Morddrohungen und Vergewaltigungsfantasien: Politiker-Postfächer voller Hass

Morddrohungen und Fantasien über Vergewaltigungen: Münchner Kommunalpolitiker erreichen solche Botschaften immer öfter. Was Betroffene berichten - und was die Polizei sagt.
von  Christina Hertel
Besonders häufig wird Micky Wenngatz, die Vorsitzende des Bündnisses "München ist bunt", aufgrund ihres Geschlechts beleidigt. Zeitweise erreichten sie sechs, sieben E-Mails am Tag, meistens dann, wenn sie zuvor öffentlich auftrat. Einschüchtern möchte sie sich aber nicht lassen. "Solange ich solche Mails bekomme, ist es notwendig, aufzustehen und das Wort zu ergreifen", sagt sie.
Besonders häufig wird Micky Wenngatz, die Vorsitzende des Bündnisses "München ist bunt", aufgrund ihres Geschlechts beleidigt. Zeitweise erreichten sie sechs, sieben E-Mails am Tag, meistens dann, wenn sie zuvor öffentlich auftrat. Einschüchtern möchte sie sich aber nicht lassen. "Solange ich solche Mails bekomme, ist es notwendig, aufzustehen und das Wort zu ergreifen", sagt sie. © dpa

München - Zwei Monate, nachdem sie eine Nachricht bekam, die mit "NSU 2.0" unterschrieben war, die Morddrohungen und Vergewaltigungsfantasien enthielt, achte sie immer noch darauf, ihre Wohnungstür stets von innen abzusperren. Das erzählt eine Münchner Stadträtin, die ihren Namen hier nicht lesen will. Denn sie möchte keine Nachahmungstäter anziehen, sagt sie. Erzählen will sie dennoch. Denn sie will Menschen darauf aufmerksam machen, dass auch in München, der Stadt, die oft so reingewaschen erscheint, sehr schmutzige Kräfte wirken.

Morddrohungen gegen Münchner Kommunalpolitiker

Kurz nach der ersten E-Mail des NSU 2.0 kam eine zweite. "Die Verfasser fragten, wie es meiner Familie geht. Sie hatten meinen Geburtsort herausgefunden", erzählt die Stadträtin. Die E-Mails erreichten sie im Februar auf zwei unterschiedlichen, privaten Accounts. Jemand musste über sie recherchiert haben, das sei ihr plötzlich klargeworden. Sie erstattete Anzeige. Die Polizei habe den Fall ernst genommen und ihr empfohlen, "Schutzmaßnahmen" zu ergreifen. Sie habe danach ihre Adresse beim Einwohnermeldeamt sperren lassen. Vielleicht wird sie an einem Verhaltenstraining teilnehmen. Aber eigentlich würde sie sich am liebsten gar nicht mehr damit befassen.

Hasskriminalität hat um fast 40 Prozent zugenommen

Wie häufig Kommunalpolitiker bedroht werden und wie sich diese Zahlen entwickelt haben, kann die Polizei nicht beantworten. Aus dem neusten Sicherheitsbericht geht allerdings hervor, dass die politisch motivierte Kriminalität von Rechts um fast 20 Prozent zunahm. 674 Straftaten wurden in diesem Bereich erfasst. Besonders deutlich – nämlich um fast 40 Prozent – stieg die Hasskriminalität, also Straftaten, die homophob oder antisemitisch motiviert sind. Die Gewaltdelikte in diesem Bereich verdoppelten sich beinahe – auf 63 im Jahr 2020. In fast 30 Prozent der Fälle wurde der Hass über elektronische Inhalte übermittelt, wie es in der Statistik der Polizei heißt.

Micky Wenngatz: Eigener Ordner für besonders schlimme Hassbotschaften

Micky Wenngatz sitzt für die SPD im Stadtrat und setzt sich auch als Vorsitzende des Vereins "München ist bunt" für Demokratie ein. Sie hat schon vor Jahren in ihrem E-Mailpostfach einen eigenen Ordner für besonders schlimme Hassbotschaften angelegt. Seit 2015, als die Medien über "Flüchtlingswellen" schrieben, die in das Land hineinrauschten, bekomme sie manchmal tagelang sechs, sieben E-Mails – meistens dann, wenn sie sich öffentlich gegen Rechtsextremismus äußert. 90 Prozent der Nachrichten enthalten Vergewaltigungsandrohungen oder Beleidigungen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung, sagt Wenngatz, die offen lesbisch lebt.

Wenngatz scrollt durch ihre E-Mails und liest vor: "Du fette Sau." "Warte nur ab, die Nigger werden dich vergewaltigen." "Du Lesbe brauchst nur einen richtigen Ficker." "Ich habe mir einen Panzer angelegt", sagt Wenngatz. Sie wolle sich nicht einschüchtern lassen – im Gegenteil. "Solange ich solche Mails bekomme, ist es notwendig, aufzustehen und das Wort zu ergreifen." Doch auch sie zog Konsequenzen: Für ihr Auto habe sie sich eine Garage gemietet. "Damit es nicht zerkratzt wird." Anzeige erstatte sie nur selten – denn oft sei klar, dass die Polizei den Absender nicht finde.

Dominik Krause: "Rechter Hass geht häufig mit Sexismus einher"

Dominik Krause
Dominik Krause © Daniel von Loeper

Auch der Grünen-Stadtrat Dominik Krause ließ vor Jahren eine Adresssperre bei der Stadt erwirken. Denn auch er bekam eine Zeit lang so viele Hassbotschaften, dass es sich lohnte, dafür einen eigenen E-Mail-Ordner anzulegen. Menschen beschimpften ihn als Schwuchtel, drohten, ihm "einen Besuch abzustatten" oder ein paar "Filmchen" von ihm ins Internet zu stellen. "Rechter Hass geht häufig mit Sexismus einher", sagt Miriam Heigl, die die städtische Fachstelle für Demokratie leitet. Und beides – sowohl der Rassismus als auch der Seximus – nehmen ihren Einschätzungen nach zu. Sie fordert deshalb, dass polizeiliche Statistiken sexistisch motivierte Gewalt stärker ausweist.

Vaniessa Rashid kandidiert für den Bundestag

Vaniessa Rashid.
Vaniessa Rashid. © Daniel von Loeper

Vaniessa Rashid, die für die Grünen bei der Bundestagswahl kandidiert, fordert, dass dass Staaten klarere Regelungen für soziale Netzwerke schaffen. Rashid flüchtete mit ihren Eltern als Kleinkind aus dem Irak. In München engagierte sie sich selbst für Geflüchtete. Schon zweimal sei ihr E-Mail-Account von so vielen Hassbotschaften gefüllt gewesen, dass er komplett lahmgelegt war, sagt sie. Die Leute wünschten sie "ins KZ", "nach Hause", in den Krieg. München sei für sie trotzdem eine "Weltstadt mit Herz", sagt sie. "Arschlöcher gibt es überall."

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.