München: Gericht hebt Saalverbot für israelkritische BDS-Bewegung auf - OB Reiter kritisiert Entscheidung

Leipzig/München - Die Stadt München muss dem Organisator einer Podiumsdiskussion mit Bezug zur Israel-Boykott-Bewegung BDS den Zugang zu einem Veranstaltungssaal ermöglichen. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am Donnerstag. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) übt Kritik.
Eine Verweigerung des kommunalen öffentlichen Tagungsortes sei rechtswidrig, weil sie das Grundrecht der Meinungsfreiheit verletze, entschied das Bundesverwaltungsgericht (AZ.: 8 C 35.20). Es wies die Revision der Stadt München gegen ein vorheriges Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) zurück. Geklagt hatte ein Bürger aus München.
München: Beschluss des Stadtrats nicht zulässig
Der Münchner Stadtrat hatte 2017 einen Beschluss gefasst, dass für Veranstaltungen, die sich mit Themen und Inhalten der BDS-Bewegung befassen oder für diese werben, keine städtischen Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden sollen. BDS steht für "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen". Die Bewegung will Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren. Der Bundestag distanzierte sich 2019 in einem Beschluss von der BDS-Kampagne.
Die Stadt begründete ihr Vorgehen damit, dass sie in der Pflicht sei, Bürger zu schützen. Von BDS-Veranstaltungen könnten Aggressionen ausgehen. Soweit dürfe es gar erst nicht kommen. Dass keine städtischen Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden sollen, bedeute nicht, dass man seine Meinung nicht mehr äußern könne, sagte der Anwalt der Stadt in der mündlichen Verhandlung in Leipzig.
Münchner Stadtratsbeschluss greift in Meinungsfreiheit ein
Das Bundesverwaltungsgericht entschied nun, dass der Münchner Stadtratsbeschluss in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit eingreife. Die Beschränkung sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Eine Grenze werde dann überschritten, wenn Meinungsäußerungen die geistige Sphäre einer Diskussion verließen und erkennbar in Gefährdungslagen umschlügen. Der VGH hatte festgestellt, dass dies bei der Podiumsdiskussion mit dem Titel "Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein?" nicht zu erwarten gewesen sei.
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, bedauerte das Urteil. Es sei eine "verpasste Chance", BDS-Umtrieben gegen den demokratischen Staat Israel in Räumlichkeiten der öffentlichen Hand grundsätzlich zu untersagen. Es handele sich jedoch um eine Einzelfallentscheidung hinsichtlich der spezifischen Konstellation in München. "Das bedeutet, Kommunen können weiterhin bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, BDS-Veranstaltungen in öffentlichen Räumlichkeiten verweigern." Jede einzelne Verwaltung müsse dies sorgsam prüfen.
Münchens OB Reiter: "Sind uns leider die Hände gebunden"
Am Tag nach der Entscheidung nahm Münchens OB Reiter Stellung zur Gerichts-Entscheidung und zeigte sich enttäuscht. "Unser Scheitern vor dem Bundesverwaltungsgericht ist ein Rückschlag, der auch viele jüdische Münchner*innen persönlich und die demokratische Stadtgesellschaft insgesamt betrifft." Die Stadt wolle alles tun, um jüdisches Leben zu schützen.
"Im Hinblick auf den Beschluss des Stadtrates [...] sind uns nun leider die Hände gebunden, da es laut Bundesverwaltungsgericht an einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage fehlt. Als Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München habe ich aber kein Verständnis dafür, dass in diesen Zeiten – in denen rassistische und antisemitische Äußerungen so unverhohlen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit geäußert werden und unser gesellschaftliches Klima nachhaltig vergiften – der Schutz von Minderheiten keine stärkere Berücksichtigung erfährt und die Kommunen auch noch gezwungen sind, die Verbreitung solcher Ausführungen durch Raumvergaben zu unterstützen."
Reiter appelliert an die Bayerische Staatsregierung und an den Bund zu prüfen, "ob eine vom Gericht angemahnte gesetzliche Grundlage geschaffen werden kann – zum Beispiel auf Ebene des Freistaats durch eine Ergänzung der Bayerischen Gemeindeordnung."
Zentralrat der Juden fordert neue gesetzliche Regeln
Auch der Zentralrat der Juden fordert neue gesetzliche Regelungen. Bund und Länder müssten tätig werden, damit Kommunen eine Handhabe gegen derartige Veranstaltungen hätten, erklärte der Zentralrat am Freitag.
Das Urteil des obersten deutschen Verwaltungsgerichts stoße in der jüdischen Gemeinschaft auf Unverständnis. Das Gericht habe zu wenig berücksichtigt, dass die BDS-Bewegung antisemitische Züge trage und Antisemitismus schüre, so der Zentralrat.