München: Gewaltbereite Ultras verabreden sich zur Massenschlägerei

München -In der Münchner Fan-Szene brodelt es. Rivalitäten zwischen Löwen und Bayern gab’s schon immer. Doch wie sie ausgetragen werden, ändert sich. Während es in den Stadien anders als einst zu fast überhaupt keinen Auseinandersetzungen mehr kommt und laut offiziellen Angaben die Zahl der gewalttätigen Fans gesunken ist, haben es die Sicherheitsbehörden mit einem neuen Phänomen zu tun: Massenschlägereien an Orten, an denen sie nicht damit rechnen.
In anderen Städten waren etwa die Ultras des FC Bayern schon in der Vergangenheit häufiger in solche Auseinandersetzungen verwickelt. Jetzt tauchen sie auch in München verstärkt auf. Zuletzt gingen im Westend etwa 80 Fußballfans aufeinander los. Einiges spricht dafür, dass es ein arrangiertes Kräftemessen rivalisierender Ultra-Gruppen war.
Zurück bleiben kaputte Gläser, Tische und demolierte Scheiben
Oft nehmen die verfeindeten Lager vorher Kontakt auf via Handy, Social Media-Plattformen oder Chat-Kanälen. Es wird genau abgesprochen, wer, wann, wo, mit wie vielen Leuten erscheint. Nicht am Stadion, nicht am Spieltag am Bahnhof. Sondern, dort, wo nicht mit Polizei zu rechnen ist. "Dritt-Orte", sagen Insider.
Schauplatz der letzten Fan-Konfrontation war der Gehsteig vor dem Lokal "Trakya" am 13. September – dem Vorabend des Drittligaspiels TSV 1860 gegen Carl Zeiss Jena. Zeugen berichteten, dass die Jenaer bei der Prügelei Unterstützung von Bayern-Ultras hatten. Auf Videos ist zu sehen, wie die verfeindeten Lager aufeinander einprügeln. Der Schlachtruf der Blauen: "Hier regiert der TSV!" Die Prügelei dauerte nur wenige Minuten. Zurück blieb ein wüstes Durcheinander: kaputte Biergläser, demolierte Fensterscheiben, umgeworfene Tische und Stühle. Wir distanzieren uns kompromisslos von jeglicher Gewalt, teilte der TSV 1860 mit.

Die Gerichte greifen hart durch: Zwei Jahre – ohne Bewährung
Die Polizei nahm einen 23-jährigen Münchner fest, einen Löwen. Etliche Verdächtige wurden identifiziert. Darunter ein 28-jähriger Bayern-Fan, den die Polizei mit blutender Kopfplatzwunde aufgegriffen hatte. "Die Ermittlungen laufen", sagt Oberstaatsanwältin Anne Leiding. Eine schwierige Arbeit, lautet doch ein Grundsatz im Ehrenkodex von Ultras: "Keiner redet mit der Polizei." "Die wollen mit uns nichts zu tun haben", bestätigt Polizeisprecher Damian Kania.
Die Prügelei im Westend war bereits die dritte, die in München binnen eines Jahres größeres Aufsehen erregte. In der Nacht auf Heiligabend 2018 gingen bis zu 40 Bayern-Ultras auf Löwen-Ultras los, die gerade in der Bar "Mamasita" am Isartor einen Geburtstag feierten.
Bei der Massenschlägerei gingen Scheiben zu Bruch. Mehrere Personen sollen erheblich verletzt worden sein, doch so genau weiß die Polizei das nicht, denn als die Beamten am Tatort eintrafen, waren alle Verletzten verschwunden.
Vorwurf: Körperverletzung und gefährliche Körperverletzung
Inzwischen ist gegen 20 Beschuldigte Anklage erhoben worden, wie die Staatsanwaltschaft auf Anfrage mitteilt. Die ersten Prozesse haben bereits stattgefunden, vor dem Amtsgericht, einige vor dem Jugendgericht, weil die Angeklagten noch als Heranwachsende gelten. Acht der Schläger wurden bereits verurteilt. Der Vorwurf: Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung, teils Landfriedensbruch.
Die Münchner Gerichte greifen hart durch. "Es wurden gegen acht Angeklagte Freiheitsstrafen zwischen 18 Monaten und zwei Jahren und zwei Monaten ohne Bewährung ausgesprochen", sagt Oberstaatsanwältin Anne Leiding. Nach fünf Verdächtigen fahndet die Polizei noch, in einem Fall wird noch ermittelt.
Die zweite Massenprügelei im März hat die Polizei kalt erwischt. Dabei gingen Fans des VfL Wolfsburg und Fans des FC Bayern aufeinander los. "Nichts deutete im Vorfeld darauf hin, dass es Ärger geben könnte", so die Polizei. Mitten im Bahnhofsviertel, vor einer Sportsbar in der Schillerstraße, prügelten 80 Ultras wie auf Kommando aufeinander ein. Die Schlägerei dauerte kaum zwei Minuten. Auf mehreren Videos im Internet ist zu sehen, dass die Schläger verschwanden, bis die Polizei eintraf. Die Staatsanwaltschaft ermittelt – teils mit Erfolg. Etliche Schläger werden sich im Gerichtssaal wiederfinden.
Randalierern droht ein Stadionverbot
Randalierern drohen zudem Stadionverbote. Auch die Stadt reagiert. Das KVR kann bei schweren oder wiederholten Verstößen gegen die Betreffenden Betretungsverbote aussprechen. Das heißt, dass man sich etwa dem Sechzgerstadion am Spieltag um einige Hundert Meter nicht nähern darf. "In der laufenden Saison wurden bislang 15 Anordnungen erlassen", heißt es aus dem KVR. Die staatliche Datei "Gewalttäter Sport" führt beim FC Bayern 275 Fans, bei den Löwen 145.
Im Stadion ist Randale kaum mehr möglich. Strenge Kontrollen beim Einlass, überall Kameraüberwachung – Randalierer weichen aus. Sie prügeln sich mit anderen Ultragruppierungen irgendwo abseits an Raststätten oder auf einem Feld.
Und inzwischen offenbar vermehrt auch bewusst in der Öffentlichkeit. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich derartige Szenen in der Stadt wiederholen", sagen Polizisten.
Zwei brisante Spiele stehen in den nächsten Wochen an
Fast alle gewaltbereiten Ultras sollen zwischen 15 und 35 Jahren alt sein. Vertreten sind alle gesellschaftlichen Schichten. Der Ehrenkodex ist Gesetz. Den "Giasinga Buam" etwa wurden 2016 zwei Zaunfahnen gestohlen, mutmaßlich von Fans des FC Bayern. Die Ultra-Gruppierung der Löwen löste sich daraufhin auf. Ehrensache. So ist das bei den Ultras. Aber nicht alles, was als Teil des Kodex gilt, wird eingehalten. War es früher üblich, einen am Boden liegenden Gegner nicht mehr zu attackieren, konnte man genau das bei der jüngsten Prügelei beobachten.
Zwei Hochrisikospiele stehen bald an. Das kleine Lokalderby der Amateure des FC Bayern gegen den TSV 1860 steigt am 24. November. Hoch hergehen könnte es bereits am 6. November. Dann treffen in der Champions League der FC Bayern und Olympiakos Piräus in der Allianz Arena aufeinander.
Beim Hinspiel in Griechenland wurden Bayern-Fans von Vermummten überfallen, am Nachmittag, an einem kleinen Sportplatz, bei einem Vorspiel der Jugendmannschaften.