München: Coronavirus in zweitem Heim nachgewiesen

München - Die Corona-Fälle im in einem Pflegeheim im Westend haben auch die städtische Münchenstift und ihren Corona-Krisenstab geschockt, der täglich mit 40 Abteilungsleitern in einer Videokonferenz tagt.
Am Mittwoch kam dort nun noch eine eigene schlechte Nachricht obendrauf. Im Neuhauser Münchenstift-Pflegeheim Heilig Geist, in dem 227 alte und hochbetagte Menschen betreut werden (darunter 89 Demenzkranke), ist nun ebenfalls ein Bewohner mit dem Coronavirus infiziert. Ein ganzes Stockwerk mit 50 Bewohnern steht seitdem unter Quarantäne, die Senioren dürfen ihre Zimmer nicht mehr verlassen.
Am Mittag ist eine Reihentestung angelaufen, auch die Pfleger, die das Stockwerk nun in kompletter Schutzbekleidung betreuen, werden allesamt getestet. Der Senior war am Montagmorgen mit Husten und Fieber ins Krankenhaus gekommen, wurde aber noch am Abend ins Pflegeheim als "nicht infiziert" zurückgeschickt. "Erst am Dienstag bekamen wir die Nachricht, dass sein Testergebnis danach positiv ausgefallen ist", erklärt Münchenstift-Chef Sigi Benker empört, der seine neun Münchner Pflegeheime mit rund 2.100 Hochbetagten schon vor vier Wochen abgeschottet und damit gut geschützt hat (keine Besucher, keine Ehrenamtlichen, keine Pflegertreffen zwischen den Häusern, Veranstaltungsstopp): "Ein hochgradig fahrlässiger Vorgang!"
Angst vor Masseninfektion in Heimen steigt
Das Heim hat den Betroffenen umgehend ins Krankenhaus zurückgeschickt. Benker: "Ich habe verfügt, dass wir niemand mehr aufnehmen ohne Attest, dass er definitiv nicht infiziert ist." Denn ein Corona-Einbruch im Pflegeheim kann mit sich bringen, dass schnell Hunderte Hochrisikopatienten Hilfe im Krankenhaus brauchen. "Dann wären die Intensivbetten ruckzuck voll", sagt Benker.
In München werden 6.700 Hochbetagte in 63 Pflegeheimen betreut. Sie sind im Schnitt 83 Jahre alt, viele haben bis zu zehn Vorerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-, Lungen- oder Nierenprobleme. Die Bewohner der Münchenstift-Häuser haben laut den Heimleitungen die neuen Nachrichten weitgehend gefasst aufgenommen.
Die AZ hat nachgefragt, wie dort in diesen Tagen der Isolation die Stimmung ist, wie sich mit Besuchsverbot, Ausgangssperre und (drohender) Quarantäne der Alltag gestaltet.
"Nicht umarmen ist schwer"
Hildegard Hüttl (99), ehemals Chefsekretärin, wohnt seit acht Jahren im "Wohnen mit Service" im Haus an der Rümannstraße: "Die Nachricht aus dem Pflegeheim im Westend ist tragisch, erschreckend und beängstigend. Ich bin froh, dass wir hier noch alle gesund sind, aber man muss das realistisch sehen, dass die Gefahr einer Ansteckung eben gegeben ist. Hier im Haus scheut sich jeder, mit den anderen näher in Kontakt zu kommen. Viele, die sich zurückziehen, leiden, wenn sie nicht dazu fähig sind, mit sich selbst etwas anfangen zu können. Sie sind dann wirklich sehr einsam. Mir geht es anders. Ich gehe jeden Tag in unseren riesigen Park, da kann man es gut aushalten. Ich radle auf dem Hometrainer. Vor allem aber schreibe ich Gedichte oder Erinnerungen auf, gerade zeichne ich eine Osterglocke von allen Seiten, die ich draußen gepflückt habe. Dass ich meine Tochter nicht mehr umarmen kann, die immer mittwochs kam, ist schwer. Aber wir überbrücken das jetzt mit Telefonieren. Irgendwann wird das alles ja auch wieder zu Ende sein."
"Es muss eben sein"
Christa Mantel (87), früher Wirtschaftswissenschaftlerin, lebt seit sieben Jahren im Haus an der Effnerstraße: "Vor der Krise war ich drei Mal die Woche an der Uni für ein Seniorenstudium, oft in der Oper und auf Konzerten. Dass ich dort nicht mehr hinkann, muss ich akzeptieren, es muss eben sein. Ich glaube aber, dass man ganz langweilig wird, wenn man lange gar nichts mehr tut. Also gehe ich jeden Tag 8000 Schritte in unserem Park, lese Zeitung und höre Beethoven zu Hause. Ich hoffe, dass in vier, sechs Wochen alles wieder normal ist."
"Mir fehlt die Freiheit"
Erika Mader (82), ehemals Schneiderin, lebt seit knapp einem Jahr im Pflegebereich des Heilig-Geist-Stifts: "Was Corona mit uns allen macht, ist sehr traurig. Mir fehlt die Freiheit, hinauszugehen. Früher haben wir uns als ganze Gruppe unter den Nussbaum im Garten gesetzt, das war ein bisschen wie im Garten Eden für mich. Jetzt geht kein Mensch mehr draußen spazieren. Wir sitzen auch mittags und abends beim Essen jetzt sehr weit auseinander, damit wir genug Abstand voneinander haben. Nur noch zu zweit statt zu viert. Da kann man sich nicht mehr so gut miteinander unterhalten. Meine Zeit verbringe ich meistens mit mir allein. Ich lese Krimis – und ich nähe jetzt einfach alle meine Sachen um, so vergeht die Zeit auch."
In Zimmer-Quarantäne
Günther Kraus (70), ehemals Postbeamter, lebt seit sechs Wochen im Pflegebereich des Heilig-Geist-Stifts – und seit Mittwoch (da wurde der Corona-Fall in seinem Haus bekannt) in Zimmer-Quarantäne: "Es war nicht leicht für mich, mich hier einzugewöhnen, ich hab schon gerne in meiner Wohnung in Giesing gewohnt. Jetzt darf nicht mal mehr mein Besuch von der Nachbarschaftshilfe zu mir. Das Ratschen in der Cafeteria geht mir ab. Wenn’s wenigstens ab und zu ein Freibier und ein paar Weißwürscht gäbe, wäre ich vielleicht ein bisserl fröhlicher. Wobei – ich könnte ja nicht einmal jemandem zuprosten. Ich verstehe, dass das Besuchsverbot, das Abschotten die einzige Lösung ist, damit wir geschützt sind. Ob das am Ende hilft? Ich hoffe das Beste."
Lesen Sie hier: Christian Ude - Das ist mein neuer Corona-Alltag