Müller-Brot: Das Dokument des Versagens
Wenn Kommissare im Krimi nicht weiter wissen, fragen sie oft den Rechtsmediziner. Der seziert dann das Mordopfer und findet so eigentlich immer was. Der Fall Müller-Brot war auch ein Krimi. Jetzt liegt der Obduktionsbericht vor: das Gutachten des Insolvenzverwalters Hubert Ampferl.
Auf 67 Seiten beschreibt er dem Landshuter Insolvenzgericht, wie Misswirtschaft die einst größte Bäckerei Bayerns in den Tod riss – und was jetzt von ihr noch übrig ist.
Dieses interne Dokument liegt der AZ vor. Es enthält neue, überraschende Details über die letzten Tage der Traditionsfirma. Vielleicht spielt es bald auch eine Rolle in der Fortsetzung des Müller-Krimis: Die Landshuter Staatsanwaltschaft hat das Gutachten ebenfalls bekommen.
TODESURSACHE: AKUTER FINANZKOLLAPS
Die Müller-Brot GmbH hat laut Hubert Ampferl genau 69633998,70 Euro „festgestellte Verbindlichkeiten” – knapp 70 Millionen Schulden also! Überwältigende 2312 Gläubiger hat die Firma, darunter Lieferanten, Kfz-Werkstätten, Banken, Vermieter und die 1247 Mitarbeiter, die bis April noch bei Müller angestellt waren – und die seit Januar keine Löhne mehr bekommen haben.
DIAGNOSE: SCHLECHTES MANAGEMENT
Müller-Brot ging es seit langem nicht gut. Auf Seite 10 listet Ampferl die Erlöse der Firma von 2005 bis 2011 auf. Ergebnis: In dieser Zeit sinkt der Umsatz von 186 Millionen auf 116 Millionen Euro – ein Rückgang von 38 Prozent. Die Fixkosten bleiben hoch, dazu kommen steigende Preise für Rohstoffe wie Mehl und ein erbitterter „Preiskampf” zwischen Müller und seinen Hauptkonkurrenten Ihle, Bachmaier und Wünsche.
2005 macht Müller-Brot fünf Millionen Verlust, 2006 sind es zehn Millionen. Bis 2009 schreibt Müller rote Zahlen.
2010 und 2011 gibt’s plötzlich Überschüsse über acht und neun Millionen Euro – reine Ergebniskosmetik allerdings. Ampferl spricht von „Sanierungsgewinnen”, also Verkäufen in Höhe von rund 23 und 16 Millionen Euro. Müller-Brot hat sein Tafelsilber verhökert, um die Bilanzen zu schönen.
SYMPTOME: QUALITÄTSVERLUST, KUNDENSCHWUND, FILIALENRÜCKGANG
Qualitätsverlust: Hohe Kosten, weniger Umsatz – da sparten die Geschäftsführer eben an der Qualität, meint Ampferl: „Durch strenge Kostensenkungsprogramme bei der Insolvenzschuldnerin haben Qualität und Frische gelitten.”
Um sich Nachtzuschläge zu sparen, lässt man „Frisch-Waren wie Brot und Feingebäck” nun tagsüber produzieren. Die Folge: „Den Kunden in den Filialen musste somit zumindest teilweise Ware aus der Vortagsproduktion angeboten werden.”
Kundenschwund: Die schlechtere Produktion fällt auf: Kunden monieren, das Brot habe nicht mehr die gleiche „Frische” und „Haltbarkeit” wie Brot der Konkurrenz, so Ampferl. „Dies wiederum führte zu einer Abwanderung von Kunden.” 2010 fällt auch noch Großkunde Rewe/Penny weg – 22,5 Millionen Euro. sind weg. Der Verlust wird mit Ach und Krach ausgeglichen.
Filialenrückgang: Laut Ampferl stirbt in sieben Jahren fast ein Drittel der Verkaufsstellen. 2005 hat Müller 350 Filialen, 2009 sinkt die Zahl auf 279. Im Februar 2012 sind es nur noch 241.
Chaos im Fuhrpark: Als Ampferl Mitte Februar die Liefer-Lastwagen auf dem Gelände begutachtet, ist von den 90 Lkws nur „ca. die Hälfte technisch fahrbereit”. „Zudem war bei der überwiegenden Mehrzahl der Fahrzeuge der Versicherungsschutz nicht mehr gegeben.” Für Reparaturen fehlt Müller-Brot das Geld, viele Werkstätten warten auf ihr Geld.
DER TRAUERFALL: WAS VON MÜLLER ÜBRIG BLEIBT
Seit Anfang April führen Evi Müller und Franz Höflinger große Teile von Müller-Brot weiter. Sie haben die Marke, 150 Filialen, rund 500 Angestellte, Anlagen und Gebäude gekauft und in eine neue Firma übertragen – nach dem Motto: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen (AZ berichtete).
Die alte Müller-Brot GmbH ist eine leere Hülle – und nichts mehr wert: Laut Ampferl hat die Firma ein Vermögen von etwa 11,5 Millionen – dagegen stehen Schulden von 70 Millionen Euro.
Darunter fallen unter anderem: 24 Millionen Verbindlichkeiten bei Banken, etwa drei Millionen Euro für die Miete, sechs Millionen Euro für Sozialplanansprüche der rund 580 verbliebenen Mitarbeiter und ausstehende Löhne im Wert von zehn Millionen Euro – die die Angestellten wohl nie sehen werden.
Das Insolvenzverfahren über Müller-Brot soll trotzdem eröffnet werden, sagt Ampferl. Die Insolvenzmasse reiche aus, um die Prozesskosten zu bezahlen: Rund 91500 Euro soll das ganze Prozedere kosten.
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