen, von dem was war, planen, versöhnen und eben mahnen. Und die Menschen werden zuhören. "Ihre Stimme hat Gewicht und ist gefragt", sagt Josef Schuster, der aktuelle Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, zur AZ. "Ich wünsche ihr für die Zukunft von Herzen viele weitere erfüllte Jahre und beste Gesundheit. Bis 120!"

Nun aber wird erstmal gebührend gefeiert. Für Knobloch geht die Arbeit nicht aus – auch weitere Anlässe zum Feiern stehen an. 2023 wird eine Seniorenresidenz eingeweiht. Noch einer der vielen Erfolge Charlotte Knoblochs. Der großen Versöhnerin, die das Jüdische Leben zurück ins Herz der Stadt gebracht hat.
Weitere Bilder aus dem Leben von Charlotte Knobloch finden Sie oben in der Fotostrecke.