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Münchens bekannteste Betrügerin: Adele Spitzeder, die Geldvermehrerin

Adele Spitzeder ist Münchens bekannteste Betrügerin. Auf ihr Schneeballsystem sind viele hereingefallen, bis alles zusammenbrach. Dort, wo sie ihre Strafe absaß, kann man heute einkehren.
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Ein Porträt von Adele Spitzeder aus dem Jahr 1870.
Stadtarchiv 6 Ein Porträt von Adele Spitzeder aus dem Jahr 1870.
Vor allem Ärmere bringen Adele Spitzeder das Geld vorbei. Doch im Hintergrund wartet schon Justitia.
Stadtarchiv 6 Vor allem Ärmere bringen Adele Spitzeder das Geld vorbei. Doch im Hintergrund wartet schon Justitia.
Am Platzl eröffnet Spitzeder eine Suppenküche.
Stadtarchiv 6 Am Platzl eröffnet Spitzeder eine Suppenküche.
Hier war Spitzeders Zelle, heute ist dort ein Wirtshaus.
Daniel von Loeper 6 Hier war Spitzeders Zelle, heute ist dort ein Wirtshaus.
Das Vermögen von Adele Spitzeder wird letztlich versteigert.
Stadtarchiv 6 Das Vermögen von Adele Spitzeder wird letztlich versteigert.
Adele Spitzeder stirbt mit 63 - alleine. Sie ist anonym auf dem Alten Südfriedhof beerdigt.
J. Nebel 6 Adele Spitzeder stirbt mit 63 - alleine. Sie ist anonym auf dem Alten Südfriedhof beerdigt.

München - Eine Gefängniszelle mit grünen Gardinen und gelbem Anstrich ist für drei Jahre und zehn Monate Adele Spitzeders neue Heimat. Drei Betten sind an der Wand befestigt, aber Adele Spitzeder darf hier alleine mit ihrem Hund Daisy wohnen. So kann sie in Ruhe aufschreiben, wie es dazu kam, dass aus ihr - einer wenig erfolgreichen Schauspielerin - Ende des 19. Jahrhunderts die größte Betrügerin Münchens wurde.

Adele Spitzeder brachte Zehntausende Menschen um ihr Erspartes

Mehr als 30.000 Menschen, die meisten davon arme Leute, Dienstboten, Landwirte und Handwerker brachte Spitzeder um ihr Erspartes. Der Schaden betrug nach heutigem Geldwert um die 400 Millionen Euro.

"Schneeball-System" heißt die Masche, die Spitzeder schon damals um 1870 herum anwandte: Die Menschen liehen ihr Geld, weil sie hohe Zinsen versprach. Doch diese konnte sie nur bezahlen, weil sie sich immer noch mehr Geld lieh - bis das ganze System zusammenbrach.

Vor allem Ärmere bringen Adele Spitzeder das Geld vorbei. Doch im Hintergrund wartet schon Justitia.
Vor allem Ärmere bringen Adele Spitzeder das Geld vorbei. Doch im Hintergrund wartet schon Justitia. © Stadtarchiv

Der Münchner Autor Julian Nebel hat den Fall vor ein paar Jahren in einem Buch detailliert beschrieben, auch wie Spitzeder am 13. November 1872 um 0.30 Uhr im Gefängnis an der Baaderstraße ankam.

Spitzeder saß im "Schuldgefängnis"

Zuerst darf sie ein paar Nächte im Zimmer des Gerichtsarztes schlafen, eingerichtet mit Polstermöbeln und einem Klavier. Erst später wurde sie in ihre Zelle umverlegt, wo sie ihre Memoiren verfasste.

Bis 1892 befand sich die städtische Justizvollzugsanstalt in der Baaderstraße. Weil das Gefängnis ständig überfüllt war, wurde Stadelheim gebaut. Spitzeder saß im sogenannten "Schuldgefängnis" ein.

Heute befindet sich dort das Wirtshaus Königsquelle, ein Eckgebäude mit hellgrüner Fassade. 40 Jahre war Spitzeder alt, als sie hier landete.

Hier war Spitzeders Zelle, heute ist dort ein Wirtshaus.
Hier war Spitzeders Zelle, heute ist dort ein Wirtshaus. © Daniel von Loeper

Adele Spitzeder: Die "Vertraute der kleinen Leute"?

Für viele Münchner brach damals eine Welt zusammen. Denn sie galt als "Vertraute der kleinen Leute", wie Julian Nebel beschreibt. Doch wie war es überhaupt so weit gekommen?

Ein Blick zurück ins Jahr 1868, als Spitzeder in München ankam. Sie war damals 36 Jahre alt, hatte in ihrem Gepäck nichts als ein paar alte Theaterkostüme, einen Regenmantel, abgetragene Schuhe und eine Kaffeemaschine. Spitzeder rauchte Zigarren, hatte sechs Hunde, war eher laut und herrisch, sie soll ein "Mannsweib" gewesen sein, die sich gerne mit jüngeren hübscheren Frauen umgeben hat.

Gleichzeitig muss sie aber vertrauenswürdig gewirkt haben, vielleicht gerade weil sie die Sprache der einfachen Menschen sprach. Sprüche wie: "Kalbsköpfe, ich sage euch rund heraus, dass ich keine Sicherheit für euer altes Geld gebe!", soll sie herausgehauen haben. Zwischen Dialekt und Hochdeutsch konnte sie ohne Mühe hin- und herwechseln.

Ein kleines Immobilienimperium

Am Anfang wohnt Spitzeder in Hotels und ist selbst ständig auf der Flucht vor Gläubigern. In der Au, wo viele Arbeiter, Handwerker und Bettler lebten, kommt sie schließlich mit einer schwangeren Zimmermanns-Gattin ins Gespräch. Spitzeder überredet sie, ihr 100 Gulden zu überlassen - und verspricht zehn Prozent Zinsen, jeden Monat. Es spricht sich schnell herum, wie einfach sich bei Adele Spitzeder das Geld vermehren lässt. Immer mehr Menschen kommen zu ihr, zum Teil auch aus dem Münchner Umland, aus Franken und Schwaben. "Dachauer Bank" wird ihre "Spitzedersche Privatbank" deshalb auch genannt.

1871 kauft sich Spitzeder ein Haus an der Schönfeldstraße 9 in der Nähe des Englischen Gartens, schon damals eine vornehme Gegend. Täglich gingen 300 bis 500 Personen in der "Dachauer Bank" ein und aus. Spitzeder stellte zahlreiche Bedienstete ein. Der Wandschrank, in dem Spitzeder das Geld aufbewahrte, war "dergestalt angefüllt, daß der Boden zu brechen drohte", schreibt sie in ihren Memoiren.

Außerdem baute sich Spitzeder ein kleines Immobilienimperium auf. Sie erwarb unter anderem ein Haus an der Maximilianstraße, auch Wohnhäuser am Englischen Garten, in der Altstadt, sie investierte in Regensburg und Oberföhring.

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"Tue Recht und scheue niemand"

Auch für ihren Ruf als Wohltäterin gab sie viel Geld aus. Sie spendete für die Kirche, baute eine Volksküche auf, wo die Münchner günstig speisen konnten - und die für Spitzeder recht profitabel lief. Um ihren Hals hing eine Brillantkreuz-Kette und in ihrem Büro hing der Spruch: "Tue Recht und scheue niemand".

Allerdings mehrten sich die Gerüchte, dass Spitzeder eine Betrügerin sein muss und dass ihre Bank bald geschlossen wird. Immer mehr Kunden wollen ihr Geld zurück. Im November 1872 hämmerten die Leute sogar an die Türe, die Schönfeldstraße war ein Menschenmeer, kein Bürgersteig, kein Pflaster mehr zu sehen, schreibt Julian Nebel.

Das Gefängnis an der Baaderstraße verließ Spitzeder mit 44 Jahren, unter Tränen und in einem schlechten gesundheitlichen Zustand: Sie war gealtert, halbseitig gelähmt und musste sogar die Treppe herunter getragen werden - und sie war zuerst allein. Später vertrauten ihr die Menschen sogar wieder Geld an, wieder wurde sie verhaftet.

Adele Spitzeder: Anonym auf dem Alten Südfriedhof beerdigt

Auch als Künstlerin versuchte sie es wieder, mit mäßigem Erfolg. In der Nacht des 27. Oktober 1895 verstarb sie im Alter von 63 Jahren, alleine, ohne Freunde, als Todesursache wurde Herzversagen festgestellt.

Sie ist auf dem Alten Südfriedhof anonym beerdigt.

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  • Der wahre tscharlie am 20.04.2022 15:51 Uhr / Bewertung:

    Und die Moral von der Geschichte, auf die heutige Zeit angewandt?
    Die Gier mancher Menschen nach mehr, noch mehr und noch mehr Geld ist auch heute ungebrochen. Deshalb funktionieren Schneeballsysteme teilweise auch heute noch.

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