Mordfall Böhringer: Mein Freund vor Gericht

Der Mordfall Charlotte Böhringer (†59) wird in einer Fernseh-Dokumentation neu aufgerollt. Die Verlobte, der Bruder und Freunde geben Einblick in die Welt des Täters Benedikt T. (35)
von  Abendzeitung
Das Opfer: die Parkhaus-Millionärin Charlotte Böhringer († 59).
Das Opfer: die Parkhaus-Millionärin Charlotte Böhringer († 59). © AZ

MÜNCHEN - Der Mordfall Charlotte Böhringer (†59) wird in einer Fernseh-Dokumentation neu aufgerollt. Die Verlobte, der Bruder und Freunde geben Einblick in die Welt des Täters Benedikt T. (35)

Eine junge Frau sitzt allein im Pkw. Sie fährt über die Autobahn. Ihre Augen sehen traurig aus: „Seit zwei Jahren bin ich in einer Zeitschleife. Besuch im Gefängnis, dann vergehen wieder zwei Wochen. Dann kommt der nächste Besuch.“

Eine der Anfangs-Szenen in der BR-Dokumentation „Anklage Mord: Ein Freund vor Gericht“. Der 90-Minuten-Film arbeitet den spektakulären Mordprozess gegen Benedikt T. (35), der Freund von der Autofahrerin Frauke, vor dem Münchner Schwurgericht auf. Der Zuschauer bekommt Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt von Benedikts Verlobter, seinem Bruder und seiner Freunde.

Die Freunde sammeln während des Verfahrens Beweise, suchen Zeugen und hoffen, dass Benedikt T. nicht wegen Mordes an seiner Tante, der Parkhaus-Millionärin Charlotte Böhringer (†59), schuldig gesprochen wird. Nach 84 Verhandlungstagen werden ihre Hoffnungen zerschlagen. Das Schwurgericht verurteilt „Bence“ wegen Mordes an seiner Tante zu lebenslanger Freiheitsstrafe und bejaht auch die besondere Schwere der Schuld. Das heißt: Nach 15 Jahren wird der Rest der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht automatisch zu Bewährung ausgesetzt. Erst nach 22 Jahren werden Mörder in Bayern vorzeitig entlassen.

Der Film, der am 22. Mai um 22.10 Uhr im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt wird, verzichtet völlig auf nachgestellte Dramatik. Der Tatort wird gezeigt. Der Gerichtssaal. Kameraschwenks durch Gefängnisgänge. Und die Prozessbeteiligten schildern den Fall aus ihrer Sicht.

Am 15. Mai 2006, gegen 19 Uhr, wird die Tante im Eingangsbereich ihres Penthouses über ihrem Parkhaus erschlagen. Sie war gerade auf dem Weg zum Stammtisch. Zwei Tage nach dem Mord wurde Benedikt T. festgenommen. Sein Verteidiger Peter Witting erzählt: „Ich bekam einen Anruf eines jungen Rechtsanwalts. Sein bester Freund Bence sitzt bei der Polizei.“ Witting trifft am späten Nachmittag im Polizeipräsidium an der Ettstraße ein: „Benedikt hat mich weggeschickt. Er braucht keinen Anwalt. Er sagte, er ist unschuldig.“ Witting macht sich heute noch Vorwürfe, dass er Benedikt T. allein bei der Polizei hat sitzen lassen. Und dann findet die Polizei im Geldbeutel von Benedikt zwei 500-Euro-Scheine mit einer Blutspur.

Das Geld soll Benedikt T. nach dem Mord an seiner Tante, die beim Weggehen immer viel Bargeld dabei hatte, an sich genommen haben. Aber bis heute ist ungeklärt, von wem die Blutspur auf dem Geldschein stammt. Die Ermittler sagten auch: Es war kein Raubmord, weil nichts fehlte. Es sei eine Beziehungstat gewesenMit 25 Schlägen gegen den Kopf wurde Frau Böhringer getötet. Obwohl Benedikt T. Linkshänder ist, geht das Gericht davon aus, dass er die Schläge mit der rechten Hand ausgeführt hat: Die linke Hand habe er zum Offenhalten der Wohnungstür benötigt. Motiv: Rache. Charlotte Böhringer wollte, dass ihr Lieblingsneffe Jura studiert und später ihr Imperium führt. Er hatte das Studium abgebrochen, wollte Theaterwissenschaften studieren.

Am 12. August 2008 fällt das Urteil. Tumulte im Gerichtssaal. Im Film hört man nur das Geschrei. Man sieht Bences Bruder Mate aus dem Saal stürmen. Er schimpft etwas. Man versteht es nicht. Im Saal selbst durfte während der Urteilsverkündung nicht gefilmt werden. Da hatte damals Benedikt T. seinen persönlichen Abschluss-Auftritt. Er unterbrach den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl ständig: „Blah, blah, blah. Jeder dritte Satz ist falsch. Das sind nur Schauermärchen.“

Weinend liegen sich Bruder, Freundin und Freunde in den Armen. Sie sitzen im Biergarten. Die Verteidigung legt Revision ein. Die lehnt der Bundesgerichtshof (BGH) im Frühjahr ab. Eine Verfassungsbeschwerde wird im November 2009 verworfen.

Die Freundin sagt resigniert: „Wir können nie zusammen bleiben. Das ist eine unnatürliche Trennung. Ich kann in zehn Jahren vielleicht abschließen und vielleicht wieder normal leben.“

Was man bei Drehschluss noch nicht wusste: Es laufen Anzeigen gegen die Richter der Schwurgerichtskammer. Anwalt Ermin Brießmann(73), einst Oberstaatsanwalt und jahrelang Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht, will die fünf Bundesrichter des ersten Senats und den zuständigen Bundesanwalt verklagen. Sein Vorwurf: Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung. Das Urteil des Münchner Schwurgericht sei ein „Fantasie–Produkt. Wenn man das liest, kann man gar nicht glauben, dass das von Juristen geschrieben ist.“ Brießmann fragt sich, ob die Richter beim BGH das Urteil überhaupt gelesen haben. So hat die Freundin doch noch einen Funken Hoffnung.

Torsten Huber

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