München: Das große U-Bahn-Kiosk-Sterben und die Ursachen

Immer mehr Verkaufsstände in den U-Bahn-Zwischengeschossen stehen leer. Betreiber berichten in der AZ, warum sich der "Knochenjob" für sie nicht mehr lohnt.
München - Es ist kalt in dem kleinen Kiosk. Ein eisiger Wind pfeift durchs Sperrengeschoss im U-Bahn-Untergrund. Dick eingemummelte Menschen laufen vorbei. Fast alle haben es eilig, die U-Bahn kommt gleich.
Die Welt der Kioskbetreiber ist ein Ausschnitt. Wenn jemand vor dem Schiebefenster erscheint, sieht Maria K. vor allem Gesichter und Hände. Dahinter Betongrau. Die Geräusche von bremsenden und anfahrenden U-Bahnen und die Durchsagen nimmt sie gar nicht mehr wahr. Wenn sie abends die Kaffeemaschine ausstellt, klebt ein dünner, schmieriger Belag darauf. "Das ist der Abrieb von den U-Bahnbremsen", sagt sie.
Letzte Hoffnung für die U-Bahn-Kioske in München: SWM
Die Mittfünfzigerin steht im Daunenmantel und Fellstiefeln vor der geöffneten Luke und reicht den MVV-Kunden frisch gebrühten Kaffee, Fahrkarten, belegte Semmeln, Zeitungen oder Kaugummis heraus. So viel wie möglich liegt griffbereit. Wenn sie erst nach hinten gehen muss, etwa zum Kühlschrank, sind viele schon wieder weiter. "Es ist ein schnelllebiges Geschäft", sagt sie.
Seit mehr als zehn Jahren betreibt sie mit ihrem Mann einen Kiosk im Münchner Untergrund. Sie möchte nicht, dass ihr richtiger Name in der Zeitung steht, weil sie die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben hat, dass ihr Vermieter, die Stadtwerke, die Pachtkonditionen noch verbessern.
15 Cent Provision für eine Streifenkarte
Eigentlich ist der kleine Laden ihr "Herzstück", sagt Marias Mann Stefan. "Es war ein hartes Brot, aber es war eine Möglichkeit zu existieren für uns. Doch jetzt rechnet es sich nicht mehr. In den vergangenen Jahren sind unsere Einnahmen um mindestens 20 Prozent eingebrochen."
Zuerst gingen immer weniger Zeitungen über die Theke, inzwischen ist auch der Ticket-Verkauf eingebrochen: Die Kiosk-Betreiber bekommen von der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) eine gestaffelte Provision, wenn sie Tickets verkaufen. Viel ist es nicht, doch die Menge macht's – so war es zumindest früher.
Das System soll nun mit neuen Geräten umgestellt werden. Das Ehepaar K. ist sich sicher: "Damit bleibt für uns noch weniger übrig", sagt er. "Wenn ich eine Streifenkarte für 14 Euro verkaufe, bekomme ich noch 15 Cent", so der Standlbetreiber.
Sinkende Einnahmen aus Ticketverkauf
Der Ticketverkauf war eine wichtige Einnahmequelle für sie. Doch seitdem die meisten Kunden ihr Ticket am Automaten kaufen oder per Handy lösen, sinken die Einnahmen immer weiter.

Wer den Standlbetreibern bleibt, sind die Kunden, die nicht durchblicken durch den Tarifdschungel und Beratung brauchen. Das sind Touristen und oft auch ältere Münchner oder Kinder, die erst beginnen, alleine U-Bahn zu fahren. "Die MVG schließt ihre Info-Points und überlässt uns den unbeliebten Part der Beratung. Wir reden mit Engelszungen und derweil gehen fünf andere Kunden weiter, die etwas kaufen wollten."
Verordnungen machen Kiosk-Besitzern das Leben schwer
Auch die neuen, strengen Brandschutzverordnungen machen es den Standlbesitzern schwer. Früher hatten sie Tische draußen stehen, an dem die Kunden ihren Kaffee trinken konnten. Doch die wurden verboten. "Genau wie Mülleimer draußen und Zeitungsständer", sagt Maria K.
Vorgaben, die aus Brandschutzgründen unerlässlich seien, heißt es bei der MVG. Flucht- und Rettungswege müssten frei gehalten werden – auch aus Platzgründen, weil immer mehr Fahrgäste unterwegs seien, so MVG-Sprecher Matthias Korte.
"Mit den Kiosken stirbt ein Stück Menschlichkeit"
All das besiegele das Sterben der U-Bahn-Kioske, ist sich Stefan K. sicher. "Das Kleine ist dem Untergang geweiht. Die ganzen Auflagen brechen uns das Kreuz!" Nur die könnten überleben, die mehrere Standl betreiben", prophezeit sie – und jene, die einen Kiosk in begehrter Innenstadt-Lage haben.
Es fällt den beiden nicht leicht, allmählich an Abschied zu denken. Maria K.: "Man kann die Welt nicht zurückdrehen. Aber mit den Kiosken stirbt auch ein Stück Menschlichkeit."
Hintergrund: Neuer Trend Handytickets
In den vergangenen Jahren wurden immer weniger Tickets am Kiosk gekauft. Die Kunden kaufen lieber an den 650 Automaten an den Haltestellen oder den 900 Automaten in Bus und Tram. Dazu kommen die Handytickets: Über 7 Millionen im vergangenen Jahr! Im gleichen Zeitraum haben die MVG-Partner (u.a. Kioske) 1,4 Millionen Tickets verkauft. (Davon hätte es 833.000 auch als Handytickets gegeben.) Vor zehn Jahren verkauften die Kiosks zusammen noch fast 4 Millionen Tickets.
Seit Herbst führt die MVG neue Ticketdrucker für die Kioske ein. Dafür müssen die Betreiber eine Servicepauschale zahlen. Mit Einführung des neuen Systems soll auch ein neues Provisionsmodell geschaffen werden.
Fall 2: Aus für Kiosk am Max-Weber-Platz nach 20 Jahren
Ilona Geppert betrieb bis Ende 2017 den Kiosk am Max-Weber-Platz. Seitdem ist der Laden verrammelt. Wann er wieder ausgeschrieben werden kann, ist offen. Für die Stadtwerke gibt es Wichtigeres.
Die hellgrauen Metalljalousien sind seit 14 Monaten heruntergelassen. Der Kiosk im Sperrengeschoss unter dem Max-Weber-Platz ist verrammelt, seit Weihnachten 2017 schon.

Ilona Geppert wird von ihren Stammkunden und all jenen, die hier regelmäßig zur U-Bahn und zur Tram eilen, sehr vermisst. Fast 20 Jahre lang lächelte die Kioskbetreiberin hier Tag für Tag zwischen Zeitungen, Zigaretten und Süßkram hervor. Wann oder ob ihr Standl – dann mit einem neuen Gesicht – jemals wiedereröffnet wird, steht in den Sternen.
"Aufgrund verschärfter gesetzlicher Auflagen muss die Fläche aufwendig saniert beziehungsweise umgebaut werden", teilte Stadtwerke-Sprecher Michael Solic der AZ mit. Wegen anderer, teilweise sehr umfänglicher Baumaßnahmen im U-Bahnbereich – wie etwa am Sendlinger Tor – seien die Kapazitäten derzeit gebunden. Sanierung und Neuausschreibung müssen also warten.
Münchner U-Bahnhöfe werden zu kioskfreien Zonen
Die kioskfreie Zone ist kein Einzelfall. Derzeit stehen laut Stadtwerken (SWM) 17 "Mieteinheiten" im U-Bahnbereich leer. Der Trend geht dahin, dass es noch mehr werden. Auch oberirdisch machen bundesweit immer mehr Kioske dicht.
Im U-Bahnhof Gern hoffen MVV-Kunden schon seit über fünf Jahren, dass das Standl wieder eröffnet. Doch obwohl SWM und MVG bekunden, es stünde auch in ihrem Interesse "leerstehende Ladenflächen im U-Bahnbereich rasch wieder zu beleben", geht nichts weiter. Es ist auch ein Sicherheitsfaktor, wenn von morgens bis abends jemand vor Ort ist, die Augen aufhält – und im Notfall Hilfe ruft.
"Wenn in den vergangenen Jahren ein Kioskbetreiber aufgab, gab er in fast allen Fällen Alters- oder wirtschaftliche Gründe an", weiß SMW-Sprecher Matthias Korte. "Das Konzept des klassischen Kiosks funktioniert nicht mehr so gut wie früher." Ein neues Konzept soll her, doch wann man sich damit beschäftigen will, ist noch offen. Der Erhalt und der Ausbau des ÖPNV haben Priorität.
Verdienst schlechter als Hartz IV
Ilona Geppert, die ihren Kiosk fast 20 Jahre lang betrieb, hörte aus privaten Gründen auf. "Ich habe vier Pflegefälle in der Familie, um die ich mich jetzt kümmere." Der Kiosk war ihr Leben. Man sah ihr nicht an, wie anstrengend und mühsam die Arbeit war. "Eine 40-Stunden-Woche hatte ich nie", sagt sie. Meist stand sie schon morgens um 4 Uhr auf, damit sie halb 7 für die ersten Kunden die Rollläden hochschieben konnte. Mittags löste sie einer ihrer beiden Söhne ab, damit sie zwischendurch auf die Toilette und etwas essen konnte.
Dann ging es nonstop weiter bis abends – sechs Tage die Woche. Am Sonntag kümmerte sie sich um die Buchhaltung und ihren Haushalt. "Wenn da schlechtes Wetter war und ich die Sonne nicht sehen konnte, habe ich schon gemerkt, dass mir das aufs Gemüt schlug." Zuhause zu bleiben, wenn sie mal krank war, kam für sie nicht in Frage.
Ihre Arbeitszeit, sagt Ilona Geppert rückblickend, "darf man nicht umrechnen auf den Stundenlohn, sonst kommt man schlechter weg als mit Hartz IV." Trotzdem hat sie immer gern in ihrem Standl gestanden und verkauft und beraten und geratscht. Der Kontakt mit den Menschen – viele davon wurden zu Stammkunden – hat ihr sehr viel gegeben. "Ein bisschen wehmütig werde ich schon, wenn ich daran zurückdenke." Nina Job
Diese Kiosk-Flächen stehen in München leer
Insgesamt 17 Ladenflächen sind derzeit nicht verpachtet. Der U-Bahnhof Sendlinger Tor ist dabei nicht eingerechnet. Dort entstehen derzeit neue Ladenflächen im Rahmen des Bahnhofsumbaus.
- Candidplatz
- Dülferstraße
- Friedenheimer Straße
- Gern
- Giselastraße
- Goetheplatz
- Hasenbergl
- Josephsburg
- Josephsplatz
- Kreillerstraße
- Max-Weber-Platz
- Messestadt West
- Moosach
- Nordfriedhof
- Odeonsplatz
- Rotkreuzplatz
- Scheidplatz
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