Müller-Brot: Der Wutbrief der Belegschaft

Bis jetzt haben die Mitarbeiter der Pleite-Bäckerei Müller geschwiegen. Das ist vorbei: Jetzt veröffentlichten sie einen offenen Brief an die Chefs.
von  AZ

Mangelnde Hygiene, Skandal, Insolvenz – bis jetzt haben die Mitarbeiter der Pleite-Bäckerei Müller Brot in Neufahrn geschwiegen. Das ist jetzt vorbei: Am Montag veröffentlichten sie einen offenen Brief an die Gesellschafter, Unternehmer Klaus-Dieter Ostendorf und den Münchner Investment-Millionär Michael Phillips.

München - Die Angestellten schreiben, sie fürchteten eine „soziale Katastrophe“, wenn am 1. April das Insolvenzverfahren beginnt. Die Beschäftigten zeigen sich aber auch „unglaublich wütend“ – und fragen Ostendorf und Phillips ganz direkt, wie sie es so weit kommen lassen konnten.

Am Schluss fordern die Angestellten ganz direkt: „Lassen Sie uns nicht fallen! Übernehmen Sie Verantwortung und unterstützen Sie uns in dieser Notsituation.“

 


Der Brief im Wortlaut

 

Sehr geehrter Herr Klaus Ostendorf, sehr geehrter Herr Michael Phillips,

im Namen der 1.250 Beschäftigten der Müller Brot GmbH wenden wir uns an Sie als Hauptgesellschafter dieses Unternehmens

 

Am 30.01.2012 wurde die komplette Produktion in unserem Werk in Neufahrn eingestellt, da die Behörden gravierende hygienische Mängel festgestellt haben. Seit diesem Tag ruht die Produktion. Trotz umgehender Reinigungsarbeiten wurde dem Betrieb zweimal die Wiederaufnahme der Produktion durch die Lebensmittelüberwachung des Landratsamtes Freising untersagt.

Im Augenblick wird mit Hochdruck daran gearbeitet, eine positive Abnahme in ca. einer Woche zu erreichen. Die Belegschaft tut alles erdenklich Mögliche, um ihre Müller Brot GmbH wieder produktionsfähig zu machen.

Die Auswirkung des wochenlangen Produktionsausfalls und des damit verbundenen Umsatz- und Kundenverlustes gipfelte am 16.02.2012 im Insolvenzantrag unseres Unternehmens. Unsere Löhne und Gehälter konnten nicht mehr durch die Müller Brot GmbH bezahlt werden, so dass rückwirkend ab dem 01.01.2012 Insolvenzausfallgeld durch die Agentur für Arbeit bezahlt wird.

Dies bedeutet jedoch auch, dass ab dem 01.04.2012 die Insolvenz eröffnet wird, und es aus heutiger Sicht absolut unklar ist, wie unsere Löhne und Gehälter bezahlt werden.

Darüber hinaus herrscht bei den Beschäftigten eine sehr große Angst über die bevorstehende Zukunft. Die Beschäftigten, die Familien, die seit sehr vielen Jahren, ja meist sogar 20-30 Jahre dem Unternehmen die Treue gehalten haben, sorgen sich, ab dem 01.04.2012 ihren Arbeitsplatz zu verlieren und aufgrund der Insolvenz sofort in die Arbeitslosigkeit abzurutschen. Dies bedeutet für die meisten Beschäftigten eine soziale Katastrophe.

Die Beschäftigten sind aber auch unglaublich wütend, da so viele Fragen für sie unbeantwortet sind.

- Wie kann es sein, dass Geschäftsführer, offensichtlich jahrelange Hinweise und Aufforderungen der Lebensmittebehörden ignorieren konnten?
- War es Unvermögen oder gar Absicht, die Anlagen in einen derart desolaten Zustand verfallen zu lassen?
- Wie kann es sein, dass trotz Bekanntsein der hygienischen Probleme und der Hintergründe der Betriebsstilllegung Herr Huhn den Kunden, der Belegschaft und den Mitbewerbern fast eine Woche lang die Räuberpistole von einem Kabelbrand erzählen konnte?
- Wie kann es sein, dass der hauptverantwortliche Geschäftsführer Huhn (für die Produktion zuständig, Anm. d. Red.) gar nicht und der Geschäftsführer Kluge erst vor kurzem Verantwortung übernehmen mussten?
- Wie kann es sein, dass die Geschäftsführung gar nichts unternommen hat, das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Belegschaft wieder zu gewinnen?
- Warum wurde uns noch auf der Betriebsversammlung am 11.2.2012, kurz vor der Insolvenz, noch versichert, dass unserer Löhne sicher seien und alles getan werde, um den Betrieb zu erhalten? Nur 5 Tage später hat man die Betriebsleitung einem vorläufigen Insolvenzverwalter übergeben müssen!

In den letzten 8 Jahren haben wir als Belegschaft mit Unterstützung der Gewerkschaft NGG jährlich mit Haustarifverträgen versucht, das Unternehmen zu stützen. Wir haben in Summe weit über 12 Millionen Euro als Arbeitnehmeranteil in unsere Müller Brot GmbH investiert. Immer im guten Glauben an Ihre Aussagen, dass es weiter gehen wird und Sie uns als Beschäftigte nicht fallen lassen.

Sie werden in der Presse damit zitiert, dass Sie, Herr Ostendorf, auch persönlich Verantwortung übernehmen werden. Sie sagten auch, dass die Beschäftigten und ihre Familien nichts für den ganzen Missstand können, dass die Mitarbeiter der Wert eines Unternehmens sind und Sie uns nicht loswerden möchten.

Wir fordern Sie auf, diesen Worten auch Taten folgen zu lassen. Wir befürchten einen großen Personaleinschnitt ab dem 01.04.2012. Da jedoch die Kassen unserer Firma anscheinend leer sind, befürchten wir auch, dass faire Abfindungen, die dringend erforderlich sind, ausbleiben werden.

 

„Lassen Sie uns nicht fallen! Übernehmen Sie, Herr Klaus Ostendorf und Herr Michael Phillips, als Gesellschafter Verantwortung und unterstützen Sie uns in dieser Notsituation mit gleichem finanziellem Engagement wie wir als Belegschaft das jährlich in den letzten acht Jahren immer wieder getan haben. Nehmen Sie Geld in die Hand, um einen evtl. Sozialplan so finanziell auszustatten, dass ein fairer Nachteilsausgleich vereinbart werden kann.“

Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten.
Art. 1515/ Verfassung des Freistaats Bayern
 

Eigentum verpflichtet gegenüber der Gesamtheit. Offenbarer Missbrauch des Eigentums- und Besitzrechts genießt keinen Rechtsschutz.
Art. 158m Verfassung des Freistaats Bayern.

Mit der Bitte, unserem Anliegen Gehör zu geben und auf unseren Brief zu antworten, verbleiben wir, mit freundlichen Grüßen,

Ihre Belegschaft der Müller Brot GmbH

 

 

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