Münchens Bürgermeisterin Katrin Habenschaden: "Was wir tun, reicht nicht"

München - Praktisch alle Veranstaltungen, bei denen man mit anderen in Kontakt hätte treten können, fallen aus – auch Bürgerversammlungen und Bürgersprechstunden. Die Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden von den Grünen ist darüber besorgt.
Während es der Stadt schwer fällt, mit ihren Bürgern Kontakt zu halten, würden sich Verschwörungsmythen von Corona-Leugnern und Querdenkern immer leichter verbreiten, glaubt sie. Dieser Entwicklung möchte Habenschaden etwas entgegentreten. Deshalb stellt sie diese Woche den Antrag, dass die Stadt digitale Formate für Bürgersprechstunden und -versammlungen entwickelt.
AZ: Wer reich ist und in einem Haus wohnt, leidet weniger unter dem Lockdown als Menschen in einer kleinen Wohnung. Wie groß ist Ihre Sorge, dass Corona die soziale Spaltung weiter verschärft?
KATRIN HABENSCHADEN: Die Stadt tut zwar viel dafür, dass keiner durch das soziale Netz fällt, aber wir wissen, dass das nicht immer reicht. Ich mache mir wirklich Sorgen um Ältere, Alleinstehende, Alleinerziehende. Das sind auch die Personen, bei denen ich im Freundeskreis versuche, zu helfen, wo es nur geht.
Die Nachrichten auf Social Media werden mehr
Wie machen Sie das?
Zum Beispiel laden mein Mann und ich alleinstehende Freunde ein oder ich telefoniere am Abend mit ihnen. Meine Oma ist 92 - und es ist mir ganz wichtig, dass sie jeden Tag etwas von mir hört.
Und wie häufig haben Sie gerade noch Kontakt zu Münchner Bürgern?
Das kurze Gespräch auf der Straße oder in der S-Bahn ist natürlich kaum mehr möglich. Andererseits bekomme ich jetzt merklich mehr Nachrichten auf Social Media.
Was schreiben die Leute?
Viele schildern ihre persönliche Situation - zum Beispiel schreiben mir Eltern mit Kindern, die von der Kombi aus Homeoffice und Homeschooling geplagt sind.
Habenschaden: "Ein Lockdown im Winter ist etwas anderes"
Wie hat sich die Stimmung bei den Menschen verändert?
Im ersten Lockdown herrschte eher die Stimmung: 'Komm´, wir schaffen das.' Jetzt hofft jeder, dass man es auch wirklich bald geschafft hat. Im Sommer konnte man sich wenigstens noch auf eine Wiese in die Sonne setzen. Ein Lockdown im Winter ist einfach etwas anderes, wenn die Tage dunkel und kalt sind.
Nimmt die Staatsregierung mit ihren Corona-Maßnahmen aus Ihrer Sicht zu wenig Rücksicht auf Menschen in der Großstadt?
Ich halte den Lockdown für notwendig. Doch manches leuchtet mir nicht ein - wie die neue 15-Kilometer-Regel. München ist eine der am dichtesten besiedelten Städte Europas. Wenn man da die Leute nicht mehr raus lässt, führt das nur dazu, dass sich die Menschen noch mehr in den Parks und auf den Spielplätzen drängen. Das Glück eines eigenen Gartens haben die meisten nicht.
Wenn man den Fernseher anschaltet, erklärt da regelmäßig der bayerische Ministerpräsident die neuesten Regeln. Den Münchner Oberbürgermeister sieht man allerdings kaum. Für wie problematisch halten Sie das?
Die Liebe zum Rampenlicht ist wohl verschieden ausgeprägt. Aber Spaß beiseite. Die Maßnahmen werden auf Landesebene beschlossen, wir müssen sie dann kommunal umsetzen. Als Landeshauptstadt versuchen wir, die Menschen über Pressemitteilungen und auf unseren Internet-Seiten zu informieren. Aber das ist ja immer nur die eine Richtung. Ich möchte auch wissen, was die Münchner denken.
Wie wollen Sie das herausfinden?
Wir brauchen ein Konzept für digitale Bürgersprechstunden. Denn das Bedürfnis, sich auszutauschen und seine Meinungen zu äußern, geht ja nicht weg - ganz im Gegenteil, gerade jetzt, während der schlimmsten Krise seit dem Krieg, ist der Austausch wichtig. Etwa im Rahmen von Bürgerversammlungen. Es steht im Gesetz, dass die einmal im Jahr abgehalten werden müssen.
Habenschaden: "Wir brauchen ein Konzept für digitale Bürgersprechstunden"
Es gibt Städte, die haben sie schon im vergangenen Jahr digital durchgeführt. Warum hat München das versäumt?
Ich würde nicht von einem Versäumnis sprechen. Die Bürgerversammlungen in allen Vierteln sollten ja stattfinden, aufgrund der steigenden Infektionen mussten wir sie dann aber doch vorsichtshalber absagen. Aber jetzt brauchen wir eine Alternative, sonst reißt der Kontakt zu stark ab und das möchte ich als Bürgermeisterin keinesfalls.
Junge Menschen wachsen heute mit Smartphone und Internet auf. Älteren fällt der Umgang damit weniger leicht. Wie wollen Sie es schaffen, dass zu digitalen Formaten alle Zugang haben?
Natürlich muss das Angebot niedrigschwellig sein, zum Beispiel sollte man sich auch mit einem Telefon einwählen können. Grundsätzlich hoffe ich, dass wir durch digitale Formate auch Menschen erreichen, die sonst nicht gekommen wären: Jüngere, digitalaffine Leute, aber zum Beispiel auch Alleinerziehende, die sonst nicht so einfach von zu Hause weg können oder Menschen, die nicht mehr gut zu Fuß sind. Außerdem bieten Online-Formate ganz andere Möglichkeiten. Man kann Pläne zeigen, Stimmungsbilder abfragen.
Auch die SPD will Bürgerbeteiligung stärken und eine Plattform einführen, auf der Bürger zum Beispiel über den Haushalt abstimmen können. Was halten Sie davon?
Wir Grüne haben uns immer schon für mehr Bürgerbeteiligung stark gemacht. Die Menschen sollen aktiv mitgestalten dürfen, wenn es um ihre Nachbarschaft, ihr Viertel und ihre Stadt geht. Das stärkt unsere Demokratie und stiftet Gemeinschaft. Insofern begrüße ich die Offenheit der SPD für mehr Bürgerbeteiligung.
Der Stadtrat hat während Corona seine Arbeit neu begonnen. Wie gut sind die Mitglieder denn schon eingearbeitet?
Sie haben es definitiv schwerer als ich in meiner Anfangszeit 2014. Damals konnte ich mich überall persönlich vorstellen. Dieses Kennenlernen ist nun wahnsinnig schwierig - da können auch noch so viele Online-Formate stattfinden. Die Stadtratsarbeit lebt einfach vom Persönlichen.