Müller-Brot: Die Tränen der Mitarbeiter

Der neue Chef ist der alte: Klaus-Dieter Ostendorf übernimmt die insolvente Großbäckerei. Die Tochter des Firmengründers kommt nicht zum Zuge. 680 Kündigungen in Neufahrn, Groß-Demo in München.
München - Er ist das Gesicht der Krise. Der Mann, der es mit der Sauberkeit jahrelang nicht so genau genommen hat. Der Chef, der ein Traditionsunternehmen an die Wand gefahren hat. Der Multimillionär, der 1280 Arbeitsplätze in Gefahr gebracht hat. Er ist der, der’s versemmelt hat. Und er ist wieder da.
Klaus-Dieter Ostendorf, der alte Chef von Müller-Brot, ist auch der neue. Gestern am späten Vormittag erteilte ihm der Gläubigerausschuss der insolventen Großbäckerei den Zuschlag. Ostendorf hatte mit dem bisherigen Nebengeschäftsführer Stefan Huhn und einer Investorengruppe ein Angebot vorgelegt.
Der Kaufpreis bleibt geheim – klar ist aber: Ostendorf übernimmt die Immobilien und Anlagen am Standort Neufahrn sowie Marken-, Lizenz- und Patentrechte. Von den 230 Filialen behält er 151. Und: Von 1080 Angestellten müssen zum 1. April 680 gehen.
Donnerstag, 11 Uhr: Die 350 Müller-Brot-Mitarbeiter in neongelben Warnwesten ahnen noch nichts. Sie demonstrieren vor dem Wirtschaftsministerium in der Prinzregentenstraße mit Trillerpfeifen, Trommeln, Plakaten für ihre Jobs – und gegen ihren Ex-Chef.
Nicht nur Kakerlaken, auch Ostendorf müsse raus, skandieren sie. Auf einem Transparent steht: „Ostendorf hat uns kaputt gemacht“.
„Wir wollen nicht, dass Ostendorf den Zuschlag bekommt“, sagt Hans Hartl, Landesbezirkschef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). „Da macht man den Bock zum Gärtner.“ Eine Gruppe Frauen mit Trillerpfeifen und Kappen stimmt zu: „Die haben gelogen und betrogen. Das wäre eine Sauerei.“
Martina Eichhammer (42) steht in der Menge mit Tränen in den Augen. Die Mutter von zwei Kindern hat am Mittwoch erfahren, dass ihre Filiale in Regensburg schließt. „Wir werden im Stich gelassen. Uns sagt keiner was. Jetzt werde ich doch als Sozialschmarotzer abgestempelt.“
Dann tritt Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil vor die Menge. „Ist ihnen eigentlich bewusst, was das Aus der Müller-Brot GmbH für uns als Mitarbeiter bedeutet?“, fragt ihn einer. „Ich weiß, wie Ihnen zumute ist. Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz“, antwortet der Minister.
NGG und DGB fordern für die 1280 Mitarbeiter in Bayern eine Art Transfergesellschaft. Der Steuerzahler könne nicht für die Misswirtschaft der Geschäftsleitung gerade stehen, sagt Zeil. „Wir sind auch Steuerzahler“ ruft ein Mitarbeiter dazwischen.
Die Menschen sind verzweifelt. In wenigen Stunden ist die Betriebsversammlung in Neufahrn. Dann werden auch sie vom vorläufigen Insolvenzverwalter erfahren, was zu diesem Zeitpunkt längst beschlossen ist.
Die Beschäftigten ziehen weiter zur Staatskanzlei. Ibo Yildirim (48), seit 1988 in der Logistik, scheint es schon zu ahnen: „Wenn Ostendorf wieder da ist, werden viele Leute rausgeschmissen. Das macht mich wütend. Die haben uns betrogen und sich nicht um den Laden gekümmert. Das wird alles auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen.“ Sein Kollege Ali Uyar (50) seit 30 Jahren Linienführer bei Müller-Brot, will nur, dass der Betrieb wieder läuft. „Ich weiß sonst nicht, wie ich die Miete bezahlen soll. Mein Sohn Mustafa hat die Kündigung schon erhalten.“
Um 11 Uhr ist auch Evi Müller noch guten Mutes. Wochenlang hat sie mit Banken gesprochen, mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter, mit Angestellten, mit Vertretern der Banken und der Gewerkschaft, auch mit Pächtern und Lieferanten. Sie hat sogar einen Partner gefunden, der ihr beim Neustart hilft – die Bäckerei Höflinger.
Die Geschäftsfrau ist von ihrem Konzept überzeugt: Müller-Brot kehrt mit ruinierten Bilanzen und ruiniertem Ruf zurück zur Familie. Evi, die Tochter des Firmengründers Hans, wird Chefin – und rettet die Firma. Es wäre eine schöne Geschichte. Ein Märchen. Fast.
Um 11.30 Uhr, klingelt Evi Müllers Telefon. Hubert Ampferl, vorläufiger Insolvenzverwalter von Müller-Brot, überbringt ihr die schlechte Nachricht. Sie ist raus. Die schöne Geschichte wird nicht erzählt.
Also Klaus-Dieter Ostendorf. Der alte Gegenspieler der Familie Müller. 2003 hatte er sie als Vorstandsvorsitzender der Müller-Brot AG aus dem Unternehmen gedrängt.
Kurz nach der Schließung von Müller-Brot Ende Januar distanzierte sich Evi Müller in der AZ von der Firma, die jetzt ihm gehörte. Von den Maden, den Würmern, den Motten und den Mäusen, die in der Fabrik in Neufahrn gefunden wurden. „Er zieht unseren Namen durch den Schmutz“, sagt Evi Müller da. Auch ihr Vater leide sehr, „er traut sich kaum noch aus dem Haus“, sagt Evi Müller.
Dann stirbt auch ihr Bruder, Hans junior, an einer schweren Krankheit (AZ berichtete). Evi ist sicher: Der Untergang des Familienunternehmens hat seinen Tod beschleunigt.
Dass dieser Mann sie jetzt wieder ausgebootet hat, kann Evi Müller einfach nicht glauben. „Ich bin am Boden zerstört“, sagt sie. „Herr Ostendorf hat das Unternehmen in Grund und Boden gefahren – jetzt ist er die schlechten Filialen los und hat weniger Mitarbeiter. Toll für ihn, oder?“
Die Entscheidung der Vertreter der Banken, der Kreditversicherungen, der Pächter, der Arbeitnehmer sowie der Lieferanten und Kleingläubiger habe sie schockiert. „Was da passiert ist, weiß ich nicht“, sagt Müller. „Der Ausschuss sollte doch darauf achten, dass die Existenzen der Menschen gesichert werden und dass das Unternehmen Bestand hat. Unser Konzept war das beste und nachhaltigste. Herrn Ostendorf glaubt kein Mensch mehr. Er hat alles getan, um das Unternehmen kaputt zu machen.“
Sie wollte mit Höflinger erst die Filialen weiter betreiben – dann, mit Erlaubnis der Behörden, das Werk in Neufahrn. „500 bis 600“ Angestellte wollte sie nach eigenen Angaben behalten – 100 bis 150 mehr als Ostendorf.