München: So verschuldet ist Ihr Viertel
Der Schuldner-Atlas für München: Männer haben die höchsten Schulden – Frauen lassen sich eher helfen. Die Stadt stellt jetzt zusätzliche Berater ein.
München - Die Münchner Wirtschaft boomt, die Stadt verdient mit der Steuer Rekordsummen, und Wohnungen werden zu astronomischen Preisen verkauft. Doch die Armut wächst und die Zahl der knallhart überschuldeten Münchner steigt, wie die aktuelle Statistik von „Creditreform“ belegt. Der typische Schuldner ist ein Mann, zwischen 50 und 60 Jahren alt und lebt am Hasenbergl oder in Berg-am-Laim. Dabei geht es in der Statistik nicht um Kredit- oder Ratenverträge, die abbezahlt werden. Es sind nur jene Fälle erfasst, die mehrfach abgemahnt wurden, wo der Gerichtsvollzieher da war oder die sonst vor Gericht gelandet sind. Da Creditreform die Echtdaten der verschuldeten Münchner vorliegen, kann das Unternehmen bis in die Straßen genau den Schuldneratlas zeichnen. Für die Öffentlichkeit wurde er nach Postleitzahlen gegliedert (Grafik) und: in 37 Stadtviertel aufgeteilt (statt der 25 offiziellen Stadtteile).
Und das sind die Fakten: Etwa jeder zwölfte Erwachsene in München ist überschuldet (alle Zahlen basieren auf dem Jahr 2013). Das sind 93349. Die Zahl stieg leicht gegenüber dem Vorjahr an. Damit liegt die Schuldnerquote in München bei 8,13 Prozent (2012: 8,04 Prozent). Innerhalb der Stadt ist die Kluft zwischen Arm und Reich sehr groß: Die meisten Schuldner leben am Hasenbergl (15,67 Prozent), in Berg-am-Laim (14,55 %), Ludwigsvorstadt (13,08 %), Am Hart (12,33), Altstadt (12,18 %) oder Riem (12,07 %). In Neuperlach hat sich die Verschuldungssituation gegenüber dem Vorjahr am deutlichsten verschlechtert (von 7,84 auf 8,64 Prozent).
Die wenigsten leben in: Obermenzing (4,82 %), Solln (5,18 %), Harlaching (5,27 %), Bogenhausen (5,43 %) oder Nymphenburg (5,98 %) oder Trudering (5,8 %). Man hat es auch nicht anders erwartet. Die Tendenz, die Creditreform festgestellt hat: In 21 der 37 Stadtviertel nahm die Verschuldung zu, in 16 habe sich die Situation verbessert. Der Rückgang liege in vielen Fällen daran, dass sich die Betroffenen von der Schuldnerberatung helfen ließen. Und: In 19 Stadtteilen liegt die Quote unter dem Münchner Durchschnitt von 8,14 Prozent. Aber: „Die intensive Verschuldung nimmt in München zu“, sagt Philipp Ganzmüller von Creditreform: „Das ist erschreckend.“ Dabei liege München im bundesdeutschen Vergleich am unteren Ende der Verschuldungsskala. „Das ist eine bedauerliche Entwicklung in München“ angesichts der wachsenden Wirtschaft.
Woran liegt das? Die Münchner seien wie der Rest der Republik geradezu „in einem Kaufrausch“ angesichts der niedrigen Zinsen. Durch die guten Arbeitsmartktchancen seien die Schuldner auch risikobereiter. Doch dann gibt es da die fünf großen klassischen Schuldenfallen: Arbeitslosigkeit Scheidung, Trennung oder Tod des Partners Krankheit, Sucht oder Unfall „unwirtschaftliche Haushaltsführung“ – also mit dem Geld nicht umgehen können gescheiterte Selbstständigkeit. Dazu gibt es noch: Geburt eines Kindes, Alleinerziehend, gescheiterte Immobilienfinanzierung – oder weil sich Menschen schämen, sich an das Sozialamt zu wenden. „Die Gründe sind oft keine Fehler, die man sich vorwerfen muss“, sagt Ganzmüller. Atypische Beschäftigung wie Teilzeitarbeit oder Minijobs würden die Situation verschärfen.
Die meisten Schulden haben – Männer. „Männer verschulden sich leichter“, hat Creditreform festgestellt. Ganzmüller: „In München ist das sogar im Bundesvergleich überdurchschnittlich so.“ Die meisten überschuldeten Männer leben in: Ludwigsvorstadt (20,67 Prozent), Hasenbergl (20,01 Prozent), Berg-am-Laim (19,62 Prozent).
Bei den Schulden gibt es zwei Altersspitzen: Das sind vor allem die Münchner zwischen 50 und 60 Jahren. Mit Abstand gefolgt die Altersgruppe von 30 bis 39 Jahren. Bei der Altersgruppe 50 bis 59 Jahre liege die Verschuldung meistens an gescheiterten Existenzen, weil es schwerer ist, einen neuen Job zu bekommen, an Scheidung oder an Krankheit. Die Altersgruppe unter 20 kommt nicht vor: Das liegt vor allem daran, dass deren Schulden von den Eltern geschultert werden. Aber ihre Schuldenkarriere beginnen sie mit 18, 19 Jahren. Ab 60 Jahren geht die Kurve steil bergab. Diese Münchner bekommen viel schwieriger Kredite, wie Philipp Ganzmüller meint, sie leben bescheidener, sie kasteien sich und sie melden sich weniger bei den Sozialbehörden „weil es ihnen peinlich ist, Schulden zu haben“.
Beratung hilft! Das zeigt die Statistik. Der Stadtrat hat gestern die Schuldnerberatung um sechs Stellen aufgestockt. „Zu unserer Beratung kommen aber überproportional mehr Frauen als Männer“, stellt Erika Schilz von der Schuldnerberatung fest: „Frauen sind eher bereit, sich Hilfe zu holen, Männer gehen eher zum Anwalt.“ Im Jahr habe die Schuldnerberatung rund 10000 Kontakte. Davon kämen rund 6600 ins Büro, die anderen ließen sich telefonisch oder über das Internet helfen. Im Durchschnitt geht es bei 30000 Euro los, und dahinter stecken im Schnitt acht Gläubiger. Und wie ist die weitere Tendenz in der Boomtown München? Philipp Ganzmüller: „Eine Entspannung ist nicht zu erwarten.“
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