München als Verkehrslabor: Wie verändert das 9-Euro-Ticket den ÖPNV?

München - Wenn der Verkehrsexperte Klaus Bogenberger Menschen fragt, warum sie den öffentlichen Nahverkehr nicht nutzen, hört er häufig zwei Antworten: Die Fahrt mit der U-Bahn würde länger dauern. Und: Das Ticket sei zu teuer.
Das letzte Argument gilt ab Juni für drei Monate erst einmal nicht mehr. Denn dann kann jeder für neun Euro den öffentlichen Nahverkehr nutzen - und zwar in ganz Deutschland, in Bussen, U-Bahnen und Regionalzügen.
9-Euro-Ticket: Studie soll große Fragen klären
Welche Auswirkungen hat das für den öffentlichen Nahverkehr in München? Werden Menschen dauerhaft das Auto lieber stehenlassen? Klaus Bogenberger will diese Fragen in einer großen Studie untersuchen. Er ist Professor an der Technischen Uni München und leitet dort den Lehrstuhl für Verkehrstechnik.
"Die Studie ist deutschlandweit einzigartig", sagt er. München werde zum "Megalabor für Mobilität". Von Mai bis Dezember will Bogenberger mit seinem Team Online-Befragungen durchführen, um so das Mobilitätsverhalten der Menschen zu erfassen. Zum Fragebogen gelangt man über die Webseite www.hfp.tum.de. Bis Ende des Jahres werden die Teilnehmer dort dreimal zu ihrem Mobilitätsverhalten befragt.
Außerdem will die TUM 1.000 Interessierte finden, die bis Ende September ihr Mobilitätsverhalten mit einer App erfassen lassen. Die Registrierung läuft auch über die Webseite.
Studie soll Verhalten der Fahrgäste aufzeichnen
Als Entschädigung bekommen die Teilnehmer 30 Euro. Außerdem verlost die TUM zweimal je 200 Euro. Ziel ist, herauszufinden, ob die Menschen bei günstigeren Preisen tatsächlich auf Busse und Bahnen umsteigen und wie ein Verkehrssystem zukünftig aussehen müsste.
Bürgermeisterin Katrin Habenschaden von den Grünen hat freilich die Hoffnung, dass auch nach dem Sommer möglichst viele aufs Autofahren verzichten. Denn die Stadt hat ambitionierte Ziele:
Schon bis 2025 sollen die Münchner 80 Prozent ihrer Wege durch den ÖPNV, zu Fuß, mit dem Rad und durch abgasfreie Kraftfahrzeuge zurücklegen. Momentan liegt die Quote laut Habenschaden bei 63 Prozent.
Sie ist davon überzeugt, dass die Nutzung des ÖPNV einfacher und vor allem dauerhaft günstiger werden müsse, um die Menschen davon zu überzeugen. Sie setze sich deshalb für ein 365-Euro-Ticket in München ein, sagt Habenschaden.
Elf Milliarden Euro bräuchte es zum Erreichen der Klimaziele
Für den Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft Ingo Wortmann ist aber die Qualität des Angebots noch entscheidender als der Preis. Elf Milliarden Euro müssten in Deutschland seinen Berechnungen nach jedes Jahr in den Ausbau des Netzes fließen, um die Klimaziele zu erreichen.
Wortmann rechnet damit, dass in vielen Gegenden Deutschlands die Nachfrage nach dem 9-Euro-Ticket gering bleibt - schlicht, weil dort schon lange kaum mehr Busse fahren. In München hingegen könnten die Busse und Bahnen eher verstopfen.
Sommer könnte Veränderung in der Nutzung des ÖPNV bringen
Zwar fahren noch 20 Prozent weniger Menschen mit dem Münchner ÖPNV als vor Corona, doch Wortmann erwartet, dass sich das im Sommer ändert. Spielraum, mehr Busse und Bahnen fahren zu lassen, sieht er kaum. Bis Mitte Juni seien alle Reserve-Busse als Schienenersatzverkehr im Einsatz. Die U-Bahn werde im Sommer immer für das Oktoberfest gewartet. Eine Urlaubssperre für das Personal sei zwar denkbar, "doch Wunder werden wir keine bewirken", kündigt er an.