München: Der große Klau-Report

Ob in kleinen Läden oder großen Kaufhäusern: Überall wird gestohlen. Der Schaden geht in die Millionen. Hier erklärt ein Kaufhausdetektiv die Tricks – und warum Frauen häufiger zugreifen
München - Wer auffliegt, wird gut behandelt: Mohsen Nik geleitet den Dieb in sein Büro, schließt die Tür, bietet einen Stuhl an und ruft die Polizei – dann ist erst mal Ruhe. Die Bildschirme der Überwachungskameras flackern bläulich, der Täter schweigt. Ja, da geht ihm die Düse, dem Langfinger. So klein mit Hut.
Kaufhausdetektiv Nik bleibt höflich: „Sie sind auch nur Menschen – und sehr nervös. Die sind fertig mit der Welt.“ Nik will da keinen unnötig triezen.
Auf seinem Tisch liegt Schokolade. 400 Mal geht das so im Jahr, wenn der 35-Jährige mal wieder einen Ladendieb erwischt. Seit 1998 überwacht Nik neun Geschäfte in der Innenstadt, darunter Luxus-Kaufhäuser, Multimedia-Filialen oder Einzelhandelsgeschäfte im Top-, Mittel- und Billigsegment. Die Namen der Läden nennt er nicht – aus Sicherheitsgründen. Keiner soll wissen, wo Nik und seine 50 Kollegen Wache schieben – wär’ ja auch zu schön.
In einem großen Kaufhaus am Marienplatz stehen drei bis vier Detektive durchschnittlich 40.000 Menschen pro Tag gegenüber. Den Überblick behält Nik nur mit Hilfe von Überwachungskameras und der „engen Zusammenarbeit mit den Verkäufern, die wir regelmäßig schulen“. So erwischt der Detektiv in teuren Kaufhäusern 150 Diebe im Jahr, in Filialen des Mittelklassesegments um die 250, die meisten sind Wiederholungstäter.
Wer einmal klaut, tut’s wieder, weiß Nik: „Und irgendwann erwischen wir sie.“ Sie – meist sind das Frauen, „die gehen einfach öfter shoppen“. Sie seien vor allem an Mode, Accessoires, Parfums und Kosmetika interessiert, Männer eher an Multimedia.
Das Beute-Schema mag differieren, die Ansicht über Ladendiebstahl sei aber bei den Geschlechtern gleich: „Für viele ist das bloß ein Kavaliersdelikt“, sagt Nik, „die wissen gar nicht, was sie anrichten.“
2010 verzeichneten seine neun Kunden einen Verlust von „locker 1,5 Millionen Euro, vielleicht zwei“, schätzt der Detektiv – so viel wie nie. Die Fallzahlen sinken laut Polizeistatistik seit 2001 kontinuierlich, „dafür wird der Schaden wegen der immer teureren Waren größer“.
Wie groß, merken die Läden erst bei der Jahresinventur: Ein Viertel der Differenz entstehe durch falsche Lieferangaben, Diebstähle bei Zulieferern oder Registrierfehler an den Kassen – der Rest: Alles nur geklaut.
1) Der häufigste Satz lautet: „Können Sie nicht eine Ausnahme machen?“
2) Oft an Weihnachten gehört: „Ich wollte daheim schauen, ob es das richtige Geschenk ist. Wenn nicht, hätte ich es wiedergebracht – versprochen!“
3) „An der Kasse war doch so viel los – ich wollte erst woandershin und später zum Zahlen wiederkommen.“
4) „Ich bin Stammkunde bei Ihnen und gebe jede Woche viel Geld aus – können Sie nicht ein Auge zudrücken?“
5) „Davon habe ich schon zehn Stück, da wollte ich nicht schon wieder dafür zahlen.“
6) „Ich brauch’ das eigentlich gar nicht.“
7) „Mein Mann steht draußen – ich wollte ihm nur kurz das Hemd zeigen.“
8) „Ich habe wirklich keine Ahnung, wie das Teil in meine Tasche gekommen ist.“
9) „Zahlen? Hab’ ich vergessen.“
10) „Das war mir einfach zu teuer.“
Personal
Typische Merkmale: Angestellte kennen den Laden wie ihre Westentasche. „Sie wissen über die Sicherheitsmaßnahmen Bescheid, über Lage und Anzahl der Kameras, kennen die Detektive und wissen, wo die schlechter bewachten Ausgänge stehen.“ In Nobelkaufhäusern stehlen sie durchschnittlich 400 bis 500 Euro – „bis wir sie erwischen“.
Anteil an den Gesamttaten: 30 Prozent
Bevorzugte Beute: Parfums, Kosmetik, Accessoires, „manchmal auch Lederhandschuhe für 400 oder gar Handtaschen für 1000 Euro.“
Dienstleister
Typische Merkmale: Auch sie kennen die Geschäfte gut – Haupttäter sind Putzkräfte. „Das Problem bei denen ist, dass sie sehr früh kommen“, sagt Nik. „Es sind keine Verkäufer da, und oftmals keine Detektive.“ Ungestörtes Arbeiten also – dem Nik Riegel vorgeschoben hat: „Sie dürfen die Waren nicht berühren. Viele Abteilungsleiter wissen, wie sie ihren Bereich am Vorabend hinterlassen haben – ihnen fallen auch kleine Änderungen auf.“ Wirkt etwas durchwühlt, checkt Nik die Kameras.
Weitere Verbote: Putzkräfte dürfen keine Taschen oder großen Jacken mit ins Geschäft bringen, die werden später auch kontrolliert – und: Es sind nur durchsichtige Plastiktüten erlaubt. „Viele stecken ein, werfen es in den Müll– und holen die Beute später wieder ab.“
Anteil: 10 Prozent
Beute: Alles, oft Oberteile wie T-Shirts, die sie unter der Kleidung verstecken. Für Nik ein Problem: „Wir dürfen niemanden abtasten.“
Erwachsene
Typische Merkmale: 25 bis 35 Jahre alt, „gestandene Leute mit Wohnung und Beruf“, so Nik. Viele sind sehr an Mode interessiert, „dementsprechend sind sie oft in Nobelhäusern unterwegs – viele sind sogar Stammkunden und begrüßen Verkäufer mit Namen.“
Problem der „Schickimicki-Diebe“: „Sie wollen zur In-Szene gehören, können sich aber teure Modeartikel nicht leisten.“ Die meisten seien Amateure – nervös und auffällig. „Sie sehen sich nicht die Waren an, sondern das Personal und die Umgebung, blicken nervös hin- und her, suchen die Kameras und nehmen viele Teile mit in die Kabine, um die Sicherheitsmarken zu entfernen.“
Anteil: 10 Prozent
Beute: Teure Labels, früher Ed Hardy, vor kurzem Jeans von True Religion. „Was gerade in ist“, so Nik. Bei Männern: Armani, Boss, Ralph Lauren oder Joop, Kameras, Playstations, Musik und Software.
Jugendliche
Typische Merkmale: Frisch aus der Grundschule und gleich ins Detektivbüro – Niks jüngster Dieb war erst elf. „Heute stehlen Jugendliche schon mit 12 oder 13 Jahren, die meisten aber sind 15 oder 16 Jahre alt.“ Viele sind gut vorbereitet: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie sich untereinander austauschen – nach dem Motto: ,Der Laden ist schlecht gesichert, schau mal rein.’ Das nimmt fast halb-professionelle Züge an.“
In einem Kaufhaus, das als „easy“ galt, tauchten in der Abteilung für Junge Mode immer die gleichen Gestalten auf. „Als ich sie fragte, woher sie kommen, kam raus: Die waren alle aus der gleichen Schule.“ Auch ein Motiv: Mutproben.
Anteil: 15 Prozent
Beute: Alles, was in der Schule gerade In ist: Hosen, T-Shirts, Käppis.
Senioren
Typische Merkmale: Faltige Langfinger? Gibt’s durchaus: „Der älteste Dieb, der mir unterkam, war eine 89-jährige Rentnerin“ sagt Nik. Die meisten greifen gerne in einem großen Delikatessengeschäft zu, das Nik ebenfalls bewacht. „Dort gibt es bei Ladendiebstahl ein Jahr Hausverbot – das ist für Senioren die größte Strafe, schlimmer als eine Anzeige. Für viele ist das wie ein Ausflug.“ Alte Diebe seien auch in Multimedia-Geschäften aktiv – „dort verzeichnen wir einen Anstieg“, sagt Nik. „CD’s, DVD’s oder Kameras werden immer teurer. Die Rente aber steigt nicht.“ Ausnahme seien reiche Senioren, „die kaufen gerne mal für tausend Euro ein, nehmen aber noch was mit.“
Aber auch das kommt vor: Der Detektiv erwischt eine 83-Jährige, die eine Seife für 15 Euro gestohlen hat – ihre Entschuldigung: „Ich wollte sehen, ob ich immer noch so mutig bin wie früher.“
Anteil: 5 Prozent
Beute: Delikatessen wie Pralinen, Liköre oder Wein, Accessoires, Multimedia-Artikel.
Profis
Typische Merkmale: Wildern in Luxushäusern: „Reinkommen, zuschlagen, rausgehen“, sagt Nik. „Das dauert höchstens zwei Minuten.“ Viele wissen genau, was sie wollen. „Sie klauen oft auf Bestellung.“ Und sie haben viel Bargeld dabei: „ Falls sie beim Diebstahl merken, dass sie beobachtet werden, zahlen sie bar an der Kasse, um keine Spuren zu hinterlassen. Am nächsten Tag wird umgetauscht.“
Eine regelrechte Plage seien organisierte Banden aus Osteuropa, sagt Nik. „Sie kommen im Lieferwagen und nehmen mehrere Kaufhäuser an einem Tag aus.“ Methode: „Einer lenkt den Verkäufer ab, einer holt die Ware und gibt sie dem Letzten in der Kabine, der sie dort in speziell präparierte Taschen stopft – damit die Alarmanlage die Waren nicht erkennt“, sagt Nik. „Die erbeuten mindestens 10 000 Euro an einem Tag.“
Anteil: 20 Prozent
Beute: Luxus-Labels und Multimedia.
Junkies
Typische Merkmale: Oft im Bereich des Hauptbahnhofs, am Stachus oder in Multimedia-Geschäften unterwegs, selten in Luxusläden. „Sie sind leicht zu erkennen“, sagt Nik. „Erstens fallen sie uns automatisch auf, zweitens ist es ihnen egal, ob sie erwischt werden. Sie brauchen schnell etwas, das sie für Drogen verkaufen können. Manche kommen sogar völlig high in den Laden.“ Einmal wollte ein Abhängiger einen Artikel für 40 Euro verkaufen – „der war viel mehr wert, aber das war ihm egal. Er brauchte ja nur 40 Euro für seine Dosis.“ Andere beschränkten sich auf Waren am Eingang, um schnell wieder zu verschwinden. „Einer hat deshalb nur Unterwäsche geklaut.“
Anteil: 10 Prozent
Beute: „Irgendwas“ – und Multimedia-Artikel, die sich schnell zu Geld machen lassen.