München unter 50er-Wert: Rufe nach Lockerungen werden lauter

München - Nach entbehrungsreichen Wochen fiel die Sieben-Tage-Inzidenz in München laut Robert Koch-Institut vergangene Woche auf 48,04. In mindestens 22 weiteren bayerischen Kreisen liegt sie unter 50. Doch bayernweit ist die Zahl noch deutlich darüber: 76,7. Landkreise wie Tirschenreuth (391,4) oder Wunsiedel im Fichtelgebirge (304,2) sorgen für diesen erhöhten Durchschnittswert.
Ausgangssperre, Alkoholverbot, Tausende geschlossene Betriebe: Dennoch stellt sich in Städten wie München die Frage, ob man die harten Regelungen des Lockdowns nicht so langsam lockern könnte. Rechtlich ist es so: Paragraf 26 der elften Bayerischen Infektionsschutzverordnung räumt der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde die Möglichkeit ein, bei einem Inzidenzwert unter 50 erleichternde Regelungen durch Allgemeinverfügungen zuzulassen.
Inzidenzwert von 50 muss sieben Tage lang unterschritten werden
Eine Einschränkung bleibt: Der Inzidenzwert von 50 muss sieben Tage lang unterschritten werden. Auch die Tendenz muss weiterhin klar sinkend sein. Erlässt das Kreisverwaltungsreferat Lockerungen, muss die bayerische Regierung zustimmen.
Politiker und Funktionäre in München sind sich zumindest in einem recht einig: Man muss nun mit Bedacht vorgehen. Sprich: Vorerst bleibt alles so, wie es ist. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) etwa freut sich zwar und hofft, dass die Fallzahlen weiterhin sinken, aber man müsse erst die kommenden sieben Tage abwarten, sagte er vergangene Woche.
Mit Ministerpräsident Markus Söder (CSU) habe er vereinbart, "dass wir die weitere Entwicklung abwarten und uns vor der Ministerpräsidenten-Konferenz nächste Woche noch einmal besprechen, um die Entwicklung aus Münchner Sicht in die Konferenz einbringen zu können", teilte Reiter am vergangenen Donnerstag mit.
CSU im Rathaus fordert Lockerungen
Das ist ganz im Sinne der CSU-Fraktion im Rathaus, die den OB in einem Antrag auffordert, gemeinsam mit der Regierung von Oberbayern auszuloten, "in welchen Lebensbereichen vorsichtige Lockerungen in München möglich sind, ohne aber die erreichten Erfolge zu gefährden".
"Alle Münchnerinnen und Münchner haben dabei geholfen und jede/r für sich hat Opfer gebracht. Das sollte belohnt werden, ohne aber diesen wichtigen Erfolg zu gefährden", schreibt die Fraktion. Sie könne sich vorstellen, etwa die Ausgangssperre aufzuheben oder wieder Treffen mit zwei Personen zu erlauben.
Franz Xaver Peteranderl, Chef der Handwerkskammer München und Oberbayern drängt darauf, mit ersten Öffnungen zu beginnen. Auch er sagt aber: "Es ist eine komplexe Situation, alle Maßnahmen müssen gut durchdacht sein."
Es bringe schließlich nichts, wenn etwa wegen der unterschiedlichen Zahlen in zwei Nachbarorten verschiedene Regelungen gelten. "Wenn in dem einen Kreis Friseure öffnen dürfen, aber in dem anderen nicht, führt das wahrscheinlich zu einer Art Friseur-Tourismus", sagt Peteranderl. Das sei schließlich auch nicht Sinn der Sache. Aber klar sei, dass kontrollierte Hygienekonzepte in Betrieben sinnvoller seien, "als wenn sich die Leute früher oder später kosmetische Dienstleistungen privat zu Hause organisieren".
"Falls sich nichts ändert, werden in einigen Wochen Insolvenzen drohen"
Sehr anders als Reiter und Söder klingt der Bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Man müsse unbedingt den Flickenteppich an Regelungen verhindern, sagte er auf AZ-Anfrage: "Wenn die Spreizung aber zu groß wird, kann man zwischen Inzidenzwerten von 30 und 300 nicht überall identisch verfahren. Ich empfehle ein Vorgehen wie im vergangenen Jahr: Wenn niedrigere Zahlen wieder der Normalzustand werden, sollte es Schließungen schwerpunktmäßig nur dort geben, wo hohe Infektionszahlen sind." Und die scheinen in München zumindest vorerst der Vergangenheit anzugehören.
Auch der Geschäftsführer des Verbandes der Innenstadt-Geschäftsleute (Citypartner) Wolfgang Fischer ist der Meinung, dass die Zeit drängt. "Viele Staatshilfen sind immer noch nicht geflossen. Und ich befürchte ehrlich gesagt, dass in einigen Wochen Insolvenzen drohen, falls sich nichts ändert."
Die finanzielle Liquidität sei langsam das größte Problem. Für die geschlossenen Handelsunternehmen stünden noch nicht einmal die genauen Richtlinien für die Überbrückungshilfen III fest, bevor sie überhaupt ausgezahlt werden könnten. Viele Ungereimtheiten müsse man aus der Welt schaffen. "Wie erklären Sie einem Modehaus, dass es trotz seines guten Hygienekonzeptes geschlossen bleiben muss, während Discounter Textilien verkaufen dürfen?", fragt sich Fischer. Nur eine von vielen Fragen, die in München jetzt lauter werden.
