München – Stadt der Löcher

Die Altstadt verändert ihr Gesicht und das ist auf Jahre hinaus mit viel Lärm und Staub verbunden. Ein Baustellen-Rundgang über den Marienhof, die Hofstatt und zum „Joseph-Pschorr-Haus“.
von  John Schneider
Tief graben sich die Bohrer ins Erdreich: Mit Betonsäulen wird der Boden tragfähiger gemacht.
Tief graben sich die Bohrer ins Erdreich: Mit Betonsäulen wird der Boden tragfähiger gemacht. © Daniel von Loeper

Man hört sie schon, wenn man das Karlstor in Richtung Frauenkirche passiert. Vier gewaltige Bohrer sorgen derzeit in Deutschlands beliebtester Einkaufstraße für Dauer-Lärm. Doch keinen der 14500 Passanten, die sich jede Stunde durch die Neuhauser Straße schieben, scheint dies zu stören. Bei schönem Wetter sitzen Münchner und Touristen in den Biergärten und Caféterrassen, genießen Weißbier und Cappuccino - und ignorieren den Baustellenkrach.

Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Gleich drei große Großbaustellen sorgen in der Altstadt zwischen Eisenmannstraße, Marienhof und Sendlinger Straße auf Jahre für jede Menge Staub und Geräuschkulisse. Neben Joseph-Pschorr-Haus und Hofstatt wird vor allem der Marienhof noch sechs Jahre eine Baustelle bleiben.

München verändert sein Gesicht. Und das bedeutet statt Beschaulichkeit erst einmal Staub, Schlamm und viel Lärm. Anwohner haben sich beschwert, Geschäftsleute Umsatzrückgänge beklagt oder wie im Fall des Marienhofs gleich gegen Lärm und Schmutz geklagt. Das hat immerhin zu Nachbesserungen in Sachen Lärmschutz geführt.

Nicht immer ging es bislang beim Löchergraben so zügig zu, wie es sich Investoren und Anwohner wünschen. Aber auch an der Hofstatt scheint man nun wie beim Joseph-Pschorr-Haus wieder auf Kurs zu sein. Und der geht in Richtung schöne, neue Einkaufs-Welt mit neuem S-Bahn-Anschluss.


Noch klafft die Riesenwunde, wo einst SZ und AZ residierten. 13 Meter tief haben sich Bohrer und Bagger an der Hofstatt ins wertvolle Münchner Erdreich gewühlt. Nächste Etappe: Die Bodenplatten am Färbergraben kommen in die Erde. „Derzeit arbeiten hier an die hundert Leute, wir werden aber bald deutlich aufstocken“, erklärt Projektentwickler Markus Diegelmann von Hines, dem Vermarkter der Hofstatt. Darunter werden auch einige Osteuropäer sein. „Deutsche Eisenflechter gibt es ja kaum noch“, sagt Diegelmann.

2011 wollte man fertig werden. Doch daraus wird nichts. Zwischenzeitlich war der Investor LBBW in stürmisches Fahrwasser geraten, dazu kamen unvorhergesehene Probleme beim Bau. Das Projekt geriet ins Stocken. Fertigstellung Ende 2012 lautet jetzt die optimistischste Prognose.

Problemkind bleibt das alte SZ-Druckereigebäude. Hier muss Decke für Decke rausgeholt werden, das denkmalgeschützte Stahlskelett aber geschützt werden. Nicht einfach.

Immerhin: Entlang der Hotterstraße wachsen die Wohngebäude. Die ersten Mieter können vielleicht schon im Sommer 2012 einziehen. Einkaufspassagen und Büros werden folgen. Über die aktuelle Einschätzung des Investitionsvolumen hüllt man sich in Schweigen. Vor zwei Jahren wurden 325 Millionen Euro genannt. Doch damals glaubte man ja auch noch, dass 2011 alles steht.


Es ist laut. Sehr laut. Aus der Einfahrt biegt ein Betonmischer auf den Färbergraben, der Wind weht eine große Staubwolke durch die Lücke im Bauzaun. Vier Großbohrgeräte und bis zu 40 Mann beackern das 5000 Quadratmeter Areal in Münchens bester Lage, auf der einst Karstadt am Dom residierte. „Wir lassen Betonsäulen in die Erde zur Stabilisierung“, erklärt einer der Tiefbauer. Bis zu 38 Meter bohren sich die Männer ins Erdreich.

Mit der Entkernung des alten Karstadt-Gebäudes war bereits im August letzten Jahres begonnen worden. Jetzt ist das Gebäude komplett abgerissen, der Baugrund wird für neue große Dinge vorbereitet.

Entstehen soll hier bis Ende 2013 das „Joseph-Pschorr-Haus“. Ein Kaufhaus, das auf 10<TH>000 Quadratmetern Ladenfläche die neue Heimat von Sport Scheck wird. Und der sich dann aus der Sendlinger Straße verabschieden wird.

„Mit dem letzten Schritt der Abbruchmaßnahmen, dem Abriss der Fassade zur Fußgängerzone, hatten wir am 31. Januar begonnen und sind im April fertig geworden“, berichtet Sabine Hagn, Sprecherin der Schörghuber-Tochter Bayerische Hausbau, dem Bauträger. Auf die Frage nach den Kosten, winkt sie bloß ab.

Trotz Liberalisierung des Arbeitsmarktes: Heerscharen von osteuropäischen Arbeitern sucht man hier vergeblich. „Wir arbeiten mit eigenen Leuten.“ Das Thema wird wohl erst aktuell, wenn der Rohbau im Sommer beginnt. 


Diese 5200 Quadratmeter große Baustelle mitten in der Stadt wird uns am längsten begleiten. Bis Ende 2017 entsteht am Marienhof ein neuer Bahnhof für die zweite Stammstrecke. Rechtzeitig vor dem eventuellen Beginn der Olympischen Winterspiele in München. Zwei Milliarden Euro werden hier verbuddelt.

Ein Mammutprojekt, das sehr vorsichtig in die Gänge kommt. Nur oberflächlich bis zu einem halben Meter ist der Rasen des Parks abgetragen, sind die japanischen Schnurbäume verpflanzt worden, um das Areal zu sondieren.

Überraschungsfunde, die den Zeitplan durcheinander bringen, fürchtet die Bahn aber nicht. „Die Archäologen wissen, was dort liegt“, sagt Bahn-Sprecher Bernd Honerkamp. 16 Männer und Frauen eines privaten Bamberger Archäologie-Büros haben sich vor wenigen Wochen an die Arbeit gemacht. Unter ihnen ist auch Markus Hempen. Mit seinem breiten Hut erinnert er ein wenig an Indiana Jones.

„Wir haben bislang Keller der im Krieg zerstörten Gebäude freigelegt“, berichtet Hempen. Spektakuläre Funde sind bislang ausgeblieben. Ein paar Eimer und Pfannen, mehr war nicht. „Aber wenn wir die früher unbebauten Stellen freilegen, können wir tiefer graben und dabei vielleicht auch ältere Bauten finden.“ Unter anderem werden Reste einer Synagoge vermutet.

Bis zum Jahresende haben die Archäologen noch Zeit. Dann wird es auch am Marienhof ernst und die schweren Maschinen rücken an. Bis zu 40 Meter tief wird Europas tiefste City-Baugrube.

 

 

 

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