München: Corona bringt Eltern an ihr Limit
München - Zu wenige Hilfen, zu viele Auflagen, mehr Personalbedarf, weniger Aufträge: In der Coronakrise vertreten einige allerhand Forderung ziemlich laut. Wer nur leise murrt, geht im Gesamtrauschen unter. So wie die 146.808 Münchner Haushalte mit Kindern. Sie leiden still.
"Mein Arbeitgeber fordert seit dieser Woche wieder Präsenz im Büro. Mein Sohn darf aber noch nicht zurück in den Kindergarten", sagt Ina Huber. Sie arbeitet in Teilzeit als Projektassistentin. Ihr Chef sei bislang verständnisvoll gewesen, habe die meisten Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt.
Inzwischen sei es vorbei mit der Toleranz. Die meisten sind zurück im Büro, Huber bislang nicht. Obwohl Ministerpräsident Markus Söder (CSU) Hilfe für Familien zugesagt hat, verursachen die Regelungen aus seinen Ministerien mehr Chaos als Erleichterung.
Münchens Kitas und Schulen sind zwar offen – aber nichts läuft normal
Beispiel Kindertageseinrichtungen: Seit 16. März gilt in Bayern ein Betreuungsverbot in Kindertageseinrichtungen und Heilpädagogischen Tagesstätten. Die Vorgaben ändern sich wöchentlich. Während anfangs ausschließlich Kinder, deren Eltern in einer sogenannten "kritischen Infrastruktur" arbeiten, in die Notbetreuung durften, hat sich der Personenkreis inzwischen stark erweitert.
So dürfen neben diesen Kindern seit dieser Woche zusätzlich Vorschulkinder, Geschwisterkinder oder Kinder mit Behinderung wieder in die Kita gehen. Nach Pfingsten sollen angehende Vorschüler dazukommen. 50 Prozent der Kita-Kinder würden so wieder außer Haus betreut werden.
Für den Rest – wie den Sohn von Ina Huber – hat das bayerische Familienministerium keine konkreten Pläne. Seit dem CSU-Parteitag steht zumindest ein Datum im Raum: der 1. Juli. In welcher Form die Kinder eine Kita besuchen dürfen, weiß keiner genau. Denn wenn Ministerpräsident Söder von Kita- oder Schulöffnungen spricht, meint er keinen Normalbetrieb.
Bislang kommt mal das eine Kind in die Kita, an anderen Tagen ein anderes. Die Plätze werden geteilt, wegen der Gruppengrößen, aber auch weil Personal durch Krankheit fehlt oder zur Risikogruppe gehört. Die Organisation dieses Betreuungswirrwars steuern weder Staatsministerium noch Stadtjugendämter. Sie bleibt dem Leitungspersonal der Häuser überlassen. Sie sind es, die entscheiden müssen, wann ihre Einrichtung voll ist – und wen sie im Zweifel abweisen müssen, wenn die maximalen Gruppengrößen erreicht sind.
Kultusministerium hat Hygienekonzepte für Schulen entwickelt
So müssen viele Eltern, allen voran ihre Kinder, weiter warten. Die "alten" Kinder sind das eine Problem. Mit Fortschreiten des Jahres stehen weitere hinten an. Damit die neuen Krippen- und Kindergartenkinder nicht im Pulk mit dem neuen Kita-Jahr im September starten müssen, findet ein Teil der Eingewöhnungen eigentlich schon im Sommer statt. Das Bildungsreferat äußert sich zurückhaltend: "Wie sich die Situation künftig, vor allem für den Herbst 2020 weiterentwickelt, hängt von den Vorgaben der Staatsministerien ab." Die Eingewöhnung der neuen Kinder werde "entsprechend der dann geltenden Vorgaben" angepasst.

Wieder Schule: Eltern vor ganz neuen Herausforderungen
Für die Schüler im Freistaat hat das Kultusministerium bereits solche Vorgaben formuliert. Seit Kurzem gibt es für die Schulen Hygienekonzepte. "Unsere Lehrerin hat uns am ersten Tag vor allem gezeigt, wo wir überall nicht hindürfen und wann wir Abstand halten müssen", berichtet die siebenjährige Sarah von ihrem ersten Schultag "nach Corona". Sie geht in die erste Klasse einer Grundschule im Münchner Osten. Heißt: zwei Mal pro Woche für zwei Stunden mit fünf Mitschülern im Klassenzimmer zu sein. An den restlichen Tagen gibt's Fernunterricht.
Wie die Schulen den Unterricht abhalten – ob blockweise oder an verschiedenen Tagen – ist ihnen selbst überlassen. Das kann dazu führen, dass Familien mit mehreren Kindern vor ganz neuen organisatorischen Herausforderungen stehen. Machten die Eltern bislang einen Lernplan für alle Kinder, hat nun jedes andere Verpflichtungen. Zwischen Bringdiensten und Fernunterricht hat sich mancher Elternteil heimlich hinter dem Sofa versteckt, um ein paar Arbeitsmails bearbeiten zu können.
Machten die Eltern bislang einen Lernplan für alle Kinder, hat nun jedes andere Verpflichtungen. Zwischen Bringdiensten und Fernunterricht hat sich mancher Elternteil heimlich hinter dem Sofa versteckt, um ein paar Arbeitsmails bearbeiten zu können.
Umfrage des GEB: Eltern wünschen sich mehr Kontakt mit Lehrern
Über ihre Überforderung berichten Eltern auf Twitter unter dem Hashtag #coronaeltern. Dort geht es auch um die Berufung zum Teilzeitlehrer. Denn während sich einzelne Lehrkräfte ins Zeug legen, ziehen sich andere komplett zurück.
Das ist wohl auch in München so. Eine Umfrage des gemeinsamen Elternbeirats der Grundschulen für die Landeshauptstadt München (GEB) im April kommt zu einem ähnlichen Schluss. Darin haben Eltern von 126 der 137 staatlichen Grundschulen in der Stadt Auskunft gegeben.
6.233 Antwortbogen hat der GEB erhalten. Etwa 18 Prozent aller Familien mit Grundschulkindern beteiligten sich an der Umfrage. Demnach wünschen sich die meisten Eltern vor allem: verbindliche Standards für den Fernunterricht sowie regelmäßigen Kontakt mit Lehrern.
Fast zwei Drittel gaben an, dass die Klassenleitung nach der Schließung kein einziges Mal mit dem Grundschulkind telefoniert habe. In 89,3 Prozent der Fälle erhielten Eltern eingescannte Arbeitsblätter, korrigiert wurden sie überwiegend: von den Eltern selbst.
Viele Familien schicken ihre Kinder noch nicht zurück in die Schule
Das deckt sich mit der Erfahrung von Ludmilla Janovic: "Unsere Lehrerin sagte, sie sei für Fragen per Telefon nicht erreichbar – und auf Mails reagiere sie nur in einem festgelegten Zeitraum." Die Eltern aus ihrer Grundschule hätten sich an den Rektor gewandt und den Kontakt mit der Lehrerin regelrecht "erstritten".
Wie viele Familien haben sich Janovics entschieden, ihre Kinder noch nicht wieder in die Schule zu schicken. Seit ein paar Tagen dürfen die Kinder wieder zu den Großeltern. Alle haben sich während der Ausgangsbeschränkungen streng an die Regeln gehalten. "Gehen die Kinder jetzt wieder in die Schule, wäre das umsonst gewesen", sagt Janovic, "so können uns unsere Eltern bei der Kinderbetreuung unterstützen".
Die alleinerziehende Mutter von Erstklässlerin Sarah kann sich derartige Abwägungen nicht leisten. Die Großeltern wohnen nicht in München. Über die Lockerungen des Schulministeriums kann ihre Mutter nur müde lächeln. Der 16-jährige Bruder macht heuer den Qualifizierenden Abschluss der Mittelschule (Quali). Er hat eine ganz neue Herausforderung: eine Lehrstelle finden in Corona-Zeiten.
Alle Namen im Artikel sind geändert, da keine der Familien ihre Schule oder ihren Arbeitgeber identifizieren will.
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